Wessi-Augen wollen Ossi-Leben verstehen


15.Januar 2012:
Die Zauberflöte in der Deutschen Oper



25.November 2010
»Nun bin ich „rübergemacht“ in den einstigen Osten, habe Quartier bezogen, wo die Platte das Wichtigste war, was den Menschen hier den Fortschritt und eine brauchbare Bleibe bot.

Ich habe da eine Wohnung gefunden, wo ein Ossi noch der erste Mieter in einem der fünf Eingänge eines (so im Westen so mitleidig verhöhnten) Plattenbaus heimgegangen war.

Begehrt sind (besonders von den „Ureinwohnern“) die Wohnungen in Hochpaterre und erstem Obergeschoss, weil das Treppensteigen bis zum dritten Obergeschoss doch den Betagten zu mühsam wird.

Wenn du so willst, haben wir auf diese Wohnung – nicht höher als 1.OG – mit immer freundlichem Vorsprechen bei einer Wohnungsgenossenschaft zwei Jahre gewartet, geduldig. So wurde eben so lange zwischen Bayern und Berlin gependelt. Da kam die eMail aus Berlin, die um Rückruf bat, als wir uns in Bayern aufhielten.

Wir wussten, was mich erwarten wird. Ich zeichnete die Wohnung „Q3A“ nach, um mal schon etwas einzurichten. Genauso eine Anordnung, auch in Etage, wie es meine Freundin (Saroma) mir zeigen konnte. Und die Entfernung sollte schrumpfen von sechs Stunden ICE-Fahrt auf eine halbe Stunde mit Bus oder S-Bahn und etwas länger mit dem Rad.
Nun bin ich umgezogen. Die Wohnung war von Grund auf renoviert worden – eine Freude, in das Frische einzuziehen.

Der Umzug verlief reibungslos – gerade vor dem ersten Schnee von Bayern nach Berlin geflohen. Alles gut gegangen, jetzt gilt es sich einzuleben. Jeder Gang zu Fuß, ob kurz oder lang, jede Fahrt mit Bus oder Bahn, sind erkenntnisreich.

Da, wo ich früher (vor über fünfundsechzig Jahren) mit Vorortbahn oder S-Bahn vorbeigefahren war, wo es damals noch reichlich Schrebergärten gab, entdecke ich heute Kolonien von Plattenbauten (aus den sechziger und siebziger Jahren), kasernenhaft gruppiert – wie wollte man es denn sonst (rationell) machen?!

Und nun kann ich hinausschauen vom Fenster oder Balkon, kann das Leben beobachten. Noch sind die Fenster wegen der Kälte und des schneeigen Wetters geschlossen. Aber das Kommen und Gehen der S-Bahn, Zug und Gegenzug, hört man – wozu gibt es da Schienenstöße? Man hört die eine Bahn laut sirren, die andere weit sanfter – es ist schon zwanzig Jahre her seit der Wiedervereinigung, da hat’s auch neue Züge gegeben. Für mich alles ein bis dahin sehr vermisstes Geräusch, jetzt ist es wieder greifbar nahe.

Ich sehe Menschlein eilig zum Bahnhof gehen, kurze, schnelle Schritte, aber auch zurückkehrend, ebenso eilig. Ich marschiere viel zu langsam, bleibe gefälligst rechts in der Rolltreppe stehen, damit die Eiligen links vorbei steigen können – das wusste ich noch von früher. Nur ist mein Schritt nicht mehr auf Eiligkeit getrimmt – ich will mir die Zeit nehmen, zuschauen, wie man in Berlin lebt.

Ich lerne immer mehr aus der Zeit vor der Wende kennen. Wie war das so im Alltag? Wie kam man mit vielem Mangel zurecht? Wie aber schaffte es die Plan- und Mangelwirtschaft, doch so vieles in positivem Sinne noch hinterlassen zu haben?! Und ich lerne, manches im Westen so Selbstverständliche unter anderem Blickwinkel einzuschätzen. Ohne politischen Mief beginne ich das Land wieder so zu lieben, wie ich es als Bub geliebt und auf Geheiß der Eltern verlassen habe.

