Tja, nun ist unser Bruder fort. Man hat ihn abgerufen – für immer und ewig!

Uli war doch noch gar nicht dran! Mich hätte es doch zuerst erwischen müssen, mich den Ältesten unter uns Geschwistern!

Da kommt mir das Kinderlied in den Sinn: „Zehn kleine Negerlein …“ – dieser Abzähl-Song. Wir wären acht gewesen, aber laut Familienbuch wollte zwischen mir dem Ältesten und der mir folgenden Schwester so ein Abstand von immer zwei Jahren eingeplant sein. Und so wäre Schwester Nummer zwei ja auch pünktlich gekommen, wenn davor nicht eine Fehlgeburt eintrat. Drei Jahre waren es darauf hin dieses eine Mal.

Schwester Nummer drei kam dann wie geplant auch im Zweijahresabstand zu uns. Es war (noch) Frieden. Und daraus wurde dann der Krieg. Männer wurden eingezogen, andere warteten auf das Einberufen werden. Nicht freudig, aber gehorchend – sie konnten es ja nicht anders.

Ein Junge, drei Mädchen – Mutter wollte Vater nicht einfach gehen lassen: sie wollte einen Buben als nächstes Kind in die Familie bringen. Und es klappte bei etwas Dehnung des Zweijahres-Zyklus: es kam ein Bub dazu. Und Alle waren so glücklich.

Und weiter ging’s. Wieder kam ein Mädel dazu. Dann wurde es schlimm für die Welt. Wer setzt dann in der Planung so fort?!

Fünf Jahre nach Kriegsende war die Familie wieder vereint – Abschied von der Gegend, in der sie – außer Mutter – alle zur Welt gekommen waren. Es ging in den Westen, wo der Vater Arbeit und eine Wohnung für das „ganze Unternehmen“ gefunden hatte. Der Alltag wurde friedlich, natürlich und wieder mit der Hoffnung, dass es besser von Tag zu Tag werde. So kam dann Kind-Nummer sieben dazu: ein Mädchen.

Inzwischen wanderten die großgewordenen Kinder nach und nach ab. Zurück blieben die Eltern und unser „Kleines“, unsere „Kleene“.

Tja, nun ist unser Bruder fort. Man hat ihn abgerufen – für immer und ewig!

Wir trafen uns am Grab der Eltern, um ihnen Ulis Urne beizufügen. Wir Geschwister waren einfach da.

„Zehn kleine Negerlein …“ – nun sind wir nur noch sechs.

Dein Heim! Dein Kater! Deine Gewächshäuser im Garten! Und was Du alles gemacht, getan hast. Die Freunde und Bekannten, die Dich vermissen.

Das Alles passt so gar nicht zu dem Ausspruch unserer Mutter, Du wärest „der große Schweiger“. Wer warst und bist Du nun wirklich (gewesen)?

Bruderherz, Du, der Du knapp zehn Jahre jünger als ich warst, Du bleibst uns immer in Erinnerung.

Warte auf uns – irgendwann kommen wir alle Sechs zu Dir.
ortwin



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Kommentare (1)

Traute Es ist so schlimm und doch werden die Einschläge immer dichter , schrieb jemand zu dem Thema bei mir.
Es ist ein dauerndes Abschiednehmen und immer wieder ungläubiges staunen, was der auch und die war doch noch gar nicht dran, und den hab ich doch vorige Woche noch fröhlich gesehen.
Das ist eine schwere Last auf unseren Schultern, aber das gehört da zu.
Ein Trost wenn die Familie sich trifft zum Abschiednehmen. Jetzt wo die Zeiten so sind das alle in die Welt hinaus müssen um ihr Brot zu verdienen.
Ach Dieter,wir müssen weitermachen weil wir tapfer sind.
Dein Rotkehlchen Bild ist gut getroffen, es sieht so traurig aus, als wüste es für was Du es nimmst.
Bist hoffentlich gut hin und zu rück gekommen und demnächst geht es in die Natur und Kultur hinaus und interessante Aufnahmen gemacht. Das Leben muss weiter gelebt werden, das ist nicht nur ein Spruch, es stimmt.
Mit ganz freundlichen Grüßen, auch an den kleinen Spatz,
Traute

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