Man kann ja nicht alles auf einmal haben I
I.
Als die Eltern im August 1929 in der Kirche im Grunewald sich das Ja-Wort gaben, war das in einer nicht gerade vertrauenserweckenden Zeit – Ihr habt es wohl mitbekommen.
Mutters Schwester hatte einige Zeit zuvor geheiratet, eine tolle Partie. Man hatte mit der GAGFA in Eichkamp eine Doppelhaus-Hälfte gekauft, die Unterstützung dazu kam vom Kirchenpräsidenten aus Speyer. Mutter und ihre Eltern zogen da mit nach Eichkamp. Mutters Vater war ausgerechnet vorher einem Betrüger aufgesessen, hatte das nach der Flucht aus Moskau mühsam erwirtschaftete Vermögen bald nach dem Einzug nach Berlin verloren.
So wurde eben für das junge Paar beim Tandler das Wichtigste für den neuen Hausstand zusammengekauft – damals hatte man diese Art der Beschaffung noch nicht mit „Second Hand“ bezeichnet, man sprach noch Deutsch. Entsprechend waren die persönlichen Wünsche und Vorstellungen drastisch gedämpft worden.
Vater und Mutter waren handwerklich geschickt. Es wurde tapeziert, die Böden und Fensterrahmen gestrichen. Vaters Vater zog mit in die Wohnung in Niederschöneweide ein, stand den Kindern finanziell etwas bei. Denn die „Brüning’schen Spar-Gesetze“ trafen viele Haushalte empfindlich.
So wurden Kleinmöbel gebastelt – die Unterseiten der Schubladen zeigten die Herkunft der Hölzer: Persil-Kisten – damals eben noch aus Holz. Während Vater mit Säge und Hobel hantierte, zeigte Mutter ihre Fähigkeiten im riefenfreien Anstreichen der Möbel. Vater bekam seine Aktenschränke in tiefschwarzem Beizanstrich, während die Möbel für Schlafzimmer und so weiter in weiß gepinselt wurden.
Es wurde eifrig gespart, sie hatten ein Ziel: für die gewünschten acht Kinder ein richtig schönes Heim aufzubauen. Ein Haus im Grünen, mit Garten und vielleicht auch etwas Getier. So war zunächst erst einmal Hans‘ Faltboot das Bewegungsmittel Beider durch die Mark Brandenburg, wenn am Sonntag nicht gearbeitet wurde. Mit von der Partie war Großvaters Dackel Pucki, der vorne auf der Bugplane die Reisen mitmachte, bis er einmal in einer Schleuse ins Wasser plumpste – ihm war nichts passiert, er stand sich noch immer schüttelnd am Unterwasser, war von da an immer unter Deck zu finden.
1930 veranstaltete der „Olle Wertheim“ für den ersten Durchgang seines Abendgymnasiums in Berlin eine Deutschland-Tour. Die Eltern, die sich ja in dem Abendgymnasium kennen gelernt hatten und sich im kalten Winter 1929, am 3.Februar, in der Wuhlheide heimlich verlobt hatten, durften Beide mitfahren – und ich? War heimlich dabei. Manches durfte Mutter nicht mitmachen, wie z.B. einen Rundflug über München. Elf Jahre später hielt ich ein Exemplar der Schüler-Zeitung von damals in den Händen, an ihm waren noch Abdrücke meiner ersten Zähne zu sehen, da konnte ich lesen, was die Eltern da miterlebt hatten.
Und 1931 öffnete sich für mich der Fallschirm nach dem Aufschlag im Elisabeth-Krankenhaus in Karlshorst zur Landung in der Hainstraße in Niederschöneweide. Das werden heuer achtzig Jahre, ich bin das erste Kind in dieser Familie. Mit mir ging es hinaus in die Wuhlheide, nach Bellinchen an der Oder, nach Falkensee zur Großmutter und, und, und.
Ein Problem gab es: in die Neubauten in der Hainstraße hatte man Schutt von abgerissenen Altbauten mitverwendet. Damit hatte man auch Wanzen einquartiert. Als die Eltern dann mal spazieren waren, zurückkamen und erlebten, dass man das Haus gerade gegen die Wanzen vergaste – und ich lag da in meinem Bettchen! Es ist gut gegangen, man hat mich gerettet.
