Gefangen im Netz


Gefangen im Netz
Das Schweigen des Bildschirms

Es war ein Samstagmorgen, und Felix saß, wie jeden Morgen, vor seinem Handy.

Die Augen fixierten den Bildschirm, die Finger flogen. Nachrichten, Fotos, Likes, seine digitale Welt pulsierte in seiner Handfläche. Neben ihm auf dem Küchentisch stand sein halb leerer Kaffee, schon kalt geworden. Doch er merkte es nicht.

„Felix?“, rief eine leise Stimme. Seine Mutter stand in der Tür und sah ihn an. „Willst du heute mit uns auf den Markt? Frische Luft, mal was anderes sehen?“
Felix zuckte die Schultern, ohne aufzublicken. „Nee, ich hab zu tun“, murmelte er. Doch was genau er da tat, hätte er selbst kaum erklären können.

„Immer nur dein Handy...“ Ein Seufzen, und dann hörte er sie weggehen. Ihr Schritt verklang, und wieder war da nur das Surren und Blinken seines Bildschirms. Ein Freund hatte ein lustiges Video geschickt. Felix lachte laut, allein in der Küche, den Blick immer noch gesenkt.

Es war Nachmittag geworden. Die Sonne stand tief am Himmel und schickte warme Strahlen ins Zimmer. Doch Felix sah es nicht. Sein Bildschirm leuchtete in immer derselben Farbe, und sein Gesicht war bleich im kalten Schein des Lichts. Dann, ein leichter Knack in seiner Schulter. Er bemerkte das Ziehen, schob es weg, wischte weiter.

Da fiel sein Blick auf ein Bild, das ihm jemand geschickt hatte. Es zeigte eine Gruppe von Freunden, zusammen am See, lachend und glücklich. „Vermisst haben wir dich heute, Felix!“, stand darunter. Ein Moment des Unwohlseins stieg in ihm auf. Aber er schob es weg. Es war einfacher, weiter zu scrollen.

Als die Nacht hereinbrach, saß Felix immer noch da, in seinem bläulich leuchtenden Kokon. Seine Augen brannten, die Finger schmerzten. Schließlich legte er das Handy beiseite und starrte in die Stille. Ein dumpfes Gefühl von Leere breitete sich aus. Als er den Blick hob, fiel ihm auf, wie still das Haus war. Der Kühlschrank summte leise. Kein Lachen, kein Reden. Alle waren ins Bett gegangen.

Er seufzte, fühlte sich schwer. Er konnte sich nicht einmal an das letzte Gespräch mit einem Freund erinnern, das nicht über Textnachrichten geführt wurde. Das Leben war an ihm vorbeigeflossen, während er es durch einen Bildschirm betrachtete.

Er stand auf, das Handy in der Hand, und blickte zum Fenster hinaus in die Dunkelheit. Plötzlich kam ihm ein Gedanke: Vielleicht, nur vielleicht, konnte er am Morgen die Welt wieder mit eigenen Augen sehen, nicht nur durch den kleinen, leuchtenden Bildschirm.

Ein klitzekleiner Entschluss begann sich zu formen. Doch ob er ihn wirklich umsetzen würde? Mit einem letzten Blick legte Felix das Handy beiseite, löschte das Licht, und die Dunkelheit senkte sich über ihn wie ein leiser Vorhang, durch den er das erste Mal seit Langem echte Ruhe spürte.



 

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Kommentare (2)

Songeur

Ich habe einen 19-jährigen Enkel, der Felix heißt. Glücklicherweise habe ich ihn noch nie mit einem Handy gesehen.

doep56

Lieber @Songeur,
das freut mich zu lesen. Er lässt sich wohl nicht vom Netz gefangen nehmen. Er scheint eine starke Persönlichkeit zu sein.

Lieber Gruß, Doris


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