Warum ist es am Rhein so schön
Es war Krieg. Die Schule ging weiter, immer weiter, Jahr für Jahr. Im Erdkunde-Unterricht gab es zur Abwechslung mal etwas an der Westdeutschen Landkarte zu sehen, die Studienrätin sprach über den Mittelrhein. Es nahm mich nicht gefangen, wer weiß, womit sich mein Kopf beschäftigte. Prompt gab es als Hausaufgabe den Aufsatz „Der Rhein zwischen Bingen und Bonn“. Ich habe den Aufsatz nicht geschrieben, wer weiß, wie ich davon losgekommen bin, ihn nicht abgeben zu können.
Das Thema kam wieder hoch, als ich nach dem Krieg – kurz bevor die Familie nach Bonn umzog – meine Ferien auf dem Fahrrad verfuhr. Ich hatte endlich neue Reifen und Schläuche aufziehen können, Rahmen und Felgen strahlten nach emsiger Handarbeit in Laubfrosch-Grün, ungeduldig hatte ich ausharren müssen, bis der Email-Lack richtig trocken war.
Die Route war ausgeguckt, ein Herbergsausweis besorgt. Auch der obligatorische Schlafsack, ein weißer Bettbezug war beschafft. Die Packtaschen hingen über den Gepäckträger, das Rad startbereit. Der Tag fing, wie in der Zeit gerade man besonders zu spüren, mit grellem Sonnenlicht und großer Hitze an. Abschied von Mutter und den Geschwistern. Meine erste Großtour, ganz alleine.
Zunächst rollte das mit Muskelkraft angetriebene Gefährt durch Gegend, die es schon kannte. Das Auf und Ab wurde munter bewältigt. Doch dann kam Neuland unter die Reifen. Bei Paderborn stieß ich auf die Fernstraße Eins, die Straße von Aachen über Berlin bis nach Memel. Es ging in der immer stärker werdenden Hitze westwärts. Durst und nochmals Durst. Ich hielt so an jeder Tankstelle an, um Wasser zu tanken, die Feldflasche war zu klein und immer sehr schnell leer.
Bei Werl bog ich ab in Richtung Hagen in Westfalen. Das Tagesziel war Volmarstein, wo ich bei einem früheren Schulkameraden bzw. seinen Eltern übernachten durfte. Weiter ging es über Solingen, Leverkusen nach Köln am Rhein. Als ich da rechtsrheinisch am Ufer ankam, ländete man gerade eine Wasserleiche aus dem Wasser – toller Empfang.
Man reparierte die Hohenzollern-Brücke, die wie allen anderen Rheinbrücken in den letzten Kriegstagen zerstört worden waren. Ich mußte nach Bonn doch irgendwie auf die andere Rheinseite. Die Alliierten hatten anstelle der Hindenburg-Brücke eine Pionierbrücke aufgebaut, die Patton-Bridge. Holprig ging es auf die andere Rheinseite. Ich schob mein Rad durch die Trümmerwüste, in der sich neues Leben entwickelte. Ich stand vor dem in Mitleidenschaft gezogenen Dom. Doch ich mußte weiter.
Ich strampelte linksrheinisch stromaufwärts. Es ging südwärts durch ebenes Land. Ich sah nichts von der parallel zur Straße, der Fernstraße Neun, zwischen Köln und Bonn verlaufenden „ersten deutschen Autobahn“. Viel Aufmerksamkeit für die noch bis Bonn zu bewältigenden 30 Kilometer hatte ich nicht – ich wollte die hinter mich bringen.
Bonn! Kurze Suche in der auch recht zerstörten Stadt am Rhein und ich stand beim Vater im Büro, das sich in den oberen Räumen eines Textilhauses mit bekanntem Namen befand. Kurze Begrüßung, dann machte Vater Arbeitsschluß. Wir gingen in die nebenan zu findende Pferde-Metzgerei und aßen zum Abendbrot. Dann kurz zu Vaters möbliertem Zimmer, sein frisch erworbenes Selbstbau-Fahrrad hervorholend und mein Gepäck abladend.
