Man kann ja nicht alles auf einmal haben II
II.
Eichwalde
Der Vater konstruierte und baute zunächst einen vierboxigen Karnickelstall. Eine Frau brachte in einem Sack ein Kaninchen an. Und noch zwei weitere kamen dazu. Bald wuchs hinterm Haus ein Hühnerstall, er wurde von einem Zaun umschlossen. Und dann am aus Rüdersdorf eine weiße Ziege, ohne Hörner aber mit ‘nem echten Zickenbart. Und einen Namen hatte sie auch: „Grete“. Mit Mutter machte sie gerne ihre Späße, boxte immerzu, ließ sich garnicht gerne melken, Aber bei Vater benahm sie sich so verliebt, er durfte sie mit seinen feinen Bürofingern melken.
1937 im Februar. Schneetreiben. Mutter nahm mich an die Hand und ging mit mir zur Schule, ab Ostern ging für mich da in der Bahnhofstraße der Ernst des Lebens los. Ich könnte es ausrechnen, wie oft ich den Schulweg nun gelaufen bin: die Schillerstraße runter bis zur Grünauer Straße da lang, die Schmöckwitzer Straße überquert, vorbei am Rathaus, das man zu dieser Zeit ausbaute, bis zur Bahnhofstraße, da links rum in Richtung Bahnhof, rechts an der Feuerwache vorbei, dann in den Schulhof.
Im Sommer musste ich zu Hause bleiben: ich hatte Scharlach! Mutter quartierte sich und mich in das Schlafzimmer ein, alle anderen Familienmitglieder durften nicht in dieses Zimmer. Sechs Wochen waren wir da eingesperrt. Das Laufen fiel mir sehr schwer, ich fuhr am liebsten mit dem eisernen Dreirad, doch dagegen waren die Eltern. Der Ausfall an Schulzeit hatte keine Folgen im Zeugnis angezeigt. Es gab für mich eine kleines Mädchenfahrrad, mit dem ich – ohne Stützräder! – im Märkischen Sand so meine Schwierigkeiten hatte.
Ein Lämmchen kam mit in den Stall. Eine Zentrifuge fand in der Küche Platz, wo dann die täglich anfallende Milch entrahmt wurde. Für den Rahm stand ein Butterfass bereit in das der Rahm eingefüllt wurde und zu Butter geschleudert wurde. Die Butter war etwas blass, also kam als Färbung etwas Kuhbutter dazu.
Für die Tiere, ob Ziege oder Karnickel wurde Futter gebraucht. Also wurde am Schwarzen Weg eine Wiese gepachtet, von der mit dem Fahrrad Säcke mit frischem Gras heran geholt wurde, wenn Vater – er nahm mich oft mit auf diesen Fahrten – sich nach Geschäftsschluss mit hinaus nahm. Zum Mähen war ich noch zu klein, das Harken war auch weniger mein Ding, vielmehr saß ich in dieser Zeit am Flutgraben, beobachtete Wasserläufer und auch Stichlinge.
Die Kolonie der Hasen und Hühner wuchs. Vater baute Ställe in Einheitsform, drei kubische Buchten nebeneinander in einem Stall, der ganz in Dachpappe eingehüllt wurde, zwei Ställe wurden aufeinander gestapelt. Es war so spannend, dem Trommeln der Rammler zuzuhören. Eine Fuhre Heu kam, wurde im Garten unter einem Schutzdach aufgebaut. Zwischen den beiden Taxusbüschen, die den Blick auf die Waschküche verhinderten, gab es eine Tonne für reine Tierjauche. Überhaupt musste die Jauchekute im Garten – kein Anschluss an das Öffentliche Abwassernetz – mit ‘nem Jaucheschöpfer von Zeit zu Zeit geleert werden, die stinkende Brühe kam auf Beete und Komposthaufen, zumeist an Regentagen buckelte sich Mutter damit ab.
Im Hühnerstall waren Fallnester eingebaut: ein Huhn, dass sich das Poloch auf dem künstlichen, gasigen Legeei erwärmen wollte, hob mit seinem Buckel die Fallklappe aus der Halterung, die sich dann hinter dem Huhn schloss. Naja, so gut, dem Legen tat das gut, aber wie da wieder rauskommen?! Der ganze Hühnerhof schloss sich dem Klageruf der Gefangenen an – ein Zeichen für Mutter (und später auch für uns Großen), das Huhn beim Freiwerden abzufangen, das Ei aufzunehmen und die Nummer vom Nummernschild am Flügel zu registrieren. Es wurde genau Buch geführt. Dabei gab es da eine Leghorn-Henne, die auf über dreihundert Eier in dem Jahr kam, die letzten hatten schon keine harte Schale mehr – auf der Suppe sah man kein einziges Fettauge.
