Der Besenstiel in der Französischen Straße


Meine Mutter schrieb 1995 in ihr Tagebuch:
»Dezember 1924 zogen wir nach Berlin. Sie hatten dann auch ein kleines Delikatessengeschäft in der Französischen Straße in Berlin gefunden, neben dem großen Delikatessen-Borchart.«

Das ist ganz nebenan am Gendarmenmarkt.
Kein Wunder, wenn es uns immer wieder dahinzieht.



Der Weihnachtsmarkt auf dem Gendarmenmarkt.


Von nun an feiern wir zusammen jedes Fest und alle Tage davor und danach in Berlin – Ich bin rechtzeitig vor dem Schnee in Berlin angekommen, habe meine Wohnung in Plänterwald bezogen, und so sind wir Beiden recht eng zusammen. Der Weihnachtsbaum steht heuer in Johannisthal.

Mutter erzählte über das Weihnachten 1924 recht nachdenklich:
Ihre Eltern standen auch an den Feiertagen bis spät in die Nacht im Geschäft. Es gab niemanden, der sich um einen Weihnachtsbaum kümmerte. So ist Mutter, fünfzehnjährig, von Stand zu Stand gelaufen und hat Tannenzweige ergattert. Ein Besenstiel musste herhalten, er bekam Löcher eingebohrt. Ein fescher Baum entstand.

Als die Großeltern spät aus dem Geschäft nach Hause kamen, empfing sie das Bäumchen mit brennenden Kerzen. Großmutter heulte wie ein Schlosshund - sie hatte in dem Geschäftstrubel überhaupt nicht an das Zuhause gedacht. Großvater nahm Mutter in die Arme, bedankte sich - die Großmutter war dazu nicht fähig.


Oh, wir Beide denken daran, dass Weihnachten uns gehört.



ortwin

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Kommentare (5)

ortwin Warum liebe ich diesen Flecken "Gendarmenmarkt"?

Mit meiner großen Schwester - sie ist zwei Jahre nach mir in den Familienverband eingetreten, wäre aber viel lieber die Kronprinzessin geworden - war ich von einem Onkel im Krieg in das (Hotel oder Restaurant) Hospiz am Gendarmenmarkt zu einem Essen eingeladen worden. Er muss wohl was Hohes bei beim SD gewesen sein (munkelte man). Die Dame, die mit am Tisch saß, war aber nicht aus der Verwandschaft. Du, ich war so zwölf, dreizehn - was denkt man sich da so?!
Wochen später kam der Onkel kurz zu uns raus aus Berlin, brachte ein Essbeseck vom Hospiz mit, das war alles, was er nach dem Bombenangriff retten konnte. Ich durfte dann mit zum Gendarmenmarkt fahren, als da zwischen den beiden Domen noch Trümmer rauchten - die Bilder kommen in der Erinnerung gerade wieder hoch, fehlt nur noch der Brandgeruch!.

Und nun gehen wir Beide, meine Freundin und ich, wann immer möglich, hin zu unserem Gendarmenmarkt, hatten wir uns vor zweieinhalb Jahren im Schein der Lampen bei einem Glase Rotwein eine gemeinsame Zukunft versprochen - sie hat uns wohl schon soviel Glück beschert.

Der Weihnachtsmann (sie) bescherte mir einen Band von Weihnachtsgeschichten aus der Feder von unserem Lieblingsdichter Theodor Fontane mit einem Bild (als Einband) des Gendarmenmarkt.

Ortwin
loretta Lieber ortwin, danke für deine nette Weihnachtsgeschichte aus dem schönen alten Berlin - so etwas lese ich als Urberlinerin immer besonders gerne - eben nur, dass das Borchardt heute ein exklusives Catering und diverse Restaurants betreibt, in denen vornehmlich berühmtes Publikum wie zum Beispiel die Kanzlerin oder Weltschauspieler dinieren, die dann natürlich auch entsprechende Preise dafür bezahlen.

Da du aus dem Tagebuch deiner Mutter zitierst, möchte ich auch eine Geschichte beitragen, die mir meine Mutter (Jahrgang 1924 und im letzten 20. Januar verstorben) oft zur Weihnachtszeit in Erinnerung gerufen hat.

Ihre Freude war zur Weihnachtszeit immer zwispältig. Meine Großeltern hatten um 1930 ein Haus in Berlin-Rudow gebaut in dem im oberen Stock auch meine Urgroßmutter wohnte.

Jedes Jahr zu Weihnachten bekamen meine Mutter und ihre Zwillingsschwester jeder ein paar "wunderhübsche, schwarze, dicke, wollene, selbstgestrickte Strümpfe", die mit den damaligen Strumpfhaltern zu tragen und dementsprechend lang waren. Sie kratzten wie die Pest und standen den vom letzten Jahr in nichts nach, nur dass sie noch nicht an Zehen und Knien gestopft waren.

Meine Mutter erzählte mir oft von diesen verhaßten Strümpfen. Dabei meinte es deren Oma doch nur gut, denn ihre kleinen Enkelinnen sollten im harten Winter draußen nicht frieren. Widerrede oder Beschwerde zu führen, kam ihnen nie und nimmer in den Sinn. Die Eltern waren sehr streng und Oma hätte es wohl nicht erklären können, wären in einem Jahr diese Strümpfe mal weggefallen.

Ja, so waren sie, die guten alten Zeiten

Es wünscht allen schöne und harmonische Feiertage mit schönen, warmen, weichen Socken und Strümpfen.

loretta aus Berlin-Tegel
ortwin Heuer haben wir keinen Weihnachtsbaum - keine Zeit zum Heranschleppen und Schmücken - aber in Johannisthal haben sich ein Armbund voll Zweigen eingefunden - man hat sie ohne Bezahlung erlassen - da, wo bisher, wenn ich zu Besuch aus Bayern gekommen war, mein LapTop Platz fand, steht der Nadelbusch, fein herausgeputzt. Ich habe Plänterwald verlassen - Flucht aus der "Baustelle" - habe den Bus nach Johannisthal mit einem Rolli bestiegen, Johannisthal hatte mich eine halbe Stunde später wieder - sonst waren es aus Bayern sechs Stunden des Stillsitzens im Zug. Es musste wohl so sein, dass die angebotene Wohnung für mich, so für uns Beide gerade recht und rechtzeitig zu uns passte.
Der Weihnachtsstrauß macht's uns ganz heimelig.

ortwin
Juxman Der Titel erinnerte mich an meine eigene Kindheit und akls ich es las, tatsächlich. Nur war es bei uns etwas lustiger weil der Besenstiel eine Drhung an uns Kinder war. Danke für diese rührende Geschichte, Heiner.
finchen oh, wie erinnnert mich das an meine eigene Kindheit. Bittere Kälte, Schuhe, die nicht zum Fuß paßten, aber ein paar Brikett für den Kachelofen, damit es warm wurde in der kleinen Stube. Aber der Weihnachtsbaum, das war Weihnachten.
Weihnachtliche Grüße
Dein int. Finchen

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