Wie war das, als der Frieden ausbrach


Wie war das, als der Frieden ausbrach

Aus einem Feldpostbrief:

3.2.45
Endlich möchte ich Dir nun ausführlich schreiben. Tage voller Spannung und Sorge liegen hinter uns. Tage in denen die Gerüchte die Nerven zum Zerreißen spannten.
Das war vorgestern, als die Russen schon bei Strausberg stehen sollten., als Fall¬schirmjäger bei Eberswalde abgesprungen waren, als Eichwalde nach Thüringen eva¬kuiert werden sollte, Bürgermeister Rix sich erschossen hat, weil Deutschland den Krieg verliert. Ja und es war immer ein tüchtiges Stück Arbeit allen Pessimisten, Gerüchtemachern und Besserwissern den Kopf zurechtzusetzen und trotz Allen seinen Mut und Ver¬trauen nicht erschüttern zu lassen. Für einige Minuten rutschte auch mir mein Herz in die Büx, als die Zeuthener Sirenen Dauerton heulten, was jedoch Übung gewesen sein soll. Am Abend hatten wir herzhaften Alarm, der unsere werte Mitbewohnerin zur Vernunft brachte. Gestern haben wir gemeinsam den Keller eingerichtet. Nun ist alle Wäsche, Schuhwerk, Lebensmittel und viel Wasser im Keller. Viele alte Klamot¬ten sind nun hinausgeflogen, nun ist auch Platz zum Schlafen für Frau Tiemann . Denn wir werden nun wohl mit vielen schweren Angriffen zu rechnen haben, was der heu¬tige Tagesalarm bewiesen hat.

Ab Montag dürfen Nichtarbeitende nicht mehr nach Berlin fahren. Den ganzen Tag und Nacht rollen Truppen nach dem Osten. Heute ist ein ganzer Pferdetreck hier angekommen, 16 Wagen. Wir mussten sie weiterleiten, da ja Eichwalde keine Unterbringungsmöglichkeiten hat. Viele Flüchtlinge reisen ab von hier. Vorläufig werden wir wohl keine Flüchtlinge mehr bekommen, bis man im Osten etwas klarer sieht.
Sonst ist bei uns Alles munter, die Kinder sind fröhlich und guter Dinge. Schule haben sie nicht mehr, die ist nun Kaserne geworden. Ein Teil des Grünauer Waldes ist gefällt worden, am Adlergestell Straßensperren gebaut und alle paar Meter sind Panzerdeckungslöcher. Volkssturm hat tüchtig schanzen müssen. Nun hat Eichwalde auch Panzerfäuste und Waffen bekommen, der Volkssturm hat viel Dienst.
Ich selbst habe schon für die 72.Periode alle Nährmittel bekommen, alles ist im Keller, denn die Ernährung wird wohl die meiste Sorge machen.
Auch Kartoffeln habe ich in den L.Sch.Keller gebracht, auch den größten Teil der Weckgläser, Tauchsieder und Bügeleisen werden auch immer mit hinunter genommen.
Draußen ist es nun Frühling geworden, ob es so bleiben wird, weiß man nicht, hoffentlich. Denn Kohlen gibt es nicht und ich habe viel zu wenig bekommen, aber ich denke mit allem durchzukommen, obgleich ich 3 Ctr. bewilligt bekommen nur nur sind alle Kohlen beschlagnahmt. Ja das sind alles so Sorgen..


Dieser Feldpostbrief ging von einem Vorort im Südosten von Berlin ab und kam noch in Dänemark an 

Lesen wir aus einem Folgebrief weiter:

26.III.45 ½ 8 Uhr abends
Heute war wieder einmal ein schöner Tag! Die Vögel haben wunderschön gesungen und man kann richtig dem Wachsen zuschauen. Die Stachelbeeren stecken schon ihre Blütchen heraus, selbst an unseren Stecklingen sind einige. Heute habe ich nur zu gießen brauchen, alle andere Arbeit ist vorläufig getan, außer dass ich noch zu pikieren habe. Die ersten Blumenkohlpflänzchen bekommen schon das zweite Blättchen. Die Vögel waren gar nicht so grässlich, sie haben mir das Verdünnen erspart, und auch der Spinat will schon das zweite Blättchen bringen. Ja, es ist alles rasend schnell herausgekommen in diesen sommerlichen Tagen, an denen man mittags in der Sonne 33 messen konnte. Ein Sommerblumenbeet habe ich doch noch angelegt, neben der Buddelkiste, es geht doch nicht ganz ohne.
Nun geht es auf Ostern zu, heute habe ich Eier bekommen. Eins will ich davon für jeden färben und bunt malen. Für Kuchen habe ich auch allerhand zusammengespart. Auch einige Marinaden für Heringssalat stehen noch im Keller. Wir haben ja auch schließlich 2 Geburtstage gleich mitzufeiern.
Unsere Uschimaus wird nun schon 2 Jahre und unsere Große schon 12. Und da will ich recht Kuchen backen und da wollen wir so richtig feiern.
Nächste Kartenperiode gibt es ja nun wieder bedeutend weniger, aber hoffen wir, dass auch wir diese Schwierigkeiten überwinden werden.
Alarm !
Der Alarm hat so lange gedauert, sei nicht böse, wenn ich für heute schließe, denn ich bin sehr, sehr müde.