Mein Vater hatte wohl vergessen, daß ich doch schon eine ganz schöne Tagesstrecke hinter mich gebracht hatte. Also los! Erst einmal durch die Altstadt zum Markt vor dem Bonner Rathaus. Weiter durch’s Koblenzer Tor gen Süden, die Koblenzer Straße entlang. Es war im Sommer 1949, als Bonn zur provisorischen Hauptstadt erhoben wurde – hier vermischen sich die Erinnerungen zeitlich, ich kann nicht sagen, was da in der Koblenzer Straße schon mit der Regierung zu tun hatte, jedenfalls landeten wir beim Bundeshaus. Wir radelten durch die Gronau am Rhein entlang, überquerten die alte Trajekt-Anlage, wo mal (bis 1918) die Eisenbahn mit einer Fähre den Rhein hinüber nach Oberkassel überqueren konnte.
Wir radelten nach Friesdorf, weil da vielleicht mal ein Haus, eine genügend große Wohnung für die Familie wieder aufgebaut werden sollte. Naja, das Projekt zerschlug sich später. Weiter ging es noch nach Godesberg, nur mal so zu schauen. Irgendwann landeten wir wieder in Bonn. Ich war ganz schön geschafft.
Am nächsten Tag mußte ich nach Königswinter, das stromauf auf der rechten Rheinseite liegt. Dort hatte Mutter für mich eine (dritte) Lehrstelle ausgemacht. Ich sollte/wollte mich bei der Firma vorstellen, wo ich nach dem bevorstehenden Umzug aus Niedersachsen nach Bonn meie Lehre abschließen konnte. Ich fuhr runter zum Alten Zoll am Rhein, der liegt oberhalb der Rheinbrücke, die gerade neu aufgebaut wurde. Mit einer „Siebel“-Fähre wurde ich ans rechte Rheinufer übergesetzt. Ich radelte mutig hin zur Fernstraße 42 durch die kleinen Weinorte Oberkassel, Dollendorf nach Königswinter.
Rechts voraus grüßten die Basalt-Steinbrüche und schließlich das Siebengebirge mit Petersberg und Drachenfels. Auf die beiden Berge schleppten sich Zahnrad-Lokomotiven von Königswinter aus. Der Petersberg war nicht zu besuchen, Sperrgebiet, die Briten hatten da ihren Hochkommissar etabliert. Zurück wechselte ich mit der Dampffähre über den Rhein nach Mehlem. Ich radelte jetzt von Süden hinein nach Godesberg, die Godesburg winkte herunter. Ich landete wieder in Bonn. Vater hatte nicht viel Zeit, wollte er doch in der Nacht zurück zur Familie in Niedersachsen fahren.
Am nächsten Morgen startete ich in Richtung Bingen, das Tagesziel. Hinter Mehlem wieder Neuland für mich. Wieder ein schöner und heißer Tag. Vom rechten Rheinufer grüßte das Siebengebirge herüber, die Ruine auf dem Drachenfels zeichnete ihre Kontur gegen den wolkenlosen Himmel. Die Berge blieben zurück, ich radelte staunend stromaufwärts. Irgendwas erinnerte mich an den Rolandsbogen, links grüßte er von oben zu mir herab. Oberwinter, ein kleiner Hafen, in Erinnerung: man hatte zu wenig Wasser im Rhein. Ich will jetzt nicht den Atlas herausholen, was war markant, damals bei meiner ersten Rheintour – ich ahnte nicht, daß da noch viele folgen sollten, mit Rad, Moped, Auto, Zug und Dampfer, nur gelaufen bin ich da nicht entlang.
Andernach mit seinem alt ehrwürdigen Kran. Dann weitete sich das Rheintal. Linksrheinisch – und da radelte ich stromaufwärts – baute man eine graue Erde ab: Bims. Man fertigte Hohlsteine, Lkw’s schleppten die Steine nach Süden und unbedingt nach Norden, Wiederaufbau!
Die Weite ersteckte sich zwischen Weißenthurm und Neuwied – die Brücken zwischen beiden Orten waren kaputt. Die Straße Neun führte nach Koblenz auf der linken Rheinseite, rechts war es die Straße zweiundvierzig. Voraus baute sich die Stadt Koblenz auf, die Mosel landete hier am Deutschen Eck (na, da erinnere ich mich noch an den Vortrag in der Schule) in den Rhein. Von der anderen Rheinseite grüßte die Feste Ehrenbreitstein.
