Russengold
In Mutters letztem Tagebuch erfährt man, dass sie 1909 in Moskau geboren wurde. 1915 kehrte sie mit den Eltern als Austauschgefangene zurück nach Deutschland. Die Eltern, unser Großvater stammte aus Bromberg in Westpreussen, die Großmutter aus Ohrdruf in Thüringen. Orenburg am Ural und Moskau waren Orte, in denen sie alleine oder dann gemeinsam gelebt hatten.
Viel hatte unsere Mutter uns über Russland erzählt. So erfuhren wir, dass man, wenn man in Russland auf Reisen ging, Geld, Schmuck und Gold in die Kleider einnähte, damit die bei Kontrollen oder Überfällen nicht schnell entdeckt werden konnten.
Zu gerne hätten wir über Russland etwas mehr und authentisch vom Großvater erfahren. Doch da unser Vater eben keinen Titel und nicht studiert hatte, war die Verbindung zwischen den Eltern und Großeltern sehr gekühlt und eigentlich mehr von Seiten unserer Mutter unterhalten worden. Wir hatten also von den Eichkamper Großeltern so gar nichts.
Im Wohn- oder Ess-zimmer stand eine Vitrine. Da hatte unsere Mutter so hübsche Kleinigkeiten (woanders nannte man das Nippes) untergebracht. Für uns war das immer ein Erlebnis, wenn Mutter die Türen öffnete und hin und wieder die eingestellten Dinge putzte.
Aber etwas ganz Besonderes war Mutters Schmuckkasten. Da gab es, Broschen, Armreifen, Ketten und andere Dinge, die da glänzten und für uns einen tollen Wert, eine Wunderwelt darstellten.
Da gab es Dinge aus Russischem Gold. Nicht so blasses, mit Silber angereichertes Schmuckgold. Sondern rötlich schimmerndes, Russisches Gold, pur. Unsere Mutter hat es zu ihrer Hochzeit aus der Schatulle unserer Eichkamper Oma bekommen.
Der Schmuck hat 1945, nach Einmarsch der Russen, unser Absetzen in den Westen mitgemacht. Wir wechselten von Eichwalde in den Britischen Sektor von Berlin in das U.N.N.R.A.-Lager, von wo uns die Engländer mit ihren Militärfahrzeugen nach etwa vierzehn Tagen in die Britische Zone nahe Helmstedt fuhren.
Viel zu essen zu der Zeit gab es in der Ostzone nicht, und auch in dem Lager knurrte uns der Magen. Zwei Jungs in Militärklamotten, von den Russen in Pommern aufgegriffen, zum Straßenbau an den Ural verschleppt und krank zurück geschickt, besorgten uns auf dem Schwarzmarkt ein amerikanisches Weißbrot – ich musste in der Toilette heimlich meine Schuhe ausziehen und einhundertfünfzig Reichsmark von den tausend, auf denen ich lief, hergeben.
Wo Mutter den Schmuck versteckt hatte – wir hatten nie darüber gesprochen. Jedenfalls ist der Schmuck schließlich nach vier Jahren Leben in Niedersachsen heil in Bonn gelandet.
In Bonn hatte unser Vater gute Arbeit gefunden. Eigentlich war er in Köln gelandet. Da sich dort aber keine Wohnung für uns acht Personen finden ließ, wechselte Vater zu einer anderen Versicherung, die sich nach dem Krieg in Bonn niederließ.
Und so kam der Schmuck auch mit nach Bonn. Gar nicht so einfach, einen Hausstand neu zu gründen, wo die Kinder, sechs an der Zahl, im Alter von 18 bis 6 Jahren, Kleidung, Essen und Ausbildung forderten.
Es ging des Öfteren dem Schmuck an den Kragen: er kam in die Pfandleihe, so auch das Russische Gold. Wenn Ultimo wieder Geld in Mutters Hände kam – sie schneiderte (obwohl nie das Schneiderhandwerk erlernt) für Diplomatenfrauen und andere Herrschaften in der aufwachsenden Bundeshauptstadt.
Doch einmal klappte es nicht mehr mit dem Auslösen der Pfänder: das Russengold war weg! Mutter hatte eigentlich mir sehr vieles von Sorgen und Nöten anvertraut – das erfuhr ich erst viel, viel später.
Wie knapp es zu Hause zuging, merkten wir nur ganz ganz schwach. Aber wir waren doch in Werden und Wachsen so sehr mit uns selbst beschäftigt. Wir wurden flügge, gehörten nach und nach nicht mehr zum großen Tisch im Wohnzimmer, die Mansarden wurden nach und nach leer.
Irgendwann trommelte eines der Geschwister an unsere Briefkästen: es geht um eine Sammlung, unserer Mutter zu ihrem Geburtstag ein Goldkettchen zu schenken, als kleinen Trost für das Verlorene.
