Verkümmerte Gespräche - die Stille zwischen uns - Empahtielosigkeit


Verkümmerte Gespräche - die Stille zwischen uns - Empahtielosigkeit

Es war ein regnerischer Nachmittag, als Erika den Beitrag „Der beste Weg, um den Herbst des Lebens zu genießen“ im Seniorenforum „Golden Moments“ las. Die 71-Jährige, die sich nach dem Tod ihres Mannes verstärkt mit den Herausforderungen des Alters auseinandersetzte, fühlte sich plötzlich inspiriert, ihre eigenen Erfahrungen zu teilen.
Ich habe gelernt, dass es im Alter vor allem um Ausgeglichenheit geht. Ich versuche, jeden Tag bewusst zu genießen – sei es beim Kaffeetrinken auf dem Balkon, beim Lesen eines guten Buches oder beim Spazierengehen im Park. Einfach sein, ohne Stress und ohne das Gefühl, etwas leisten zu müssen. Wer den Moment lebt, findet wirklich Glück, schrieb sie.
Binnen Minuten kamen die ersten Kommentare. Die meisten waren freundlich, sogar zustimmend. Doch dann tauchte Alfred auf, ein 74-jähriger pensionierter Ingenieur, der schon seit Jahren in diesem Forum aktiv war. Alfred war für seine präzisen, fast wissenschaftlichen Beiträge bekannt und er hatte immer eine Meinung, die er gerne teilte
Das klingt schön, Erika, aber ich halte es für wenig effektiv, sich einfach treiben zu lassen,  schrieb er. Viel wichtiger ist, sich aktiv mit der geistigen und körperlichen Gesundheit zu beschäftigen. Nur wer sich kontinuierlich herausfordert, bleibt fit und geistig wach. Ich mache seit Jahren regelmäßig Hirntraining und gehe mehrmals die Woche ins Fitnessstudio. Der Körper braucht eine feste Struktur, um nicht in den Trott zu verfallen. Nur so bleibt man wirklich gesund.
Erika las den Kommentar und fühlte sich, als würde jemand ihr direkt sagen, dass sie ihr Leben falsch führte. Sie atmete tief durch und tippte dann zögerlich zurück: Ich verstehe, dass Bewegung wichtig ist, Alfred, aber nicht jeder hat den Drang oder die Energie, sich ständig zu pushen. Es geht doch auch darum, die kleinen Dinge des Lebens zu schätzen. Ein Spaziergang kann genauso erfrischend sein wie ein intensives Training. Ich finde, es kommt immer auf die eigene Einstellung an.
Doch Alfred war nicht der Typ, der sich leicht von seiner Meinung abbringen ließ. Kleine Dinge sind nett, aber sie ersetzen keine echte geistige und körperliche Herausforderung. Du darfst nicht in die Falle tappen, nur in einem gemütlichen Alltag zu versinken. Ich habe Freunde, die sich allzu sehr auf ihre 'Ruhephase' verlassen und mittlerweile gesundheitliche Probleme haben. Sie hätten besser auf ihre Fitness achten sollen, konterte er.
Das ist doch keine Lösung, Alfred, antwortete Erika, mittlerweile irritiert. Es ist nicht alles nur der Körper. Es gibt viel mehr, was uns im Alter glücklich macht – wie zum Beispiel ein gutes Gespräch, das Lesen eines Buches oder das Erleben der Natur. Ich will nicht das Gefühl haben, in einem Fitnessstudio gefangen zu sein, um mich lebendig zu fühlen.
Der Austausch blieb nicht unbemerkt, und bald schalteten sich weitere Mitglieder ein. Helga, eine 70-jährige Rentnerin, die viel gereist war, schrieb: „Ich stimme Erika zu. Es kommt darauf an, sich Zeit für sich selbst zu nehmen und das Leben zu genießen. Wer sich nur um die körperliche Fitness sorgt, verpasst oft die Schönheit des Lebens. Ich habe in vielen Ländern gelebt, oder habe sie bereist und das war meine größte Bereicherung – nicht das ständige Fitnesstraining.
Doch dann kam auch der Kommentar von Bernd, einem 68-jährigen ehemaligen Sportler, der Alfreds Meinung unterstützte: Ich finde, Alfred hat völlig recht. Ich habe jahrelang Leistungssport betrieben, und es ist nicht nur wichtig, den Körper zu fordern, sondern auch den Geist. Wer nur in den Tag hinein lebt, verliert schnell den Bezug zur Realität. Fitness und geistige Aktivität sind die wahren Schlüssel zu einem erfüllten Leben im Alter.
Die Diskussion geriet zunehmend hitziger. Jeder Teilnehmer hatte eine eigene Vorstellung davon, was „genießen“ im Alter bedeutete. Was für den einen die geistige Herausforderung war, war für den anderen ein zu starker Druck. Was für den einen der entspannte Alltag war, war für den anderen ein gefährlicher Rückzug aus der aktiven Lebensgestaltung.
Erika fühlte sich missverstanden. Sie wollte niemandem vorschreiben, wie er das Leben zu leben hatte. Für sie war der wahre Genuss oft in den einfachen, leisen Momenten zu finden – in einem Lächeln von einem Fremden, in einem guten Buch, in einem Spaziergang im Park. Doch all das schien gegen die Regeln der „aktiven Lebensweise“ zu verstoßen, die Alfred und einige andere so vehement vertraten
Ich wollte einfach nur meine Erfahrung teilen, schrieb Erika schließlich resigniert. Ich habe das Gefühl, dass viele hier glauben, der Weg zum Glück sei ein sehr bestimmter und strukturierter – aber das muss nicht für jeden zutreffen. Wir sollten aufhören, uns gegenseitig zu sagen, wie das Leben richtig gelebt wird.
Alfred ließ nicht locker. Erika, du verstehst einfach nicht, wie wichtig es ist, die Kontrolle über sein Leben zu behalten. Wer sich nicht ständig weiterentwickelt, der stagniert. Das ist eine Frage von Verantwortung. Wenn du wirklich gesund bleiben willst, musst du dir die richtige Disziplin antrainieren. Nur so kannst du ein langes Leben führen.
Die Diskussion schien nun keine Lösung zu finden. Schließlich griff der Moderator des Forums ein. Freunde, bitte denkt daran: Jeder hat seinen eigenen Weg, das Leben zu genießen. Es gibt nicht nur eine Antwort auf diese Frage. Lasst uns bitte respektvoll bleiben und die Perspektiven der anderen schätzen. Wir sind hier, um uns zu unterstützen, nicht um zu gewinnen.
Erika atmete tief durch und legte das Tablet beiseite. Die Worte des Moderators hatten sie erreicht, doch gleichzeitig fühlte sie sich erschöpft. Warum war es so schwierig, die Vielfalt der Lebenserfahrungen zu akzeptieren? Warum mussten alle immer recht haben? Vielleicht war es ein Teil des Älterwerdens, dachte sie – dass jeder zu einem Experten seiner eigenen Wahrheit wurde.
Am Ende des Tages war es klar, dass es im Forum von „Golden Moments“ keine einzige richtige Antwort auf die Frage gab, wie man den Herbst des Lebens am besten genoss. Vielleicht war der wahre Schlüssel einfach, offen für andere Perspektiven zu bleiben und die Vielfalt der Wege zu schätzen, die Menschen zum Glück führen. Doch in diesem Moment fühlte sich Erika immer noch ein wenig einsam in ihrer Überzeugung, dass das einfache Leben oft das tiefste Glück brachte.