Weiter ging es nach Verlassen der auch sehr in Mitleidenschaft gezogenen Stadt. Ich folgte den Straßenbahngleisen nach Stolzenfels. Rees und weiter. Auf der anderen Rheinseite liegen die Orte Ober- und Niederlahnstein, sie helfen der Lahn beim Münden in den Rhein. Schauen wir noch weiter nach links zur rechten Rheinseite. Da reckt sich die Marksburg hoch.
Die Straße führt durch Obstbaum-Plantagen. Es ist Kirschenzeit. Ich mache Rast und mopse mir einige Süßkirschen. Und weiter geht’s. Der Rhein durchfließt den Bopparder Bogen. Zu wenig Wasser für die Schifffahrt, die Schleppkähne müssen ihre Kähne leichtern, die Schleppzüge müssen ihre Schleppzahl verringern, die Fahrrinne ist so schmal, daß sie sich kaum begegnen können. Die „Hungersteine“ ragen aus dem Wasser, liegen schon fast im Trockenen. Boppard, ein nettes Städtchen.
Links und rechts grüßen mich auf dem Weg gen Süden Burgruinen. Da kommt links St.Goar und am rechten Ufer St.Goarshausen. Der Blick stromaufwärts im Tal wird eingeengt, der Rhein kommt mit Kurven herunter. Links die Burg Rheinstein und rechts … ein Felsvorsprung keilt den Rhein ein. Das soll die Lorelei sein, dieser Steinbrocken? Die Züge unterfahren den Berg. Und auch links vom Rhein gibt es kurze Tunnel für die Bahn. Und da zwängen sich rechts und links vom Rhein auch noch die Straßen durch.
Der Rhein strömt auf dieses Korsett zu, ich fahre linksrheinisch da raus, weiter nach Süden. Burgen, Winzerorte, Weinberge. Und über allem Sonne und Hitze. Aber ich fahre weiter. Meine kurze Lederhose – aus der war ich ja schon fast herausgewachsen – scheuert auf dem verschwitzen und sonnenverbrannten Oberschenkeln, Blut. Weiter. Im Rhein, mitten auf einer Insel, liegt die Pfalz. An dieser Stelle hat Blücher 1870 mit seinen Truppen den zugefrorenen Rhein überquert, um dann weiter gen Paris zu marschieren. Damit die Rösser auf dem Eis nicht ausrutschen konnten, hat der Marschall die Hufe der Pferde mit Tuch und Stroh verbunden. Und ich schwitzte 1949 – ohne Eis und Schnee.
Noch viel Orte waren zu passieren, bis endlich die Nahe bei Bingerbrück den Rhein erreichte. Eine Behelfsbrücke für den Straßenverkehr ließ mich Bingen erreichen. Ich suchte die im Verzeichnis des Deutschen JugendHerbergsverbandes angegebene Unterkunft. Ein Provisorium, ein großer Raum mit Behelfsbetten, aber eben eine Bleibe für die Nacht. Ich sicherte mein Gepäck und das Rad, spazierte dann hinunter zum Rhein.
Stromabwärts stand im Rhein ein Turm: der Binger Mäuseturm – na, wer kennt nicht die Story dazu?! Der Rhein kommt von Osten auf das Hindernis im Tal her geflossen. Auf der anderen Stromseite stieg das Gelände nach Norden an. Oben am Berg steht eine Dame als Denkmal, die Germania. Hier sollte ein Attentat auf den Kaiser verübt werden, es wurde rechtzeitig entdeckt und vereitelt – seitdem gibt es in Preussen usw. Sprengstoff-Gesetze. Noch ein Bißchen stromaufwärts sieht man von Bingen aus die Stadt Rüdesheim liegen.