Ich freue mich auf die neue, wärmere Jahreszeit. Dann geht es raus mit Bus, Bahn, Schiff oder Fahrrad in die Mark. Fontane-Land erleben.«

Das war 2010. Jetzt haben wir schon wieder Dreiviertel des Monats Januar im Jahr 2012 durchwandert. Du solltest die Liste sehen, die unsere Foto-Ordner im PC beinhaltet: Wir sind so glücklich in und um Berlin.

Übrigens: heutemorgen standen zwei Möbelwagen vor der Tür: jemand zieht aus und dann kommen die Handwerkers und machen die Wohnung flott für den nächsten Mieter, drei Wochen Rabatz im Treppenhaus.

ortwin

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Kommentare (5)

ortwin Gestern hat Spatz meinen Ganz zu dem Nachbar-Trakt gebremst - sehen die Blöcke mit ihren Q3A's, 4 x 5 Wohnungen, also 20 Klos, 20 Küchen, 20 halbe Zimmer und 40 größere Zimmer, die sehen alle gleich aus. Der Unterschied liegt innen: immer, wenn ein Mieterwechsel in einer Wohnung ansteht, dann kommen für drei Wochen die Handwerkers, rupfen alles Kupfer raus und verlegen neues, Fenster und Türen werden abgeschliffen und gestrichen und Rauhfaser, weiß getüncht in allen Zimmern, Bad und Küche kriegen neue Fliesen und Armaturen.
Bei all meinen früheren Umzügen waren für mich viele Arbeiten notwendig und zu bezahlen. Hier bin ich Genossenschaftsmitglied geworden - Kaution? Genossenschaftsanteil.
Was will ich mehr?! Das Auto bleibt so lange und oft stehen - ich möchte es aber nicht aufgeben. Die Verkehrsanbindung ist vielfältig und leicht zu nutzen.
Spatz wohnt 6 km weg auch in Q3A - so habe ich das Ganze kennen gelernt und durch sie auch die Leutchen von der Genossenschaft.
Und stelle dir mal vor: das ehemalige Waschhaus - wer kennt das noch? - hat die Genossenschaft abreißen lassen und ein schmuckes Gemeinschaftshaus errichtet, wo sich die Mitglieder (wie einst im Mai) gesellig treffen können, wo kleine Veranstaltungen stattfinden.
Und wenn die Blöcke so dicht bei- und nebeneinander stehen: Gärtner sind jetzt damit beschäftigt, die inzwischen kollossal gewachsenen Bäume sicherheitshalber zu stutzen - na warte: bald deckt ihr Grün den Blick zum Gegenüber ab.
Soll ich dir mal was sagen? Ich bin so froh, dass ich kein Haus besitze: es nähme uns viel von unserer freien Zeit weg, wir kämen viel weniger raus in Gottes freie Natur.

ortwin
christl1953 Ich war zu Besuch bei meiner Schwester,die seit Weihnachten 2009 begeisterte Berlinerin ist.Sie wohnt in Pankow in einer wunderschönen Altbauwohnung :Soe eine Wohnung würde bei uns hier bestimmt unter 1000 Euro nicht zu haben sein-sie zahlt gerade mal die Hälfte.Dabei ist die Wohnung top mit allem was dazu gehört-Ölheizung Warmwasser etc. Und ich konnte mich nicht von diesen wunderschönen Fassaden losreissen,die obwohl sie in der DDR Zeit gebaut wurden-jetzt von außen neu gestrichen,noch so eine Flair ausstrahlen.So eine wunderschöne Bauweise ,davon können wir in unseren Hochhäusern
wo eines dem anderen wie ein Zwilling gleicht und eben auch nur Betonplatten mit Außenplatten sind,nur träumen.
Auch bei uns ist es mit der Hellhörigkeit nicht anders,denn es wurde in den 70 er Jahren nicht auf Wanddämmung geachtet.
Zu Marzahn und seinen Plattenbauten.Ich habe dort einen Bekannten besucht der seit Jahren dort wohnt.Die Räume sind zwar nicht so groß aber sonst auch gut ausgestattet.Aber die Häuser sehen wunderschön aus in ihrer Bunten Ansicht und soviel Grün dazwischen das finde ich großartig,besonders den riesigen Park wo die Kinder spielen können ohne daß sie auf die Strasse kommen.Da hat man sich damals im DDR Staat schon sehr viel Mühe gegeben,solches zu erhalten. So fand ich diesen Teil von Berlin der früher Ostberlin war.
anjeli lustig gemacht haben.
Ich gehöre zum Beispiel dazu, denn ich konnte mir kein Urteil erlauben.

