Umwelt & Energie im ST

Autor: ehemaliges Mitglied

Zur Eröffnung der Seite "Umwelt & Energie im ST" möchten wir Euch Dieter Seifried vorstellen, der diesen so interessanten wie wichtigen Themenbereich im Seniorentreff als Experte begleiten wird:

Seniorentreff: Sehr geehrter Herr Seifried,

wir freuen uns sehr, Sie als Experten für unseren neuen Bereich "Umwelt & Energie" im Seniorentreff begrüßen zu dürfen. Sie haben sich bereiterklärt, ehrenamtlich in dieser Rubrik über wichtige und praktische Fragen des Energiesektors zu informieren. Werden Sie hierbei besonders auf dessen Relevanz für die Umwelt und den Klimaschutz eingehen?


Seifried: Der Energiesektor spielt in allen Ökonomien eine zentrale Rolle. Ohne eine funktionierende Energieversorgung ist keine Industriegesellschaft vorstellbar. Die Entwicklung der Energieversorgung hat in Deutschland aber auch weltweit seit dem zweiten Weltkrieg zentrale Risiken mit sich gebracht: Durch die hohe Luftbelastung der Kohlekraftwerke kam es zu Waldsterben und Bodenbelastungen, durch den Bau und Betrieb von Atomkraftwerken zu hohen, inakzeptablen gesellschaftlichen Risiken und durch die Verbrennung von fossilen Energieträgern zu einer starken Klimabelastung. Alleine die Kraftwerke verursachen derzeit etwa 40% aller klimarelevanten Kohlendioxidemissionen in Deutschland. Vor diesem Hintergrund müssen die Umweltwirkungen verschiedener Energiekonzepte bei der Bewertung stets mit einbezogen werden.

Seniorentreff: Als Volkswirt und Ingenieur der Energie- und Kraftwerkstechnik haben Sie lange Jahre für das Freiburger Öko-Institut in den Bereichen Energie und Verkehr gearbeitet. Inzwischen unterstützen Sie mit Ihrem Beratungsbüro Ö-Quadrat Städte, Bund und und Organisationen weltweit bei der Entwicklung und Umsetzung ökologisch nachhaltiger Energiekonzepte. Welchen Rat würden Sie der Politik mit auf den Weg in die so genannte "Energiewende" geben?

Seifried: Die Energiewende – hin zu regenerativen Energiequellen und zu einer dezentralen, kommunalen Versorgung ist nötig und letztlich ohne Alternative. Wenn wir die Energiewende entschlossen angehen, dann bringt dies zwar kurz- und mittelfristig für die Stromverbraucher Mehrkosten mit sich. Aber es entstehen auch wesentliche Vorteile für unsere Volkswirtschaft: Im Bereich erneuerbare Energiequellen wurden in den letzten Jahren rund 400.000 neue Arbeitsplätze geschaffen und durch die zunehmende Erzeugung von Strom aus erneuerbaren Energiequellen konnte die Umweltbelastung aus fossilen Kraftwerken wesentlich reduziert werden. Derzeit decken die regenerativen Energiequellen bereits über 25% der Stromerzeugung ab.

Mit dem Ersatz von Erdöl und Kohle durch den Einsatz der erneuerbaren Energiequellen nimmt auch die Abhängigkeit vom Ausland ab. Ein weiterer Vorteil ist darin zu sehen, dass mit der Substitution von Öl-, Erdgas und Kohle durch Wind und Sonne die regionale Wirtschaft gestärkt wird – die Kosten für die Energieträger fließen nicht mehr aus der Region ab, sondern verbleiben in der Region.

Um die Jahreswende 2012/2013 ist die Energiewende durch die steigenden Strompreise etwas in Verruf gebracht worden. Der Politik gebe ich einen doppelten Rat:

Erstens: Unterlassen Sie alle Versuche, die Energiewende zu einem neuen Subventionstopf für die Industrie zu machen, indem die zunehmenden Kosten nur auf die Haushalts- und Kleingewerbekunden umgelegt werden.

Zweitens: Durch gezielte Förderung der Stromsparpotentiale könnten die Stromrechnungen der Haushalte trotz Preissteigerungen gesenkt werden. Das bisherige Stiefkind, die Energieeffizienz, braucht einen gleichberechtigten Platz im Rahmen der Energiewende.

Seniorentreff: Sie sind Hochschullehrer und mehrfach als Buchautor und auch als Mitverfasser der 1985 bekannt gewordenen Studie "Die Energiewende ist möglich" in Erscheinung getreten. Von Ihrem letzten Werk, dem "Solarbuch", das Sie 2000 zusammen mit Walter Witzel veröffentlichten, erschien im Juni 2007 die 3. überarbeitete Auflage. Es gilt als Grundlagenliteratur und Nachschlagewerk im Bereich der erneuerbaren Energien. Seither hat sich vermutlich eine ganze Menge auf diesem Sektor getan. Was sind die wichtigsten Entwicklungen?