Soo, jetzt kann ich wohl den Aufsatz nachreichen, den ich damals in der Schule nicht abgegeben habe. Mit jeder Reise, die mich durch das Rheintal zwischen Bingen und Bonn führte, könnte er ausführlicher sein, mit und ohne Fotos. Als ich die jährlichen Radtouren von Bonn nach Erbach im Odenwald machte, verlief die Route so:
Mit meinem Spatz möchte ich diese Tour demnächst machen – wir werden das Auto nehmen und einige Tage mehr für die Strecke von Bonn nach Bingen ansetzen.
ortwin
Das Thema kam wieder hoch, als ich nach dem Krieg – kurz bevor die Familie nach Bonn umzog – meine Ferien auf dem Fahrrad verfuhr. Ich hatte endlich neue Reifen und Schläuche aufziehen können, Rahmen und Felgen strahlten nach emsiger Handarbeit in Laubfrosch-Grün, ungeduldig hatte ich ausharren müssen, bis der Email-Lack richtig trocken war.
Die Route war ausgeguckt, ein Herbergsausweis besorgt. Auch der obligatorische Schlafsack, ein weißer Bettbezug war beschafft. Die Packtaschen hingen über den Gepäckträger, das Rad startbereit. Der Tag fing, wie in der Zeit gerade man besonders zu spüren, mit grellem Sonnenlicht und großer Hitze an. Abschied von Mutter und den Geschwistern. Meine erste Großtour, ganz alleine.
Zunächst rollte das mit Muskelkraft angetriebene Gefährt durch Gegend, die es schon kannte. Das Auf und Ab wurde munter bewältigt. Doch dann kam Neuland unter die Reifen. Bei Paderborn stieß ich auf die Fernstraße Eins, die Straße von Aachen über Berlin bis nach Memel. Es ging in der immer stärker werdenden Hitze westwärts. Durst und nochmals Durst. Ich hielt so an jeder Tankstelle an, um Wasser zu tanken, die Feldflasche war zu klein und immer sehr schnell leer.
Bei Werl bog ich ab in Richtung Hagen in Westfalen. Das Tagesziel war Volmarstein, wo ich bei einem früheren Schulkameraden bzw. seinen Eltern übernachten durfte. Weiter ging es über Solingen, Leverkusen nach Köln am Rhein. Als ich da rechtsrheinisch am Ufer ankam, ländete man gerade eine Wasserleiche aus dem Wasser – toller Empfang.
Man reparierte die Hohenzollern-Brücke, die wie allen anderen Rheinbrücken in den letzten Kriegstagen zerstört worden waren. Ich mußte nach Bonn doch irgendwie auf die andere Rheinseite. Die Alliierten hatten anstelle der Hindenburg-Brücke eine Pionierbrücke aufgebaut, die Patton-Bridge. Holprig ging es auf die andere Rheinseite. Ich schob mein Rad durch die Trümmerwüste, in der sich neues Leben entwickelte. Ich stand vor dem in Mitleidenschaft gezogenen Dom. Doch ich mußte weiter.
Ich strampelte linksrheinisch stromaufwärts. Es ging südwärts durch ebenes Land. Ich sah nichts von der parallel zur Straße, der Fernstraße Neun, zwischen Köln und Bonn verlaufenden „ersten deutschen Autobahn“. Viel Aufmerksamkeit für die noch bis Bonn zu bewältigenden 30 Kilometer hatte ich nicht – ich wollte die hinter mich bringen.
Bonn! Kurze Suche in der auch recht zerstörten Stadt am Rhein und ich stand beim Vater im Büro, das sich in den oberen Räumen eines Textilhauses mit bekanntem Namen befand. Kurze Begrüßung, dann machte Vater Arbeitsschluß. Wir gingen in die nebenan zu findende Pferde-Metzgerei und aßen zum Abendbrot. Dann kurz zu Vaters möbliertem Zimmer, sein frisch erworbenes Selbstbau-Fahrrad hervorholend und mein Gepäck abladend.
Mein Vater hatte wohl vergessen, daß ich doch schon eine ganz schöne Tagesstrecke hinter mich gebracht hatte. Also los! Erst einmal durch die Altstadt zum Markt vor dem Bonner Rathaus. Weiter durch’s Koblenzer Tor gen Süden, die Koblenzer Straße entlang. Es war im Sommer 1949, als Bonn zur provisorischen Hauptstadt erhoben wurde – hier vermischen sich die Erinnerungen zeitlich, ich kann nicht sagen, was da in der Koblenzer Straße schon mit der Regierung zu tun hatte, jedenfalls landeten wir beim Bundeshaus. Wir radelten durch die Gronau am Rhein entlang, überquerten die alte Trajekt-Anlage, wo mal (bis 1918) die Eisenbahn mit einer Fähre den Rhein hinüber nach Oberkassel überqueren konnte.
