Wo ist das Christuskind geblieben?
Wieder ist Weihnachten. Kann das sein? Ist es wirklich wieder so weit? Waren die Krippenfiguren nicht erst gestern verpackt worden?
Also gut, auf ein Neues!
»Heinzi, holst du bitte die Krippenfiguren aus dem Keller?«
»Welche Kartons sind das?«, fragt Heinz. Mutter räumt gerade den großen Tisch frei.
»Na, du weißt es doch noch, die drei großen Gelben!«
Heinz, der elfjährige Spross der Familie, läuft die Kellertreppe hinunter. Marlenchen, die sechsjährige Schwester, stapft hinterher. Mutter ruft ihnen noch nach: »Aber vorsichtig! Nicht fallen lassen!«
Ja, nun stehen die drei Kartons im Zimmer. Alle machen sich daran, die Figuren auszupacken. Das große Krippengebäude entnehmen sie dem dritten Karton. Es ist wunderschön, als Stall gebaut, mit Reetdach und der Futterkrippe in der Mitte, in der einen Ecke eine ›Feuerstelle‹, in die ein Teelicht hinein passt. Der Platz für die Krippe ist schon traditionell vorgegeben: Neben dem großen Fenster, der riesige Philodendron muss halt für diese Zeit in die Diele ausweichen.
Die wunderschönen Figuren aus Ölbaumholz, handgeschnitzt, ein Geschenk von Tante Marlies, sie hatte diese damals aus Israel mitgebracht, stehen in Zeitungspapier noch gut verpackt, auf dem Wohnzimmertisch. Und nun beginnt der spannende Teil: das Auspacken der Figuren! Nach dem letzten Weihnachtsfest hatte Papa noch alles gut in alte Zeitungen eingewickelt, vorsichtig in den Kartons verstaut, damit auch nichts beschädigt werden konnte. Dieses Jahr ist Papa noch mit dem Truck unterwegs, er wird erst übermorgen, am Tag vor dem Heiligen Abend wieder bei der Familie sein.
Eine nach der anderen Figur wird nun vom Papier befreit. Da stehen sie nun, bereit, ihren Platz an der Krippe einzunehmen. Da ist zunächst Maria, die Gottesmutter, wunderschön im blauen Gewand, dann kommt Josef, mit einem Vollbart im Gesicht und braunem Umhang bekleidet. Nach und nach erscheinen dann die Hirten, mit langen Stöcken und breitkrempigen Hüten. Es folgen die drei Weisen aus dem Morgenland in prächtigen Gewändern und mit Geschenken in den Händen.
Diese geschnitzten Figuren sehen wunderschön aus, es war wirklich ein Künstler, der sie aus dem Holz des Olivenbaums geschnitzt hatte.
Sieh da, es kommen noch eine Reihe von Figuren ans Tageslicht. Schafe und Ziegen und noch zwei Kamele! Dann ist da noch der weiß gekleidete Engel, der seinen Platz vor dem Stall erhält, damit er seine bekannte Botschaft den Menschen übermitteln kann. Es sieht alles wunderschön aus, alles hat seinen Platz bekommen, jeder steht an der Stelle, die ihm zugedacht ist.
Mutter kramt noch in den Kartons herum, wühlt im Papier der Verpackung, wirft dann verzweifelt alles aus den Kartons heraus. Sie schüttelt fortwährend ihren Kopf und ruft dabei ganz aufgeregt:
»Ich verstehe das nicht. Das kann doch nicht sein!«
Mutter scheint verwirrt zu sein. Erschöpft sitzt sie auf dem Boden neben den leeren Kartons. Auf Heinzis Frage: »Was ist denn los?« antwortet sie mit ratlosem Achselzucken.
Und dann kommt von Marlenchen die Antwort auf alle Fragen, die plötzlich aufgetreten sind.
»Aber Mama, wo ist denn das Jesuskind?
Wir haben ja das Jesuskind ganz vergessen …«
©by H.C.G.Lux
Kommentare (5)
Liebe Carola, was sollte ich dazu noch bemerken? Leider gibt es keine entsprechende Formel für eine Rückbesinnung.
Ich denke eher, dass der eigentliche Anlass nur noch als Selbstbeweihräucherung dienen wird, man sieht es schon daran, dass das "Weihnachtsgeschäft" als der umsatzstärkste Teil des Jahres angesehen wird. Es ist wirklich traurig, dass der Anlass profanes Denken in den Mittelpunkt stellt.
Wir werden es nicht ändern können, dennoch werde ich zeitlebens dagegen sprechen ...
Einen schönen Rest-Advent für Dich
Horst
Hübsche Erzählung...aber, lieber Pan, auf das Jesuskind warten die Menschen nun seit fast 2000 Jahren und werden es wohl kaum in altem Zeitungspapier finden, weder geschnitzt noch sonst wie „gebastelt“. Wenn es kommt, dann für Menschen in unvorstellbarer Lebendigkeit…
...denkt sich in seiner einfach gestrickte Naivität
Syrdal
Vollkommen richtig! Meine Frage dazu ist nur: WOZU eigentlich Weihnachten? Wenn also die Geburt J.Chr. so unwichtig ist, dass sie einfach vergessen werden kann - wozu das Ganze?
(Übrigens: für die christlichen Kirchen gibt es keine Warten auf den Messias mehr, weil er ja schon geboren ist. Laut Glaubensbekenntnis! )
Das Warten auf den Messias gehört zum Judentum.
Die Idee des Messias entstand nicht mit Blick auf diese eine besondere Person. In der Zukunft sollte wieder entstehen, was man als eine Zeit der Autonomie erinnerte, als man näher bei Gott war, und all diese Hoffnungen und Ideale konzentrierten sich mit der Zeit auf eine Person, die namenlos bleibt.
Davon abgesehen - ohne das ganze Gewusel um dieses hochdramatische Commerz-Fest:
You have surprised us very much and therefore we are grateful for this gesture! All the best for you for the coming days!
Horst
(Ingrid wird Dir noch persönlich schreiben ...)
@Pan
Ach ja, ein großes Thema mit sicher vielen Überraschungen, aber viel zu groß für mich, ich bin da wesentlich zu klein…
...gerade mal groß genug, liebe Grüße zum 3. Advent formulieren zu können, aber herzlich gemeint von
Syrdal
Guten Morgen Pan,
wo ist das Christuskind geblieben? Nicht nur eine gute, sondern auch eine berechtigte Frage. Ich habe den Eindruck es verschwindet mehr und mehr aus der Weihnachtszeit. Die angeboten Dekorationen nehmen zwar zu aber im gleichen Masse geht der Sinn verloren. Viele feiern einfach nur noch den Christbaum und die Geschenke. Das beste Beispiel ist das Wort X-mas statt Christ-mas, das mich wirklich stört, denn hier ist Jesus komplett ausgesperrt worden.
Ich hoffe sehr, dass irgendwann eine Rückbesinnung stattfindet. Aber ich bezweifle es.
Danke für Deinen Beitrag. Ich wünsche Dir einen frohen 3. Advent.
Liebe Grüße, Carola