Nackte Jungfer


Nackte Jungfer





Nackte Jungfer

Grauwallend die Tage und nebelfeucht,
des Sommers Blüten still ermattet,
im Winternest träumt nun, was kreucht und fleucht,
warm weichgepolstert, frostgerüstet.

Bunt strahlte das Grünlaub, bevor es fiel
um winters den Boden zu wärmen,
doch morgens erwachen auf zartem Stiel
glashelle Blüten in Schwärmen.

Geboren aus Tropfen vom Zaubertrank –
Feuer der Medea* in Kolchis* –
ihr zollen die Blumen ewigen Dank,
aufstrahlend in Herbstes Betrübnis.

Sie leuchten auf Wiesen in Weiß und Blau,
dort auch in magischem Violett,
geschmückt mit Perlen vom Morgentau,
leicht und fein wie ein Elfenballett.

Zerbrechlich – gleich einer Jugendliebe,
hüllenlos ohne Scham, splitternackt,
die Kelche geöffnet zum Empfange
dessen, was sie dieser Welt entrückt.

Oh Herbtzeitlose*, du „Nackte Jungfer“ –
letzte Verführung vor winters Not –
wer ihn küsst, deinen lockenden Becher,
sinkt giftbetört mit dir in den Tod.



© Syrdal 2016

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Erklärungen:
*Medea = zauberkundige Tochter des Heliossohnes Aietes, des Königs von Kolchis
*Kolchis = antike Landschaft zwischen dem Kaukasus und der Schwarzmeerküste
*Herbstzeitlose (lat. colchicum autumnale) = Sie verdankt einer Sage nach ihre Entstehung der berühmten Giftmischerin Medea, die neun Nächte lang Kräuter sammelte, um einen Zaubertrank zu brauen, der ihren Schwiegervater Äson verjüngen sollte. Von diesem Zaubertrank fielen einige Tropfen auf die Erde und es entstand daraus die gefährliche, verführerische Herbstzeitlose. Wegen ihrer zarten blattlosen Erscheinung wird sie u.a. auch „Nackte Jungfer“
genannt. - Die Herbstzeitlose enthält das sehr giftige Alkaloid Colchicin. Vergiftungssymptome treten erst mehrere Stunden nach der Aufnahme von Pflanzenteilen auf mit Brennen im Mund, Erbrechen, blutigem Durchfall, Schluckbeschwerden, Atemnot, Kollaps und mitunter sogar dem Tod.

 


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