Wir radelten nach Friesdorf, weil da vielleicht mal ein Haus, eine genügend große Wohnung für die Familie wieder aufgebaut werden sollte. Naja, das Projekt zerschlug sich später. Weiter ging es noch nach Godesberg, nur mal so zu schauen. Irgendwann landeten wir wieder in Bonn. Ich war ganz schön geschafft.
Am nächsten Tag mußte ich nach Königswinter, das stromauf auf der rechten Rheinseite liegt. Dort hatte Mutter für mich eine (dritte) Lehrstelle ausgemacht. Ich sollte/wollte mich bei der Firma vorstellen, wo ich nach dem bevorstehenden Umzug aus Niedersachsen nach Bonn meie Lehre abschließen konnte. Ich fuhr runter zum Alten Zoll am Rhein, der liegt oberhalb der Rheinbrücke, die gerade neu aufgebaut wurde. Mit einer „Siebel“-Fähre wurde ich ans rechte Rheinufer übergesetzt. Ich radelte mutig hin zur Fernstraße 42 durch die kleinen Weinorte Oberkassel, Dollendorf nach Königswinter.
Rechts voraus grüßten die Basalt-Steinbrüche und schließlich das Siebengebirge mit Petersberg und Drachenfels. Auf die beiden Berge schleppten sich Zahnrad-Lokomotiven von Königswinter aus. Der Petersberg war nicht zu besuchen, Sperrgebiet, die Briten hatten da ihren Hochkommissar etabliert. Zurück wechselte ich mit der Dampffähre über den Rhein nach Mehlem. Ich radelte jetzt von Süden hinein nach Godesberg, die Godesburg winkte herunter. Ich landete wieder in Bonn. Vater hatte nicht viel Zeit, wollte er doch in der Nacht zurück zur Familie in Niedersachsen fahren.
Am nächsten Morgen startete ich in Richtung Bingen, das Tagesziel. Hinter Mehlem wieder Neuland für mich. Wieder ein schöner und heißer Tag. Vom rechten Rheinufer grüßte das Siebengebirge herüber, die Ruine auf dem Drachenfels zeichnete ihre Kontur gegen den wolkenlosen Himmel. Die Berge blieben zurück, ich radelte staunend stromaufwärts. Irgendwas erinnerte mich an den Rolandsbogen, links grüßte er von oben zu mir herab. Oberwinter, ein kleiner Hafen, in Erinnerung: man hatte zu wenig Wasser im Rhein. Ich will jetzt nicht den Atlas herausholen, was war markant, damals bei meiner ersten Rheintour – ich ahnte nicht, daß da noch viele folgen sollten, mit Rad, Moped, Auto, Zug und Dampfer, nur gelaufen bin ich da nicht entlang.
Andernach mit seinem alt ehrwürdigen Kran. Dann weitete sich das Rheintal. Linksrheinisch – und da radelte ich stromaufwärts – baute man eine graue Erde ab: Bims. Man fertigte Hohlsteine, Lkw’s schleppten die Steine nach Süden und unbedingt nach Norden, Wiederaufbau!
Die Weite ersteckte sich zwischen Weißenthurm und Neuwied – die Brücken zwischen beiden Orten waren kaputt. Die Straße Neun führte nach Koblenz auf der linken Rheinseite, rechts war es die Straße zweiundvierzig. Voraus baute sich die Stadt Koblenz auf, die Mosel landete hier am Deutschen Eck (na, da erinnere ich mich noch an den Vortrag in der Schule) in den Rhein. Von der anderen Rheinseite grüßte die Feste Ehrenbreitstein.