Nach der Wende habe ich zwei Jahre in einem Plattenbau gewohnt in der Prager Straße in Ffo. Mein Nachbar war
Henry Maske. Damals war er noch nicht so bekannt, wurde aber als er noch im Plattenbau wohnte, Weltmeister.

Ich fand die Wohnung schön und zweckmässig. Sie war sehr
hellhörig, besonders im Badezimmer.
Was mich aber mehr störte war die enge Bauweise, denn dadurch konnte ich den Menschen die gegenüber wohnten, auf dem Wohnzimmertisch gucken.
Auch Parkplätze waren Mangelware. Hatte ich mal einen in Hausnähe ergattert, so habe ich echt überlegt, ob ich nochmal mit dem Auto wegfahren mußte.
Manchmal bin ich auch mit dem Bus zur Arbeit gefahren, um meinen Parkplatz nicht aufgeben zu müssen. (lach)
Im Bus habe ich dann Dienstgespräche geführt mit unseren
Geschäftspartner und es wurden sehr viele Entscheidungen
im Bus gefällt.

Mir hat das gefallen, wie unkompliziert doch die Menschen
waren. Das wäre in Westdeutschland nicht möglich gewesen,
dass ich Geschäftspartner im Bus traf ohne Termin und ohne
Anmeldung.

Die Zeit nach der Wende in Ostdeutschland war eine schöne
Zeit.
Ob, es immer noch so ist, wage ich zu bezeifeln.

anjeli
ortwin Mein Spatz - im Augenblick recht schwach in den Bronchien - hat Band 1 der Jerominkinder durch, startet nun mit Band 2. Und auf meinem noch fehlenden Nachttisch kann jetzt das gerade eingetroffene Buch "Wolfskind" liegen - nur ich kann im Bett nicht lesen, brauche also keinen Nachttisch.

Wenn Du über KMS und Straßenbahn schreibst, dann bin ich gespannt, was das mir bringt - ich war nur ganz kurz nach der Wende einmal in Chemnitz, viel zu kurze Zeit, um sich ein Bild davon zu machen. Trost gibt mir die Reise mit dem "Sachsenspiegel"-Zeppelin, der Mitschnitt-DVD vom mdr.

Was das Leben in den so prima restaurierten "Platten" (hier wird gleich wieder eine freigewordene Wohnung total aufgefrischt / so wie meine vor 1 1/2 Jahren): Mielke ist wohl an der Konstruktion beteiligt gewesen - durch den vom Keller bis rauf unters Dach gibt es den Versorgungsschacht, da kann man die Küchen- und Klo-Gespräche der Nachbarn oben und unten mithören, wenn das interessiert. Suche eine Wohnung, wo so was ähnliches nicht auch möglich ist.

Gruß
ortwin


Traute das habe ich mit Freude gelesen.Willkommen im,durch den industriellen Wohnungsbau, hergestellten neuen Heim.
Was wir tun und was wir lassen, es berührt die Grenzen der Lebenbereiche anderer Menschen.
Mit Deinem sachlichen Umgang, mit den Plattenbauten, hast du Verletzungen vermieden.
Vieler mitteldeutscher Einwohner großer Traum und zielstrebiges Wirken, war so eine Wohnung und nun wird sie so oft verrissen.
Mir selbst waren sie ein bisschen zu hellhörig, aber ich hatte ja auch nie das Glück eine zu bekommen.
Übrigens meine Literatur zur Zeit, streift auch deine.
Anbei ein Bild davon. Das erste habe ich ausgelesen, Wolfskind von Ingeborg Jacobs.Schauriges Leben über Jahre durch die ganze SU....
Mein Buch über meine DDR Zeit ist auch vor der Herausgabe.
Es wird (wohl) den Titel tragen " Honneckers kleine Schaffnerin"
Danke für Deinen Wohnungsbericht, sehr interessant, wie Du Dich einfügst.
Mit freundlichen Grüßen,
Traute
Traute 2(Traute)



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