Auch dieser Brief ist noch nach Dänemark gelaufen.

Wenige Tage danach ballert der Russe von Osten her in den Ort hinein. Über die Seen kann er noch nicht vordringen, weil die Brücke gesprengt ist und auch SS durch den Ort zieht. So greift der Russe mit Jagdbombern den Ort an. Blindgänger bleiben auf der Betonstraße liegen. In der Nacht ziehen russische Soldaten in den Ort ein, setzen MG-Salven in jeder Querstraße ab. Dann herrscht Ruhe.

Am nächsten Morgen zieht Fußvolk in Richtung Berlin durch die Straßen. Anstatt der Hakenkreuzfahnen hängen weiße Tücher und rote Fahnen, denen man an der Dunkelfärbung noch den Platz des Hakenkreuzes ansehen kann, aus den Fenstern.

Es wird geflüstert. Da hört man von Leuten, die sich das Leben genommen haben. Und da wird ein Lager mit Eßbarem geplündert. Ein russischer Sergeant kommt mit einem Soldaten in den Garten, verlangt artig etwas zu trinken. Und zieht weiter. Fahrräder und Uhren, sowas sollte man nicht zeigen. Der vordere Reifen am Fahrrad wird demontiert, damit die Speichen-Nippel sich nicht lösen, wird in die freie Felge Wäscheleine gewickelt.
Radios, Schreibmaschinen, Fotoapparate, Uhren sind bei der Commandantura (Rathaus) abzuliefern.

Hitler ist tot, die Nachricht mit dem selbstgebastelten Detektor-Empfänger abgehört. Die Russen beziehen ein Feldlager am Wasserturm. Kinder, bleibt zu Hause, die Besoffenen sind unberechenbar.

Und dann bricht der Frieden aus. Die russischen Soldaten ballern, was das Zeug hält, sie grölen in die Nacht. Trunkener Siegestaumel, bleibt zu Hause!

So, das ist der Frieden: Hunger breitete sich aus. Schlangen vor den Bäckereien. Es gab plötzlich nichts mehr zu essen. Kretze, Ruhr, Typhus, Magen- und Darm-Krankheiten, wo kamen die Dinge plötzlich her?

Wir waren in den Kriegsjahren so abgestumpft von den Fliegeralarmen und den Flak- und Bomben-Getöse. Als die Feiern zuende waren, trat eine unheimliche Ruhe ein, zum Fürchten. Die Frage: was passiert jetzt? Und keine Verdunkelung mehr, wozu auch: es gab keinen Strom.

Fünfundsechzig Jahre ist das her, fünfundsechzig Jahre Frieden - gestern hat man in NRW gewählt. Ist das nicht wunderbar, so im Frieden zu leben? Herzlichen Glückwunsch!

ortwin

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Kommentare (5)

tilli Dieses Thema akurat zum 9 Mai,das hast du gut gemacht.
Ich war zwar noch ein Kind aber, ich habe viel gesehen.Diese Thema muss man immer wieder ins Gedächtnis gebracht werden, um zu verstehen,was eigentlich Krieg ist. Wenn ich heute die Jugend sehe, wie sie sich für die Nazis profilieren.Ich bekomme Angst.Hat die Menschheit noch immer nicht verstanden,was Kreig zerstört.
omasigi Lieber Ortwin,
da Du ein paar Jaehrchen aelter bist wie ich haste viel mehr gesehen als ich. Ich sah die Ruinen meiner Heimatstadt. Das sind so die Erinnerungen danach. Menschenskinder und heute werden wieder deutsche Maenner hinaus gejagt in den Krieg. Oh und es hies doch, dass dies nie mehr vor kommenen soll.
Alles vergessen......... gut, das es Mahner gibt wie Dich...... die es noch live erlebt haben den ganzen Unsinn, der Krieg bedeutet.
Schreib mehr von Deinen Jugend ??? und Erlebnisse, vielleicht hilft es manchen nach zu denken.
Ich hoffe es so sehr
omasigi
ortwin Je weiter diese Zeit sich von dem Heute entfernt, desto weniger spüren Menschen dem Schmerz und dem Unsinn des Krieges nach. Als ich in die Schule kam, war scheinbarer Frieden. Wir lasen im Unterricht von den Kriegen in der Vergangenheit, so heroische Geschichten. Zwei Jahre später plärte das Radio und die Wochenschau im Kino das gloreiche Sterben für einen Sieg. Wir durchlebten in nicht verstandener Ohnmacht die sechs Jahre Krieg und danach einen Frieden im Elend. Wozu das Ganze? Wem hat es genützt?
Henryk, wir sollten raus aus den Kriegspielen von heute.

ortwin
ehemaliges Mitglied ...es ist gut ,dass Du das schreibst....heute habe ich ein kleiner Friedhof besichtigtRudnik(henryk)


...dieser junge Mann musste sterben.....wo der Sinn war....Henryk
ortwin Als der Frieden dann da war, fuhr Mutter zur Großmutter in den Harz und fand Nachricht vom Vater vor. Zurück in Eichwalde nähte sie Rucksäcke für die "Auswanderung" in die Britische Zone.
Das Bügeleisen! Makaber - es ging mit auf die Reise, eine Schwester trug es in der Schultasche. Und ausgerechnet da auf dem Rücken hatten sich Furunkel breit gemacht.
Der Frieden!

ortwin

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