Weiter ging es nach Verlassen der auch sehr in Mitleidenschaft gezogenen Stadt. Ich folgte den Straßenbahngleisen nach Stolzenfels. Rees und weiter. Auf der anderen Rheinseite liegen die Orte Ober- und Niederlahnstein, sie helfen der Lahn beim Münden in den Rhein. Schauen wir noch weiter nach links zur rechten Rheinseite. Da reckt sich die Marksburg hoch.
Die Straße führt durch Obstbaum-Plantagen. Es ist Kirschenzeit. Ich mache Rast und mopse mir einige Süßkirschen. Und weiter geht’s. Der Rhein durchfließt den Bopparder Bogen. Zu wenig Wasser für die Schifffahrt, die Schleppkähne müssen ihre Kähne leichtern, die Schleppzüge müssen ihre Schleppzahl verringern, die Fahrrinne ist so schmal, daß sie sich kaum begegnen können. Die „Hungersteine“ ragen aus dem Wasser, liegen schon fast im Trockenen. Boppard, ein nettes Städtchen.
Links und rechts grüßen mich auf dem Weg gen Süden Burgruinen. Da kommt links St.Goar und am rechten Ufer St.Goarshausen. Der Blick stromaufwärts im Tal wird eingeengt, der Rhein kommt mit Kurven herunter. Links die Burg Rheinstein und rechts … ein Felsvorsprung keilt den Rhein ein. Das soll die Lorelei sein, dieser Steinbrocken? Die Züge unterfahren den Berg. Und auch links vom Rhein gibt es kurze Tunnel für die Bahn. Und da zwängen sich rechts und links vom Rhein auch noch die Straßen durch.
Der Rhein strömt auf dieses Korsett zu, ich fahre linksrheinisch da raus, weiter nach Süden. Burgen, Winzerorte, Weinberge. Und über allem Sonne und Hitze. Aber ich fahre weiter. Meine kurze Lederhose – aus der war ich ja schon fast herausgewachsen – scheuert auf dem verschwitzen und sonnenverbrannten Oberschenkeln, Blut. Weiter. Im Rhein, mitten auf einer Insel, liegt die Pfalz. An dieser Stelle hat Blücher 1870 mit seinen Truppen den zugefrorenen Rhein überquert, um dann weiter gen Paris zu marschieren. Damit die Rösser auf dem Eis nicht ausrutschen konnten, hat der Marschall die Hufe der Pferde mit Tuch und Stroh verbunden. Und ich schwitzte 1949 – ohne Eis und Schnee.
Noch viel Orte waren zu passieren, bis endlich die Nahe bei Bingerbrück den Rhein erreichte. Eine Behelfsbrücke für den Straßenverkehr ließ mich Bingen erreichen. Ich suchte die im Verzeichnis des Deutschen JugendHerbergsverbandes angegebene Unterkunft. Ein Provisorium, ein großer Raum mit Behelfsbetten, aber eben eine Bleibe für die Nacht. Ich sicherte mein Gepäck und das Rad, spazierte dann hinunter zum Rhein.
Stromabwärts stand im Rhein ein Turm: der Binger Mäuseturm – na, wer kennt nicht die Story dazu?! Der Rhein kommt von Osten auf das Hindernis im Tal her geflossen. Auf der anderen Stromseite stieg das Gelände nach Norden an. Oben am Berg steht eine Dame als Denkmal, die Germania. Hier sollte ein Attentat auf den Kaiser verübt werden, es wurde rechtzeitig entdeckt und vereitelt – seitdem gibt es in Preussen usw. Sprengstoff-Gesetze. Noch ein Bißchen stromaufwärts sieht man von Bingen aus die Stadt Rüdesheim liegen.
Soo, jetzt kann ich wohl den Aufsatz nachreichen, den ich damals in der Schule nicht abgegeben habe. Mit jeder Reise, die mich durch das Rheintal zwischen Bingen und Bonn führte, könnte er ausführlicher sein, mit und ohne Fotos. Als ich die jährlichen Radtouren von Bonn nach Erbach im Odenwald machte, verlief die Route so:
Bonn – Koblenz – Oberlahnstein – Kamp-Bornhofen (JH) – Rüdesheim – Wiesbaden-Biebrich – Mainz-Gustavsheim – Groß-Gerau – Darmstadt – Reinheim – Michelstadt – Erbach.
