Wir haben es überlesen, wir haben es nicht für erheblich angesehen. Recht einfach und kleinlaut hat Lee von seinem Krebs geschrieben, einfach so nebenbei. In seinem Alter – ich bin gerade man ein halbes Jahr jünger als er war.

Wer ist und nun war Lee Bishop? Was wusste ich von ihm über ihn? Ich sehe ihn noch mit seinem blonden Kahlschädel, dem blonden Schnäuzer und der Brille eines Kurzsichtigen, der – so ich mich erinnere – rauchte, Menthol-Zigaretten und Zigarillos, und davon nicht zu wenige. Das fiel mir erst später auf, als ich der Fron des Rauchens entweichen konnte. Und Lee war so wie ich ein Linkshänder – für mich immer der Hinweis, ihn am Tisch so zu platzieren, dass sein linker Arm ungehindert ausholen konnte.

Lee Bishop, als ich ihn bei sich zu Hause kennen lernte, lebte er mit seiner Frau Mary Jo und seinen drei, inzwischen schon groß gewordenen Kindern in Roy nahe Ogden im Mormonen-Staat Utah. Lee war bei der US Air Force bis zum Chief Master Sergeant aufgestiegen. Viel war er rumgekommen in der weiten Welt. Dabei hat er sich ein wunderschönes Geschenk mitbringen können: Mary Jo fand er auf Formosa (oder wie es heute genannt wird „Taiwan“). Mary Jo, ein liebreizendes Persönchen passte ganz zu ihm. Er durfte dem Beruf nachgehen und während seiner Dienstreisen auch noch seinen Master (bei uns früher der Dipl.Ing.) absolvieren.

Lee war ehrenvoll „retired“ (aus der Air Force) entlassen worden und blieb im Job der RADAR Vermessung weiterhin tätig. Und dadurch habe ich ihn kennen gelernt. Ich kann nun nicht mehr sagen, ob ich ihn vor oder bei meiner ersten Reise in die Staaten kennen lernte. Er war der Hauptredner und wohl auch Organisator unseres Lehrganges da in HILL AFB. Dass ich mit bei dem Lehrgang war, verdanke ich meinem direkten Vorgesetzten im Stab, Wolfgang Manz. So lud Lee uns Germans zu sich nach Roy zum Abendessen ein. Und auch so Parties gab es genügend. An den drei Wochenenden raste unsere Clique von Park zu Park, reichliche 3200 Miles kamen zusammen. Das nur so nebenbei.

Als Lee dann wieder zu uns nach Deutschland kam, durfte ich mit ihm sehr eng zusammen arbeiten. Deutsch wollte er nicht sprechen, also war ich gefordert, English zu sprechen, was mich in den Kenntnissen der Sprache weiter brachte, über das so kurz gehaltene Fachenglisch in den Vorschriften. Und Lee verwendete eben auch die Vokabeln dieses Englisch. War es eine Rücksichtnahme auf mich?

Lee beriet uns in der Vorgehensweise beim RADAR Vermessen. Wir holten uns die nötige Unterstützung bei unseren Fachfirmen. Ich lernte bei Hamish Meikle das Programmieren – besser als auf meinem Selbstbau-Apple – ich hatte an seinen Programmierkünsten rumgemäkelt, weil da immer wieder Abstürze eintraten. Ich sollte es besser machen, bekam ich in Schottischem English zur Antwort. Worauf ich dann eben anfing, Programme zu schreiben, Statistik zu studieren und dazu Programme zu fertigen. Und eines Tages, als ich von der Wochenendpause von zu Hause zum Erbeskopf zurückkehrte, meine Bastelei vorführte: „Dieter! You got it!“ Ein wunderschönes Lob von einem Fachmann.

Die Amis landeten in München-Riem, ich holte sie ab. Es ging zu Siemens, wir wollten das Tieffliegermelderadar evaluieren. Da saß ich am Morgen, wenn der Rest der Mannschaft noch nicht aus den Federn war, mit Lee beim Frühstück – sein Lob war groß bei den „Bruitchen“ (in seinem letzten Brief kam er noch einmal dazu, sie zu begrüßen), die doch so anders waren als die Teigmassen bei den „Hamburgers“.

Ich ging mit ihnen ins Deutsche Museum. Eines bedauerte Lee: dass da keine Übersetzungen bei den Exponaten angebracht waren. Tröste dich Lee, jetzt sind die Schildchen dreisprachig, also auch für dich in English.

Ein anderes Mal flogen wir Beide mit dem Hubschrauber von Lauda am Tauber nach Meßkirch in der Schwäbischen Alb. Wir wollten einen Corner Reflektor holen, mit dem wir elektronisch die Bell UH-1D
vergrößern wollten. Ich bat den Piloten, doch einmal Rothenburg ob der Tauber zu umfliegen, Lee war begeistert. Das war ein wenig mehr als das Wohnen im Hotel in Bad Mergentheim. Der Flug stellte sich später als sinnlos heraus: der Corner Reflektor von den Wetter-Ballons war zu groß für den Einbau in der Bell nach Ausbau der Seitentüren, und für das Manöver mit herabhängenden Lasten bedurfte es einer Sondergenehmigung vom Luftwaffenamt (später mieteten wir eine Firma für solche Aktionen an).