Seifried: Die Entwicklung im Solarsektor war wesentlich schneller als wir uns das vorstellen konnten: Seit der letzten Überarbeitung der deutschen Fassung im Jahr 2007 hat sich die installierte Kapazität an Fotovoltaik-Anlagen von rund 3.000 MW auf über 30.000 MW Ende 2012 erhöht. Eine Verzehnfachung innerhalb von 5 Jahren! Die Kosten für die Solaranlagen sind im selben Zeitraum um etwa 80% gesunken. Heute ist  Solarstrom in sonnenreichen Gebieten deutlich billiger zu erzeugen als Strom aus Erdöl oder Erdgas. Das Erneuerbare Energien Gesetz in Deutschland hat zu dem weltweiten Durchbruch der Solarenergie geführt. Es ist eine echte Erfolgsstory. Doch auch im Bereich der Windanlagen ist die Technik schnell voran geschritten. Heutige Windkraftanlagen sind nicht nur größer und leistungsfähiger sondern können Strom an guten Standorten kostengünstiger produzieren als fossile Kraftwerke.

Seniorentreff: Gibt es Bereiche des Themas, die besonders für Senioren von Bedeutung sind, oder betrifft der Energiesektor durch den gemeinsamen Bedarf alle Generationen gleichermaßen?

Seifried: Die Umstellung von fossilen auf regenerative Energiequellen ist insbesondere für die jüngere Generation von Bedeutung. Die Klimaveränderung macht sich zwar bereits heute bemerkbar, gefährdet jedoch insbesondere zukünftige Generationen. Natürlich kann auch die jüngere Generation mehr von den Arbeitsplätzen profitieren, die durch die Energiewende entstehen. Senioren haben während ihres Berufsleben häufig Rücklagen gemacht, die sie sinnvoll in regenerative Energiequellen investieren könnten, um ihre Rente aufzubessern und einen sauberen Planeten zu hinterlassen.

Seniorentreff: Wie vor Kurzem bekannt wurde, unterstützt die Bundesregierung auch weiterhin den Bau von Atomkraftwerken im Ausland. Hat die Katastrophe von Fukushima ein nachhaltiges Umdenken in Politik, Industrie und Gesellschaft ausgelöst, oder besteht die Gefahr, wieder zu alten Mustern zurückzukehren?

Seifried: Ich denke, dass die Katastrophe in Fukushima die Risiken der Atomenergie breiten Bevölkerungsschichten aufgezeigt hat und der zum zweiten Mal gefasste Ausstiegsbeschluss, der von allen Parteien getragen wurde, nun unumkehrbar ist. Dass die Eigner der Atomkraftwerke diesen Beschluss nicht gut heißen wollen, ist nachvollziehbar. Dennoch gilt es wachsam zu sein und den rückwärts gerichteten Kräften und den Verlierern der Energiewende entgegenzutreten.

Seniorentreff: Schreiben Sie an einem neuen Buch?

Seifried: Nein, dazu fehlt mir gerade die Zeit. Aber ich habe soeben einen Bericht über meine Erfahrungen in Kuba geschrieben. Dort gab es vor einigen Jahren eine richtige Energierevolution, die jedoch bei uns kaum beachtet wurde. Die Ergebnisse habe ich in einer Broschüre festgehalten, die in wenigen Wochen erscheinen wird.

Bei meinen Recherchen stellte ich fest, dass wir auch von den Ländern der Dritten Welt noch etwas lernen können. So werden zum Beispiel in Kuba Haushalte mit einem hohen Stromverbrauch durch progressive Tarife stärker belastet. D.h. je höher der Stromverbrauch eines Haushalts ist, desto höher ist der Preis, den der Haushalt pro Kilowattstunde zu bezahlen hat. Gleichzeitig werden jedoch die Haushalte bei der Anschaffung effizienter Lampen und Haushaltsgeräte unterstützt. Dabei erhalten die ärmeren Haushalte bessere Kreditbedingungen als die Haushalte mit höherem Einkommen.

Seniorentreff: Herr Seifried, wir danken Ihnen für das Gespräch und freuen uns auf viele interessante Themen in der neuen Rubrik Umwelt & Energie im Seniorentreff.
 



Weitere Informationen:

 

Dieter Seifried
Büro Ö-quadrat
Ökologische und ökonomische Konzepte


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