Zwei Tage hin, zwei Tage zurück – gut zu Ostern oder Pfingsten.
Mit meinem Spatz möchte ich diese Tour demnächst machen – wir werden das Auto nehmen und einige Tage mehr für die Strecke von Bonn nach Bingen ansetzen.
ortwin
Kommentare (6)
ortwin
Ach, nein, die impulsive Antwort ist gerade das, was zum Schwätzen verführt. Nicht über allem »erst eine Nacht drüber schlafen«, das ist doch so wenig entscheidungsrelevant, wir sind doch hier raus aus der Härte des Tagesablaufes.
Wir sind in unserem Altseindürfen, doch schon vorsichtig langsam geworden - wir müssen auf keinen Zug mehr aufspringen (der hat sowieso selbstschließende Türen).
Also munter weiter in die Tasten "gekloppt"!
LG
Dieter / ortwin
Wir sind in unserem Altseindürfen, doch schon vorsichtig langsam geworden - wir müssen auf keinen Zug mehr aufspringen (der hat sowieso selbstschließende Türen).
Also munter weiter in die Tasten "gekloppt"!
LG
Dieter / ortwin
koala
Ich weiss nicht was mich gepieckt hatte. Als ich Deinen ersten Abschnitt gelesen hatte, musste ich an den bewussten Erdkundeunterricht von der Wechsel denken und habe Dir gleich impulsiv geschrieben.Ich wollte nicht Deine schulischen Leistungen in Frage stellen.Ich weiss von mir noch heute, was mich alles waehrend des Unterrichts ablenken konnte und hat mir der Lehrer nicht behagt, na ja reden wir nicht drueber.
Ich habe mir fest vorgenommen nicht gleich zu schreiben, sondern wenigstens dreimal
Heuwaegelchen zu sagen. So wurden wir zuhause ermahnt, wenn man zu schnell reagierte !!!
Mit guten Vorsaetzen
Anita
Ich habe mir fest vorgenommen nicht gleich zu schreiben, sondern wenigstens dreimal
Heuwaegelchen zu sagen. So wurden wir zuhause ermahnt, wenn man zu schnell reagierte !!!
Mit guten Vorsaetzen
Anita
tilli †
Ja, lieber Ortwin, jetzt bist du in den schönen Rheinland-Pfalz gelandet. Wie immer hast du uns alles so schön berichtet. Den Kommentar von Koala ja das wirklich Klasse.Sie ist so weit und hat noch ihre Erdkundenleherin noch in Erinnerung. Also, siehst du Ortwin von vielen Seiten, hast Leser.
Grüße Tilli
Grüße Tilli
ortwin
Liebe Anita,
verzeih', wenn ich gesternabend mir erst einmal Queensland über GoogleMap hereingeholt habe. Ich ahnte, daß Du mein Geschreibsel wieder kommentieren wirst. Ich habe mich nicht getäuscht.
Was die Lehrerin anbetrifft: wie sollte sie die östlichen Kriegsschauplätze vom Kartenständer herunterholen und uns junge Bande einmal für die Heimat animieren, wo es doch keine Ausflüge mehr gab. Ich schrieb "Westdeutschland": naheliegend war der Osten, also alles, was um die Mark Brandenburg gruppiert war, was also doch irgendwie erreichbar sein konnte. Die Lehrerin ist und bleibt unschuldig. Mein Verhalten in der Schule, im Unterricht kann man wohl im nachgelieferten Abgangszeugnis - Abzug von Berlin nach Niedersachsen - nachlesen. Unsere Gedanken pendelten zwischen Fliegeralarmen, Frontberichten, Hiobsbotschaften und Dienst beim Jungvolk, später auch Nachrichten-H.J., aber auch zwischen Mutter helfen und Hunger haben.
Ich fühle heute noch das Lebendige von dieser "Freischwimmer"-Fahrt, frei von Vorgaben, frei in Entscheidung durch mich, gespannt und gebannt der auf mich einströmenden Atmosphäre. So prallgefüllt von den Erlebnissen kehrte ich nach vier Wochen nach Hause zurück und ...
wurde so enttäuscht: Mutter war zum Vater nach Bonn gefahren (Wohnungssuche, Vater versorgen, die selbst gebastelten Teddybären verkaufen), ich wurde mein "Reisegepäck" nicht los.