Die nächsten Wohnungen lagen in Oberschöneweide in der Zeppelinstraße und – da war dann Schwester Bärbel (1933) schon angekommen – in der Rathausstraße (heute: Griechische Allee). Mutter musste nach einer Operation zur Kur. Bärbel kam für diese Zeit nach Eichkamp. Als sie wieder nach Hause gebracht wurde, fremdelte sie … bis, ja bis sie beim Ohrenwaschen rief: „Mutti!“ – Ja, unsere Mutter hatte einen eigenartigen Griff beim Ohrenwaschen: nicht hart, aber irgendwie wie eine kleine, unverwechselbare Zeremonie, einprägsam.
Die Eltern kauften sich Fahrräder, das Faltboot lag eingemottet auf dem Boden. Vater hatte immer was zu tun. So bastelte er für den Knaben einen Bahnhof, ein Wärterhaus, Schranken und Lampen für die Eisenbahn, die der Weihnachtsmann 1935 brachte.
Mutter war es morgens oft sehr übel – wir lernten, dass das von dem Kindchen käme, das sie unterm Herzen trug. Wir durften zu Mutter mit unter die Bettdecke schlüpfen, durften fühlen und erleben, wie das kleine Wesen sich da bewegte, strampelte. Das Körbchen stand bereit, war herausgeputzt, da sollte also das künftige Geschwisterchen einziehen. Das war Anfang 1936. Ein Klapperstorch hat sich bei nie verirrt.
Der Vater stellte uns bei dem Schein von aus Alu-Topfkuchenformen gebastelten Fotolampen an das Körbchen, Schwester Bärbel brauchte noch eine Fußbank, um dann mit mir in das Innere des Körbchens zu blicken, Zielpunkt war eine auf dem Kopfkissen ausgelegte Zigarettenschachtel. So wurden wir auf Glasplatten geknipst, die der Vater entwickelte. Aus dem Badezimmer wurde eine Dunkelkammer, wo Vater von den Negativ-Platten auf Postkarten-Papier Abzüge produzierte. Da hing an der Wand ein in seiner Höhe über einen Schlitten verschiebbarer Kasten, der im Innern eine Lampe barg, deren Licht durch die Fotoglasplatte über das Objektiv des Fotoapparates auf das im Dunkeln eingelegte Fotopapier fiel. Ein Rahmen hielt das Papier fest, das Licht im Kasten wurde eingeschaltet, Vater zählte „Einundzwanzig – zweiundzwanzig – dreiundzwanzig“ und immer weiter, bis soviel Licht auf dem Papier gelandet war, wie er festgestellt hatte, dass die Belichtungszeit ausreichte, nach Entwicklung des Papieres das Bild wiederzusehen, wie es einmal in Natura festgehalten war – eben nur jetzt schwarz-weiß.
Über die Badewannenseiten waren zwei alte Reißbretter gelegt, auf der sich zwei Schalen befanden, an deren Wänden je eine Fotozange festhielt. Das belichtete Papier – das geschah alles bei ganz schwachem Rotlicht im Badezimmer – wurde in die eine Schale mit Entwicklerflüssigkeit getaucht und eine Weile etwas hin und her bewegt, und anschließen landete das Papier in der zweiten Schale mit dem Fixierbad, schließlich plumpste das Papier in die mit Wasser gefüllte Badewanne. Da war erst einmal Pause für alle die ebenso behandelten Papiere.
Nachdem die gewünschte Anzahl an Postkarten im Wasser gelandet war, sie alle ihr reichliches Bad überstanden hatten, kamen sie einzeln zum Trocknen in die elektrisch beheizte Trockenpresse. Danach wurde sie beschnitten.
Vater hatte mit der Schreibmaschine eine Matrize für einen postkartengroßen Stempel vorbereitet. Was er schon tun konnte, war das Eintragen der Anschriften aller zu benachrichtigenden Empfänger. Auch Briefmarken konnten schon aufgeklebt werden: sechs Pfennige für die Empfänger in Berlin sonst eben sieben Pfennige.
Mutter ging mit ihrem Köfferchen nach Karlshorst ins Krankenhaus – der Vater brachte sie wie früher auch bei uns mit der Taxe dorthin. Irgendwann kam er mit der Nachricht nach Hause, dass wir beiden Großen (fünf und drei Jahre alt) ein Schwesterchen bekommen haben.
Vater vervollständigte die Matrize mit dem Namen unserer kleinen Schwester, die „Eleonore“ heißen durfte. Uns war dieser Name zu umständlich, so nannten wir das kleine Mädchen immer „Nörli“. Vater stempelte mit der Matrize alle vorbereiteten Postkarten, dann auch prompt mit der nächsten Post auf Reisen gingen. Die Berliner Empfänger staunten nicht schlecht, als sie mit der Nachmittagspost schon die Botschaft lesen konnten.