Bei meinem zweiten Besuch in den Staaten, das war über Ostern 1980, bin ich von Fullerton CA tapfer die Interstate 15 vorbei an Las Vegas nach Roy gefahren, 750 Miles, und habe mir unterwegs eine Übernachtung geleistet. Ich wurde sehr liebevoll aufgenommen, eine Herzlichkeit, die sich von der Freundlichkeit des „Keep smiling“ erheblich unterschied. Zurück überquerte ich die Rocky Mountains und fuhr durch Bishop CA südwärts nach Fullerton zurück.

Beim dritten Besuch, der mich wieder nach Fullerton bringen sollte, wollte ich nicht von El Paso TX, wohin uns unsere „Kutscher“ nach drüben flogen, nach Los Angeles weiterfliegen. Nein ich hatte schon damals gleich bei dem Stopp Over im Washington DC mir ein umgerechnetes Ticket von Washington den Stopp Over über Salt Lake City ausstellen lassen – es schien recht kompliziert gewesen zu sein (wegen der „Tax“-Berechnung). Als das Ticket mit Hilfe des Supervisors fertig war, nahm mich eine farbige Stewardess an die Hand und raste mit mir zu einem Launching Car und schob mich samt Gepäck in die schon wartende Boeing 207. Da ich wie befohlen meine Dienstreise in Uniform angetreten hatte, blieb es nicht aus, kam ein Oberst der US-Army auf mich zu und begrüßte mich wie seinen Gast, ein kurzes Palaver. Doch dann wurde es mulmig. Je näher wir nach Denver CO kamen, packte uns ein gewaltiges Gewitter, schüttelte die Maschine ganz schön hin und her. Tüten wurden bereit gehalten. Ich setzte mir die Kopfhörer auf und schaltete auf den Sprechkanal der Bordbesatzung ein. Und dann erlebte ich das Landen der Maschine im Rhythmus „Montag – Dienstag – Mittwoch …“ – die Erde hatte uns wieder. Der Anschlussflug nach Salt Lake City mit der Boeing 307 über die Rockies fand bei sternenklarem Himmel statt. Es war Nacht, als mich Lee am Airport abholte. Bis Roy waren es noch 35 Miles. Ich fühlte mich wieder so herzlich aufgenommen. Am nächsten Abend (ich glaube mich recht zu erinnern) kamen Bob Reid (LtCol) und Frau zum Abendessen. Und prompt war klar, dass Bob mich zurück zum Flugplatz fahren wollte. Als er, der Hunter, mit seinem Pickup ankam, staunte ich nicht schlecht: hinten an der Rückwand der Kabine hing quer ein Jagdgewehr. Später schrieb Bob von seinen Jagdtouren, da brauchte er nur erst mal ein Wohnmobil.

Als ich 1982 noch einmal Vater wurde, schickte Mary Jo uns eine hübsche Häkeldecke.

Hat es noch mehr Erlebnisse mit Lee gegeben? Ja, in 1983. Da musste ich (vorweg gesagt) von einer Vermessung bei Aurich „sofort“ nach Köln zurück kommen: ich musste mein schriftlich mitgeteiltes Dienstzeitende auch schriftlich und rechtzeitig ein Jahr zuvor bestätigen, was auf dem Dienstweg nicht mehr möglich gewesen wäre. Also fuhr ich einen Tag hin und einen Tag zurück.

Aber dafür nahm ich Tage später drei der Crew mit meinem Wagen mit nach Worpswede. Wer von uns kennt nicht den Ruf dieser Gemeinde der Kulturwelt?! Etwas anderes bei Leutchen von der anderen Seite des Großen Teiches.

Als ich entlassen wurde und einige Zeit später auch Wolfgang, da brauchte er mich zum Übersetzen meiner Programme zum Vermessen. Und wir klopften bei Lee an, doch dies und das beizusteuern.

Nur irgendwann fühlte ich mich nicht mehr in der Lage, ordentlich zu programmieren, die Fehlerrate pro Tag nahm stetig zu.

Zu Weihnachten und Jahreswechsel tauschten wir Alle die Grüße aus. Hin und wieder trudelten auch eMails ein. Jeder lebte in seiner Umgebung. Die Entfernung war zu groß, um mal so eben vorbei zu schauen. Wolfgang fuhr mit seiner Frau nach Italien, wohin auch Lee und Mary Jo hingeflogen waren.
Ich fühle echte Trauer um unseren Freund Lee. Als ich vor Stunden noch mit hohem Fieber rang, wollte ich schon fragen, ob ich etwa auch dran wäre?

Nein, Lee, du musst dich noch etwas gedulden, bis ich bei dir anklopfe.
Dann kann ich dir die Geschichte vom Tempelhofer Flugfeld, das du noch vor der „Wende“ kennen gelernt hattest.

Gehab‘ dich wohl lieber Freund.
Dieter


ortwin

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Kommentare (1)

Traute Was für ein Leben. Was für eine Welt, in der man hin und her nach Bedarf, muß. anstrengend, bewußtseinserweiternd und abenteuerlich.Aber solche Menschen werden an solchen Stellen gebraucht und die Teamfähigkeit muß da sein. Das geht nicht mit einer Menge Individualisten.
Hochinteressanter Einblick,
freundlichst, Traute

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