Auf dem Nachttisch der Eltern stand ein zylindrischer Kasten: eine Brutmaschine. Die wurde elektrisch beheizt, ab und an wurde etwas Wasser eingefüllt, die Bruttemperatur immer kontrolliert. Die zum Brüten ausgesuchten Eier waren zuvor durchleuchtet worden, ab und an wurde jedes nochmals besichtigt, um zu sehen, ob da ein kleines Küken im Ei heran wächst. Und dann kam der Zeitpunkt, wo die kleinen Einwohner so eines nach dem anderen ihre Gehäuse aufpickten und erste Piep-Töne von sich gaben.
Im Garten, nahe am Haus stand ein elektrisch beheiztes Küken-Haus. Eine Infrarotlampe erwärmte die im Haus erst einmal untergebrachten Küken. Kinderstube. Und das weit vor Ostern. Ein herzlich liebes Gepiepse. Mit der Frühlingssonne wurde ein Gatter um das Küken-Haus installiert, Auslauf für die junge Schar. Und bald vernahm man das krächzende Singen der jungen Hähne, es konnte passieren, dass mehr Hähne als Hennen in der Brut aufwuchsen – und dabei hatte Vater doch mit einem Kreiselnlassen seines Eheringes die „Spreu vom Weizen“ trennen wollen. Also wurde ein Besenstiel so zur Hinrichtungsstelle, die kleinen Hähnchen hingen da koppheister – so wie bei Witwe Bolte und Max und Moritz.
Bei den Hühnern gab es so viele verschiedene Rassen: Leghorn, Rodeländer, Italiener und Zwerg-Wyandotten. Letztere wurden für eine Ausstellung beim Kleintierzüchter-Verein in Schulzendorf ausgelesen, gewaschen und in Einzelboxen eingesperrt. Die Boxen kamen auf den Handwagen und ab ging es zur Ausstellung. In das Badewasser der Hühner kam auch unser Hund Pucki gleich mit rein. Nur der arme Kerl übernahm damit die Hühnermilben und kratzte sich ganz wild.
Der Hühnerhof wurde zu klein, Vom Hof entlang des Ganges zwischen Haus und Wilkes Nachbarzaun bis in den Garten wurde eine (auch obendrauf) eingezäunte Gasse erstellt und damit im Garten ein weiteres Areal für die Hühner aufgebaut.
Pucki war ein friedlicher Hund, ihn brachte eigentlich nur der Terrier von Schillerstraße 40 zur Weißglut, Mutter musste da des Öfteren mit einem Eimer Wasser dazwischen gehen, wenn die Beiden sich mal wieder zerfleischen wollten. Sonst aber lag Pucki neben dem Küken-Gehöft und döste in den Tag. Blinzelnd schielte er den Küken zu, die da im Sand scharrten und pickten. Eines von den Kleinen war so dreist und pickte ihm auf die in der Sonne glänzende, feuchte Nase. Einmal, zweimal – Mutter hatte das Spiel aufmerksam beobachtet – das war Pucki zu viel, seine Pfote kam durch eine Masche im Zaun, patschte nach dem Viecherl. Das war tot. Er zog e ganz vorsichtig aus dem Gatter und apportierte es zu seinem Platz unter der Gartenbank. Als Mutter zu ihm hinging, zeigte sein Dackelblick so wehmütig an, dass er wohl damit sagen wollte. „Es tut mir leid – das wollte ich nicht!“ Unser Pucki!
20.April 1938. Führers Geburtstag! Tag zu vor: In Eichwalde wurde eine motorisierte Einheit der Wehrmacht einquartiert. Die Soldaten putzten ihre Kübelwagen, die wurden aufgetankt, machten mit uns Kindern kleine Rundfahrten und standen dann für die Parade in den Straßen in Reih und Glied. Unser Haus hatte keinen Soldaten abgekriegt, unser Haus war zu voll dafür.
Und dann kam der besondere Tag: Vater fuhr mit mir mit der Bahn zur Ostwest-Achse, im Tiergarten fanden wir einen Platz. Ich schlüpfte nach vorne vor die Menschen, die, wie Vater und ich, der Parade zuschauen wollten. Einige hatten sich Hocker mitgebracht, andere hatten sich mit Spiegeln Periskope gebastelt. Unsere Kübelwagen, dann die Panzer und Geschütze rollten an uns vorbei, über uns eine Flotte von Flugzeugen. Und dann war das Schauspiel fast zu Ende, da kam der Führer in seinem offenen dreiachsigen Mercedes stehend vorbei – jubelte das Volk? Ich kann mich daran nicht mehr erinnern, nur eben, dass der Führer zu mir hingeguckt hat. In Eichwalde war abends noch ein Fackelzug angesetzt. Und wir liefen alle mit. Ein langer Tag. Man weckte mich sitzend auf dem Klo.
Im Mai kam Schwesterchen Ilse in Karlshorst zur Welt. Jedes der (drei) Geschwister bekam ein Sträußchen Vergissmeinnicht in die Hand. Herr Bayer kam mit seiner geräumigen Mercedes-Taxe vorgefahren und ab ging es, Mutter und Schwesterchen abzuholen. Im Sommer war dann Namensweihe. Onkel und Tanten kamen zur Feier, in der Schillerstraße vor unserm Gartentor standen einige Autos.