Und dann war der kleine Erdenbürger in dem Körbchen gelandet. Wir durften zusehen, wenn Mutter ihm die Brust gab. Alles drehte sich um unser Nörli. Es kam der Sommertag, an dem in Schöneweide die Taufe stattfinden sollte. Mutter schneiderte hübsche Kleidungsstücke für ihre Rangen.
Die Taufe fand in der Christus-Kirche in Oberschöneweide statt. Irgendetwas muss unserer Mutter am Gebaren des Pastors nicht gefallen haben (das erzählte sie mir später einmal als Begründung des Kirchenaustrittes). Die Gäste kamen, reisten wieder ab. Ich durfte mit zwei Cousinen mit nach Dessau.
Bald darauf ging es auf Wohnungssuche. Mit Haustochter und uns Rangen zog Mutter durch Berlins Randgebiete, um eine passende Immobilie zu finden. Da waren wir einmal in Schöneiche, wo ein Apotheker seinen unfertigen Neubau anpries. Und letztlich wanderten wir durch die Märkische Heide vom Bahnhof Grünau nach Eichwalde, besuchten rechts und links der Görlitzer Bahn Angebote.
Im Herbst 1936 kam der Möbelwagen in die Rathausstraße, postierte sich in der Parsevalstraße. Der Kaufmann an der Ecke fuhr uns hinaus nach Eichwalde. Die Ziehleute schleppten das Mobiliar vom Möbelwagen durch den Garten ins Haus. Als alles drinnen war, saßen Alle zusammen und aßen Mutters Möhrensuppe, die sie auf dem (von nun an genutzten) Elektroherd gekocht hatte – es kann aber auch sein, dass sie die Suppe noch in Berlin zubereitet hatte, hier nun also nur warm gemacht hatte. Es war dunkel geworden, und so wurde kreuz und quer auf den auf den Boden ausgelegten Matratzen geschlafen.
Der Morgen in dem neuen Zuhause war eigenartig. Die Sonne kam weiß blinzelnd in den Garten, Tau hatte sich in Hirtentäschel und Schachtelhalm verfangen. Ein großer Garten empfing uns, die wir unsere erste Nacht da draußen zugebracht hatten. Einige Zeit später kam Großvater, der diesem Tohuwabohu mit Hund Pucki zu seiner Freundin ausgewichen war. Wir Kinder begannen das Neuland zu observieren.
Ein rechteckiges Grundstück, soo achthundert Quadratmeter groß, viele Obstbäume und –sträucher, Rasen, ein mit Klinkersteinen gepflasterter Weg vom Gartentor zum weiter hinten liegenden Haus. Links und rechts vom Gartentor versperrten Fliederbüsche von der Straße aus den Einblick zum Grundstück. Anders die Blicke vom Haus aus: links und rechts konnte man durch die Zäune in die Nachbargrundstücke sehen, rechts vorne in der Ecke zu Wilkes standen Nußbaumbüsche und links am Zaun zu Bärs stand ein Elektroschaltkasten, der ehrfürchtig betrachtet wurde, er war für uns versperrt. Und hinterm Haus gab es zu Bärs hin einen Schuppen, so eine Waschküche und ein kleiner Stall und aus früherer Zeit die Reste eines Plumpsklos. Zu den Nachbarn auf der Rückseite stand ein Schuppen der Vermieter, für uns nicht zugänglich.
Also ein Areal, das den Eltern und uns Kindern von da an ein Zuhause auf neun Jahre hin wurde. Wie sehr es uns da gefiel, obwohl dies doch nur eine Übergangsbleibe bis zum Bau des eigenen Hauses in Bernau sein sollte. Gespart wurde dafür bei der Bausparkasse Wüstenrot. Für uns Kinder hatte Vater, der wie Großvater bei der Lebensversicherung „Friedrich Wilhelm“ in der Behrenstraße in Berlin arbeitete, gleich von Anfang an eine Versicherung bei der Volksfeuerbestattung abgeschlossen ( Monatsbeitrag: 25 Pfg. diese Versicherungen haben die Zeiten überlebt, waren alle komplett eingezahlt!).
Bleiben wir mal die neun Jahre in Eichwalde, erleben wir mal das Werden und Wachsen der Familie.
--- weiter später
ortwin
Kommentare (0)