Lang, lang ist's her - und gerade komme ich von der Glotze zurück, hatte eine niederländische Familie mit ihrem "Selbstfahrer" auf Rhein, Main, Kanal, Altmühl und Donau, ja noch durch die Wachau bis Krems begleitet - und so finde ich Bilder, die ich doch alle danach aufgesogen habe.
Mir wird der Stoff nicht ausgehen - dafür sorgt mein Spatz.
Liebe Grüße nach Australien
Dieter / ortwin
verzeih', wenn ich gesternabend mir erst einmal Queensland über GoogleMap hereingeholt habe. Ich ahnte, daß Du mein Geschreibsel wieder kommentieren wirst. Ich habe mich nicht getäuscht.
Was die Lehrerin anbetrifft: wie sollte sie die östlichen Kriegsschauplätze vom Kartenständer herunterholen und uns junge Bande einmal für die Heimat animieren, wo es doch keine Ausflüge mehr gab. Ich schrieb "Westdeutschland": naheliegend war der Osten, also alles, was um die Mark Brandenburg gruppiert war, was also doch irgendwie erreichbar sein konnte. Die Lehrerin ist und bleibt unschuldig. Mein Verhalten in der Schule, im Unterricht kann man wohl im nachgelieferten Abgangszeugnis - Abzug von Berlin nach Niedersachsen - nachlesen. Unsere Gedanken pendelten zwischen Fliegeralarmen, Frontberichten, Hiobsbotschaften und Dienst beim Jungvolk, später auch Nachrichten-H.J., aber auch zwischen Mutter helfen und Hunger haben.
Ich fühle heute noch das Lebendige von dieser "Freischwimmer"-Fahrt, frei von Vorgaben, frei in Entscheidung durch mich, gespannt und gebannt der auf mich einströmenden Atmosphäre. So prallgefüllt von den Erlebnissen kehrte ich nach vier Wochen nach Hause zurück und ...
wurde so enttäuscht: Mutter war zum Vater nach Bonn gefahren (Wohnungssuche, Vater versorgen, die selbst gebastelten Teddybären verkaufen), ich wurde mein "Reisegepäck" nicht los.
Lang, lang ist's her - und gerade komme ich von der Glotze zurück, hatte eine niederländische Familie mit ihrem "Selbstfahrer" auf Rhein, Main, Kanal, Altmühl und Donau, ja noch durch die Wachau bis Krems begleitet - und so finde ich Bilder, die ich doch alle danach aufgesogen habe.
Mir wird der Stoff nicht ausgehen - dafür sorgt mein Spatz.
Liebe Grüße nach Australien
Dieter / ortwin
koala
Deine Lehrerin war keine gute Lehrstoffvermittlerin oder hattest Du die Gedanken ganz woanders?
Ich vergesse nie, wir hatten Erdkunde mit einem Lehrer, der waehrend des Krieges in Ostpreussen war. Der konnte erzaehlen!!! Das Tuepfelchen auf dem i war, er hatte einen Film von der Weichsel. Du kennst vielleicht die alten Vorfuehrgeraete, Daumen halten, damit nichts kaputt geht. Aber das Geraet hatte durchgehalten. Ich koennte heute noch einen Aufsatz davon schreiben. Die Gaerten, Kanaele, das Kind, was vom Vater zur Schule gerudert wurde.
Es gruesst Dich
Anita/Australien
Ich vergesse nie, wir hatten Erdkunde mit einem Lehrer, der waehrend des Krieges in Ostpreussen war. Der konnte erzaehlen!!! Das Tuepfelchen auf dem i war, er hatte einen Film von der Weichsel. Du kennst vielleicht die alten Vorfuehrgeraete, Daumen halten, damit nichts kaputt geht. Aber das Geraet hatte durchgehalten. Ich koennte heute noch einen Aufsatz davon schreiben. Die Gaerten, Kanaele, das Kind, was vom Vater zur Schule gerudert wurde.
Es gruesst Dich
Anita/Australien
Koblenz(henryk)
Koblenz(henryk)
echt....Rheinland ist schoennn......Henryk