Ein Brief kurz vor Ende des Krieges


20.02.2008 Wieder ein Brief von Mutti an Vater
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Eichwalde/Kr. Teltow
10.III.43
Mein geliebtes Herz,
Es war eine große Freude, als ich mir das Päckchen von Deinem Kameraden abholen durfte. Vorgestern rief Herr Borkenhagen bei Frau Schumann an, gestern bestellte es mir Frau Sch., dass ich am Machmittag ein Päckchen in Miersdorf abholen sollte. Ich bin am frühen Nachmittag bei Schneegestöber hinübergefahren, habe aber leider niemanden angetroffen, so dass ich am Abend noch einmal mit Dieter hinüber ging. Um 5 Uhr wollte er daheim sein, um 6 Uhr war ich dort, um ¼ 8 Uhr kam Herr Borkenhagen endlich nach Hause. Ich saß wie auf Kohlen, denn ich dachte dabei an Alarm. Wir haben noch einiges erzählt, als der Rundfunk den Einflug meldete. Wir sind dann schnell heim, es war schauerlich finster und wir fanden kaum den Weg. Als wir hinter der Zeuthener Schule waren, heulten die Sirenen. Da hieß es Trapp laufen. Quitschenaß kamen wir heim, aber Gott sei Dank noch rechtzeitig. Heuteabend saßen wir auch schon wieder im Keller.
Für das liebe Päckchen hab vielen, vielen Dank. Steckt doch darin so unendlich viel Liebe. Die Kinder haben sich mächtig gefreut, denn jeder bekam ein ordentliches Speckbrot, als wir aus dem Keller kamen. Heuteabend hat es auch wieder Bratkartoffeln mit Speck gegeben. Nun kann ich auch mit der schönen Seife unseren Mädchen die Köpfe waschen, wir warten nur auf Regenwasser. Der Käse ist ja prima, besonders der mit Kümmel ist so mein Geschmack. Auch das Stopfgarn kann ich gut gebrauchen. Morgen will ich noch einmal nachZigaretten schauen, denn die sind auch sehr rar hier, seitdem die Fabriken in Berlin ausgebrannt sind. Einige habe ich ja noch hier, Frau Schumann hatte ich ja meine schon zurückgegeben.
Heute sind wieder viele Flüchtlinge angekommen. Heute aus Schwedt an der Oder, sie mussten wegen Artilleriebeschuß raus. Ich hatte wieder viel Lauferei, denn das Unterbringen wird immer schwieriger. Morgen will ich einmal nicht mitarbeiten, ich muß mal wieder zu Hause arbeiten, denn auch wir müssen Alles etwas bereit haben, falls es doch noch fortgehen sollte. Ich will morgen noch mit Herrn Brockenhagen darüber sprechen, er macht einen sehr sympatischen Eindruck. Er spricht sehr nett von Dir, Du erzählst wohl viel von uns. Lieb! Morgenfrüh will ich den Brief nach Miersdorf bringen.
Heute hat es viel gebumst und das beunruhigt doch sehr. 2 Rucksäcke habe ich fertig genäht. Ich nehme den großen Rucksack. Aurelia bekommt auch einen großen Rucksack, Dieter und Nörli auch, Ilse und Uli müssen ihre Decke und Kopfkissen auf den Rücken nehmen.
Wie ich Dir schon schrieb, kann ich erst fahren,wenn wir müssen.Denn ich möchte nicht unnötig die Kinder dem Hunger aussetzen. Hier habe ich noch immer die Kartoffeln im Keller und noch etwas Eingewecktes. Und so ein feiges Türmen, wie 1944 gibt es nicht wieder. Wenn uns der liebe Gott auf die Landstraße schickt, so wird er uns auch weiterhelfen.
Ich weiß nicht, wenn irgend eine Möglichkeit besteht, dass man nach Dänemark könnte, aber das ist sicher verrückt, an so etwas zu denken. Nicht dass ich zu Dir wollte, nur ich weiß wirklich wohin ich mich wenden sollte. Der Westen ist auch nicht gerade sicher, aus Leipzig habe ich auch keine Nachricht, seit langer Zeit.
Noch möchte ich mich nicht aus meiner Ruhe bringen lassen, aber es ist wie mit der Lebensversicherung, man muß an Alles denken. Deshalb will ich alles sprungbereit machen, man kann trotzdem den Garten weiterbestellen und auch BHH lasse ich mir bauen, die Hauptsache wir überstehen die nächsten Monate gut, dann wird gewiß auch die Entscheidung kommen.
Und nun von den Kindern:
Dieter braucht eine feste Hand und viel Haue, es sind wohl jetzt die Flegeljahre. Dazu kommt die viele Freizeit und Sehnsucht nach der Schule . Manche Tage geht es recht gut. Andere Tage ist es dann doppelt schlimm, da hilft dann nur doppelte Härte, das ist wohl die Erziehung. Bärbl ist oft recht launisch, kann aber im Haushalt je nach Lust recht gut helfen. Nörli ist und bleibt unser Besen, gut dass ich mit ihr die wenigsten Sorgen mit der Schule habe, das entlastet sehr. Ilse erholt sich jetzt sehr und entwickelt einen guten Appetit, leider jetzt erst, denn nun kann ich ihr oft nicht Alles so geben, was sie möchte. Ulli ist ein rechter Junge und braucht jetzt auch öfter den Stock, aber sonst ist er doch ein lieber Kerl. Uschi hat die Windpocken und davon etwas Verdauungsstörungen und Appetitlosigkeit zurückbehalten. Langsam auf dem Wege der Besserung. Sonst sind wir jedoch alle fröhlich und lassen uns den Mut nicht nehmen, und wenn wir noch so oft die Sachen rauf und runter tragen müssen in den Keller. Einmal wird der ganze Quatsch doch ein Ende haben, hoffentlich schneiden wir noch so leidlich ab dürfen noch ein Weilchen in Ruhe arbeiten, dann wollen wir froh und dankbar sein.
Nun mein Lieb, wird das Licht bald Schluß machen, darum sei nicht böse, wenn ich Schluß mache, denn wir müssen auch mit den Kerzen haushalten.
Viele Grüße senden Dir alle Kinder, auch die gute Aurelia wünscht Dir Alles Gute.
Bleib gesund mein Lieb!
Hoffentlich sind wir Alle bald wieder beisammen.

Es küsst Dich in alter Liebe
Dein dankbares
Lotting

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Eine Aufmerksamkeit meiner lieben Schwester! Sie schickte mir Arbeit: das Einbinden der Briefe der Eltern, die sich fast täglich schrieben, in unser entstehendes Familienbuch, für uns und Mutters 44 Nachkommen. Mutter ist am 7.September 2007 im Alter von 98 Jahren heingegangen.
Ich hatte diesen Brief beim Abschreiben mit Fußnoten versehen, die leider nicht mitkopiert wurden.
Dieser Brief war nicht 1943 sondern 1945 geschrieben und als Feldpost nach Dänemark gegangen. Das Mädchen Aurelia war eine Ostarbeiterin, die Mutter (Flüchtlingsbeauftragte beim Roten Kreuz) im siebenköpfigen Haushalt beistand, eine Seele, Offiziersfrau aus Litauen.

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