Es kam die erste Erntephase im Garten: Stachelbeeren und Johannisbeeren mussten verarbeitet werden. Dieses doofe Pflücken der Johannisbeeren, wir hätten uns am liebsten davor gedrückt. Aber alles spielte sich in dem achthundert Quadratmeter großen Grundstück ab. Es gab ganz begrenzten und begründeten Ausgang – „Wir sind keine Gassenjungen!“
Was es jetzt immer häufiger gab, waren Luftschutzübungen. Die Fenster mussten verdunkelt werden, kein Bisschen Licht durfte nach draußen dringen. Überhaupt war viel von Partei, SA, SS und Hitlerjugend zu sehen. Seit wann trug unser Vater so eine braune Uniform?! Vater war zum Reichsparteitag in Nürnberg. Deutschland bekam die Ostmark – Großvater kaufte mir bei unserem Besuch in Berlin eine ganz große Deutschlandkarte, die über die Ränder des Esstisches hinausragte.
Die Eltern hatten vor Weihnachten viele Dinge für uns Alle neu eingekauft, Kleidung, Schuhe usw. „Das muss jetzt Jahre reichen, wollen wir doch bauen“. Wir Ältesten bekamen Boxcalf-Stiefel verschiedener Größen, so sie doch immer an das nächste Geschwisterchen weitergegeben werden sollten – wenn wir doch auch alle in Reih und Glied wachsen würden.
In den Ferien zog die Familie los, wanderte von der Schillerstraße hin zum Gasthof Palme in Schmöckwitz. Dort legte die Stern-Schiffahrt (noch mit zwei „f“) an, es ging zur Woltersdorfer Schleuse – jeder Berliner kennt die Reiseroute, die u.a. über den Großen Müggelsee führt. Die Dampfer (damals wirklich Dampfer) mussten bei jeder zu unterfahrenden Brücke den Schornstein einknicken.
In den Sommertagen ging es sonntags hinaus in die Wälder zum Pilze und Beeren suchen. Mit verschiedenen Übungen schaffte es Mutter, dass ihr die Weckgläser mit Pilzen nicht mehr aufgingen. Sonst aber gab es reichliche Arbeit im Garten. Als die Fleischmanns in Eichkamp eine Garage und Terrasse am Haus anbauten, blieben ganze Fenster übrig, die nun in Eichwalde die Frühbeete abschlossen. Vater versuchte das Pikieren und Pflanzen mit selbst gepressten Erdtöpfchen zu erleichtern. Uns Kindern blieb die Aufgabe, die Raupen des Kohlweißlings einzusammeln.
Tomaten gab es reichlichst. Aus ihrem Fleisch wurde der Saft ausgepresst, das Mark kam auf dem Komposthaufen. Das hatte dann zur Folge, dass im Folgejahr überall junge, aber kräftige Tomatenpflanzen an den unmöglichsten Stellen im Garten wuchsen. Gelbe und rote Tomaten, wild durch einander. Es gab Kürbis und Gurken, Möhren und Mangold, Salat und Spinat. Es gab im Garten keinen Rasen, nur noch Boden für Gemüse.
Wir hatten so ein richtig kleines Paradies. Wenn Opa vom Botanischen Garten in Berlin zurückkehrte, brachte er manches interessante Gewächs mit, scharrte mit seinen braunen Lackstiefeln eine Mulde in den Boden, warf da rein das Mitbringsel, schob mit dem Schuh etwas Erde drüber. „Ich habe dir da etwas mitgebracht, du brauchst es nur zu gießen!“ Das waren so die Liebesbezeugungen an seine Schwiegertochter.
Wer groß genug war und noch nicht zur Schule musste, ging in den NSV-Kindergarten. Als Eichwalde wieder ein Fest feierte, so mit Umzug und so, da hatte der Kindergarten auch einen eigenen Wagen aufgebracht. Kannst du Bärbel auf dem Wagen finden?
bis später!
ortwin
Wie Du das Leben beschreibst, spielte es sich in Ostpreußen im Samland bei uns im Dorf, Langendorf ab.
Wir waren fast Selbstversorger. Es gab so gut wie keinen Abfall, alles wurde von Mensch und Tier verwertet.
Bei einem Besuch in der Heimat, fand ich den Klarapfelbaum noch im Garten, alt und knorrig. Einen Fliedertrieb habe ich mit ein bisschen Heimaterde ausgebuddelt und er wächst nun in sächsischer Erde, bei meinem Sohn im Garten.
Dem Gutsbesitzer der als Export Import Geschäftsmann in Hamburg landete, habe ich aus seinem Gutspark ein Fliederbäumchen ausgebuddelt und per Botin übergeben lassen. Der wächst inzwischen auf seinem letzten Ruheplatz.
Schade, dass er schon so alt war. Er wäre so gerne noch einmal nach Hause gefahren. So konnte ich ihm Fotos vom Haus und den Ställen machen und er war überglücklich.
Was ist es nur, dass uns die Heimat so lieben lässt?
Danke für den Bericht,
Liebe Grüße,
Traute