Ein blasses Goldkettchen wurde es, blasses Gold, nicht aus Russischem Gold, nicht dieses Armband, wie wir es noch immer in Erinnerung haben.
Viel hatte unsere Mutter uns über Russland erzählt. So erfuhren wir, dass man, wenn man in Russland auf Reisen ging, Geld, Schmuck und Gold in die Kleider einnähte, damit die bei Kontrollen oder Überfällen nicht schnell entdeckt werden konnten.
Zu gerne hätten wir über Russland etwas mehr und authentisch vom Großvater erfahren. Doch da unser Vater eben keinen Titel und nicht studiert hatte, war die Verbindung zwischen den Eltern und Großeltern sehr gekühlt und eigentlich mehr von Seiten unserer Mutter unterhalten worden. Wir hatten also von den Eichkamper Großeltern so gar nichts.
Im Wohn- oder Ess-zimmer stand eine Vitrine. Da hatte unsere Mutter so hübsche Kleinigkeiten (woanders nannte man das Nippes) untergebracht. Für uns war das immer ein Erlebnis, wenn Mutter die Türen öffnete und hin und wieder die eingestellten Dinge putzte.
Aber etwas ganz Besonderes war Mutters Schmuckkasten. Da gab es, Broschen, Armreifen, Ketten und andere Dinge, die da glänzten und für uns einen tollen Wert, eine Wunderwelt darstellten.
Da gab es Dinge aus Russischem Gold. Nicht so blasses, mit Silber angereichertes Schmuckgold. Sondern rötlich schimmerndes, Russisches Gold, pur. Unsere Mutter hat es zu ihrer Hochzeit aus der Schatulle unserer Eichkamper Oma bekommen.
Der Schmuck hat 1945, nach Einmarsch der Russen, unser Absetzen in den Westen mitgemacht. Wir wechselten von Eichwalde in den Britischen Sektor von Berlin in das U.N.N.R.A.-Lager, von wo uns die Engländer mit ihren Militärfahrzeugen nach etwa vierzehn Tagen in die Britische Zone nahe Helmstedt fuhren.
Viel zu essen zu der Zeit gab es in der Ostzone nicht, und auch in dem Lager knurrte uns der Magen. Zwei Jungs in Militärklamotten, von den Russen in Pommern aufgegriffen, zum Straßenbau an den Ural verschleppt und krank zurück geschickt, besorgten uns auf dem Schwarzmarkt ein amerikanisches Weißbrot – ich musste in der Toilette heimlich meine Schuhe ausziehen und einhundertfünfzig Reichsmark von den tausend, auf denen ich lief, hergeben.
Wo Mutter den Schmuck versteckt hatte – wir hatten nie darüber gesprochen. Jedenfalls ist der Schmuck schließlich nach vier Jahren Leben in Niedersachsen heil in Bonn gelandet.
In Bonn hatte unser Vater gute Arbeit gefunden. Eigentlich war er in Köln gelandet. Da sich dort aber keine Wohnung für uns acht Personen finden ließ, wechselte Vater zu einer anderen Versicherung, die sich nach dem Krieg in Bonn niederließ.
Und so kam der Schmuck auch mit nach Bonn. Gar nicht so einfach, einen Hausstand neu zu gründen, wo die Kinder, sechs an der Zahl, im Alter von 18 bis 6 Jahren, Kleidung, Essen und Ausbildung forderten.
Es ging des Öfteren dem Schmuck an den Kragen: er kam in die Pfandleihe, so auch das Russische Gold. Wenn Ultimo wieder Geld in Mutters Hände kam – sie schneiderte (obwohl nie das Schneiderhandwerk erlernt) für Diplomatenfrauen und andere Herrschaften in der aufwachsenden Bundeshauptstadt.
Doch einmal klappte es nicht mehr mit dem Auslösen der Pfänder: das Russengold war weg! Mutter hatte eigentlich mir sehr vieles von Sorgen und Nöten anvertraut – das erfuhr ich erst viel, viel später.
Wie knapp es zu Hause zuging, merkten wir nur ganz ganz schwach. Aber wir waren doch in Werden und Wachsen so sehr mit uns selbst beschäftigt. Wir wurden flügge, gehörten nach und nach nicht mehr zum großen Tisch im Wohnzimmer, die Mansarden wurden nach und nach leer.
Irgendwann trommelte eines der Geschwister an unsere Briefkästen: es geht um eine Sammlung, unserer Mutter zu ihrem Geburtstag ein Goldkettchen zu schenken, als kleinen Trost für das Verlorene.
Ein blasses Goldkettchen wurde es, blasses Gold, nicht aus Russischem Gold, nicht dieses Armband, wie wir es noch immer in Erinnerung haben.
ortwin
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