Persönliche Zeit- und Personenbilder 1915 – 1981 Kapitel 15



Gemeinsam auf frühen Spuren


Wie fuhren eines anderen Tages auch weiter, bis nach Kiel, und besuchten unser altes, jetzt neues „Institut für Weltwirschaft und Seeverkehr“. Mit Genugtuung fanden wir in der Kartei der 1,6 Millionen umfassenden Bibliothek die Dissertation von Kurt, auch noch in einem Spezialdruck. Und mit Genugtuung ließen wir uns vom Direktor Dr. Heidemann bestätigen, das es die erste Arbeit gewesen ist, mit der man die Bezeichnung des Instituts mit „Seeverkehr“ erst richtig hat legitimieren können. Es sei überhaupt nur noch eine zweite Arbeit dieser Art im Institut entstanden.

Diesem Höhepunkt gewissermaßen gesteigerten Selbstgefühls folgte sehr bald darauf ein Tiefpunkt, als wir jenseits des Düsternbrooks die alte Caprivi-Strasse aufsuchten, in der Kurt gewohnt hatte, und meine Moltkestrasse dann gleich um die Ecke. Welches war die widrige Erinnerung, die uns packte? Eine Demütigung sondergleichen für Kurt, als er dort in der Villa des Konteradmirals a. D. v. Schröder wohnte.

Im Grunde war er immer so erwünscht gewesen, dass er oft gebeten wurde, unten im Salon auf dem Piano-Flügel vorzuspielen. Das hatte ich selbst erlebt, mit einigem Stolz auf meinen Freund. Kurt spielte alles, vieles ohne Noten. Sie war ja, wie man so sagt, eine „feine alte Dame“, sagte Kurt mit einem Mal, aber eines Tages habe die „gnädige“ Frau v. Schröder ihn gebeten, der allgemeinen Umstände halber auszuziehen. Darauf schoss es mir in den Sinn, zu verraten, dass meine „Wirtin“ in der Moltkestrasse, Gattin eines bekannten Kieler Rechtsanwalts und stolze und betont geborenen Franzius aus Bremen, mir ihr Missfallen zum Ausdruck brachte, dass ich in den Strassen dieses vornehmen Viertels mit einem Juden spazieren ginge und auch ins Haus kommen ließe. Worauf ich leider nicht ausgezogen bin. Ich liebte von ihren Töchtern die 14jährige Ruth wohl viel zu sehr und half gern bei den Schulaufgaben. Indessen Kurt dann ja in die Emigration ging und viel Schlimmem entging, hätte ich das auch mit seiner Hilfe haben können. Hätte mich nur etwas mehr an eine junge Freundin seiner Familie hängen brauchen, als ich mal 8 Tage zu Gast im Hause von Kurts Eltern war. Sie stand vor der Abreise nach Genf. Ich sollte dann zum „Internationalen Roten Kreuz“ kommen. Vielleicht wäre ich auf Alfred Polak gestossen, wäre möglicherweise mit ihm nach Spanien gegangen und Alfred wäre nie erschossen worden. Gar nicht auszudenken.

Hier war es wieder mal der Fall, dass ich im Gegensatz zu Kurt die freie Wahl hatte und mich für mein Vaterland entschied. Meine Mutter und mein Vater und die Brüder waren ja noch, und ich liebte sie wohl zu sehr mitsamt Land und Leuten, Haus und Hof (den ich mal haben sollte). Aber der Preis, den ich zahlte, war dann noch manches Opfer und einiges Leid, das noch darüber hinausging, dass ich Hitler-Soldat werden musste. Diese Erlebnisse vermied ich Kurt und Elisabeth zu erzählen und habe darum auch ihren Wunsch abgebogen, meinen Hof oben an der Küste zu besuchen und vor allem Ahndeich, mein Elternhaus, wohin ich Kurt und Elisabeth in der Nazi-Zeit mal eingeladen hatte.

Diese Kühnheit sollte mir dann bald die Absprechung meines Anerbenrechtes einbringen. Mein Bruder war nicht schuldlos daran und zog dann aus diesen und anderen begangenen Unwürdigkeiten die Konsequenz und schied freiwillig aus dem Leben.

Kein Wort davon, wir hätten’s wohl beide nicht ertragen. Was kam dann aber alles zur Sprache, in den Stunden, die wir in meiner kleinen Hausbibliothek zubrachten! Wir diskutierten über den Aufsatz „Compassion“ im „American Scholar“, den ich mir mal fotokopiert hatte. Gibt es die Alternative von „competitive society“ und einer „compassionate society“? Das Fragment meiner Carter-story, eine Chronik dieses „Hosiannah“ und „Kreuziget ihn“ eines amerikanischen Präsidenten möge ich druckreif machen, meinte Kurt, nachdem er hineingeschaut hatte. Es sei noch nicht aller Tagen Abend. Wieso ich die Zeitschrift „Polen“, aus Warschau kommend, abonniert habe? Ich erinnerte an Enno Meyer, der bei der Verleihung des Verdienstkreuzes auf eine ähnliche Frage geantwortet hatte: „Die Polen tun mir leid.“ Ich sehe gleichermaßen, wie neben den Juden einst, in den Polen das meist geprügelte Volk und glaube, dass Polen wie der Christus unter den Nationen ist, immer zwischen Kreuzigung und Auferstehung. Wenn das alles überstanden ist, werde ich mich den Schwarzen zuwenden, womit ich im Grunde schon vor langer Zeit angefangen habe und zeigte Kurt das.

Wir hatten noch einen Abschiedsabend beim besten Wein, der in Oldenburg zu beschaffen war, und Spass hatten wir, Kurt verblüffte durch seine Erinnerung an uralte Witze, über die wir angesichts seiner unvergleichlichen Mimik gelacht haben wie noch nie.

Wenn Kurt und Elisabeth ihre China-Reise in der zweiten Hälfte des Jahres hinter sich gebracht haben werden, sollen wir nach Santa Barbara kommen. Um diesem Vorschlag die Krone aufzusetzen, erboten sich unsere Gäste, zu dem noch ausstehenden Termin unseres Gegenbesuches, dem jungen Alfredo Polak in Montevideo ein Flug-Billet zu schicken, damit er mit von der Partie sei. Da Vater Erich nicht mehr reisen könne, wie ich wusste, möge der Sohn und Neffe Alfreds gerne ein paar Wochen bei ihnen unter den Palmen des Pacific verbringen.

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