Weißt du, worauf du dich einlässt?


Vor fast drei Jahren fand ich eine Wohnung, von der ich meinte: „Besser als gar nichts“. Und eigentlich war das Wohnen da drin auch gut. Dreiundvierzig Parteien – so viele Klingelknöpfe gibt es und auch so viele Briefkästen, manche davon lehnen Reklame ab, manchen wird sie doch reingesteckt.

Dreiundvierzig Parteien, jede hat im Schnitt zwei Zimmer, eine Küche, ein Bad, einen Flur, einen Balkon, einen Kellerverschlag und das Recht zum Fahrradabstellen im Keller, letzterer ist pickepacke voll Fahrrädern. Je nachdem, ob die Wohnung im Innern des Traktes liegt, gibt es in Küche und Bad kein Fenster.

Dreiundvierzig Parteien, allesamt sollen darin Alten gerecht wohnen. Und so gibt es in dem in L-Form gebauten Haus zu den zweiten bzw. dritten Stockwerken den Aufzug, der in seinen neunzehn Jahren tapfer seinen Dienst eifrig versieht, wenn auch mit Ächzen und Knattern.
Dreiundvierzig Parteien, ich wohne im zweiten Stock des Seitenflügels, über mir wohnt niemand mehr. Neben mir haben schon Leutchen gewechselt, eben Alten gerecht ein Kommen und gehen. Man begegnet sich auf dem langen Gang hin zum Aufzug – ganz wie früher im Kasernenbau – grüßt „den Gott“ – ganz selten. Ich bin hier oben das einzige Mannsbild. Ich habe es vermieden, nähere Bekanntschaften zu knüpfen, außer mit der jüngst eingezogenen älteren Dame, die einst aus Berlin nach Bayerisch Schwaben heiratete, sie ist es gewesen, die meinen Briefkasten für mich leerte, wenn ich mal wieder für etwa einen Monat in Berlin weilte.

Dreiundvierzig Parteien, man begegnet sich im Hausflur in Pattere beim Post nachschauen oder Müll wegbringen. Relativ ungeniert, so mit Schluffen und Leggins, begleitet mit dem Rolli. „Grüß Gott“ und nicht mehr. Nichts Besonderes im Aushangkasten zu lesen. Und schon wieder weg von dort.

Dreiundvierzig Parteien, draußen warten welche in Schwarz, bald darauf schleppen welche Hausrat raus, und noch was später puckeln andere Hausrat wieder rein. Die Namenschilder werden ausgewechselt, reine Hausmeister-Angelegenheit. Der Hausmeister ist es, der freitags die am Donnerstag über der Briefkasten-Batterie aufgestapelten Werbezeitschriften und auch die vom Pizza-Blitz rein geschmuggelte Reklame wieder rausschafft.

Dreiundvierzig Parteien in einem Anwesen mit kirchlicher Patenschaft. Im Hof starten und kehren zurück die fleißigen Bienen der Caritas mit ihren gesponserten Pkw’s . Und dass sie das mit allem Segen leicht und gut verrichten, bimmelt es alle Nase lang vom Turm St.Anton herüber, der Küster scheint Sonderzulagen zu bekommen Aber nur gut: zwischen 22:02 Uhr und 05:59 Uhr ist Verkündungspause.

Dreiundvierzig Parteien, Mindestalter: sechzig Jahre, alle einzeln, also reine Resteverwertung. Ich hatte mir damals nichts dabei gedacht, war froh, so ein günstiges Angebot bekommen zu haben. Aber etwas fehlt: die Lebendigkeit in durchwachsener Bestückung von Wohnungen in einem Block. Da gibt es nur geparkte Menschen, keiner geht einer Arbeit mehr nach, kein Pärchen oder Paar, Kindergeschrei fehlt, das Kommen und Gehen des Postschaffners sieht man nicht.

Was hätte ich eigentlich in den drei Jahren gemacht, wenn ich nicht einem Menschen begegnet wäre, mit dem ich sehr vieles zusammen unternehmen kann?! Jetzt endet hier das Wohnen für mich, freiwillig, ich ziehe aus, nicht verärgert – dazu hat es nie einen Grund gegeben. Ich ziehe in eine lebhaftere Wohngegend, so mit viel Umwelt und Umfeld und … ich komme nach Hause!

Und die Frage: „Weißt du, worauf du dich einlässt?“ – Ich denke schon.

ortwin

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Kommentare (2)

ortwin Es ist doch ganz normal, dass die Kinder, der eigene Nachwuchs, sich bei den heutigen Wohnverhältnissen und -gewohnheiten schwerlich einbinden lassen in ein Konzept, das früher - zu mindest in Bayern - den Alten auf dem Hof ein Austragshäuschen bereitgestellt wurde, wo die Senioren mit der Übergabe des Anwesens an die Kinder (oder an den/die Älteste/n) nicht vom Hofe verschwanden, sondern sich aktiv im vielem nützlich machen konnten und damit an allem auch teilnahmen. Sie hatten Gelegenheit, den Enkeln eine Oase zu bieten, sie waren nicht abgeschrieben oder gar "ausgesondert".
Es ist die Lebhaftigkeit in unserem Alltag, die auch bei den alten Mitmenschen die Mundwinkel nach oben treiben, wenn sie nur schon erleben, was in Natur und nicht durch TV im ganzen Tagesgeschehen Anregungen und Ideen mit sich bringen.
Auch wenn ich nun schon etwas schnaufe beim Einpacken, ich wachse wieder aus mir heraus (ganz wie früher!), ich kehre zurück in das quirlige Umfeld - raus aus der hier empfundenen Einöde des Geistes.
Verzeiht - ich bin zu jung, um mir schon jetzt die Innenseite einer Urne vorstellen zu müssen. Mein Spatz ... ach, welches Glück gemeinsam (und doch getrennt wohnend) zu erleben - mit hochgezogenen Mundwinkeln, nicht in Puschen schlurfend den nächsten Morgen erwarten dürfend.

ortwin
christl1953 da sieht man wieder,wie manches geplant wird ohne sich dabei um die menschen die
das Haus bewohnen gedanken zu machen.Ein Haus nur mit Senioren ist zwar schön und ruhig aber so ohne Kinderlärm und manchesmal übertrieben laute Rockmusik,das denke ich ist ein langweiliges Dahin leben,bis man aus dem Haus mit dem Sarg getragen wird.
Ach wenn sich die verschiedensten Vereine bemühen,es an nichts bei den alternden Menschen fehlen zu lassen,so finde ich,daß man es sich doch ein bißchen leicht macht mit dieser Art von Wohnen.Ich möchte auch Leben hören -spüren und mit erleben können wie die kleinen Nachbarskinder wachsen und sich balgen beim Fußball oder anderen Spielen vor dem Fenster. Das denke ich hält wach und wenn man sich da noch ein wenig nützlich machen kann so manchesmal als Schiedsrichter oder Babysitter,dann ist es das was das Dasein ein wenig aufhellt.Man kommt weniger dazu,nur über die diversen Krankheiten zu reden.
Altwerden bedeutet doch nicht alles abschließen was zum Leben gehört.
Spätestens dann wenn du auf der Parkbank sitzt und vorbei laufende Kinder mit "hallo Frau XX "Rufen erfreuen dann weißt du daß du noch da im realen Leben bist.
ich hoffe,daß ich dich nun nicht erschreckt habe mit meiner Ausführung ,aber du hast es selbst ja genau erfaßt,worauf es beim Ältersein ankommt.Die ewige Ruhe wartet schon noch früh genug auf jeden von uns.

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