 


Anzeige

Kommentare (2)

Songeur

Und die Moral von der Geschichte: Wer sich auf Diskussionen über seine eigenen Erfahrungen einlässt hat schon verloren.

Ich finde da übrigens "die Stille zwischen uns" allermal besser als das ewige "ich weiss das besser".

 

indeed

Liebe Doris,

wieder hast du sehr anschaulich von verschiedenen Standpunkten in der Lebensführung geschrieben.
Deine Blogs lese ich sehr gerne, weil du gut beleuchtest.
Ein Spaziergang kann so viel mehr bringen und Lesen oder sich an der Natur erfreuen hat so viel mehr Inhalt, als von den beiden Herren wahrgenommen wird.
Das tägliche sich auspowern kann sogar schnell zu Verschleiß führen, z.B  die Gelenke machen sich unangenehm bemerkbar und so weiter. Also die richtige Messlatte anlegen dürfte effektiver sein.

Hirntraining finde ich gut, das macht man aber bereits, wenn ich ein gutes Buch lese und nicht nur "weg lese", sondern selber hinterfragen kann, wieso und warum dies oder jenes geschieht oder geschah.

Selber finde ich es optimal sich so gut es geht körperlich zu betätigen, aber ebenso wichtig
sind die feinen geistigen Beschäftigungen als auch wo ich Balsam für meine Seele finde. Das ist spannend und das gibt mir Kraft. Natürlich ist dieses meine eigene Einstellung und Jeder sollte für sich herausfinden (dürfen), wie er seinen Lebensherbst verbringen möchte. 

Einen schönen Abend wünsche ich dir und schicke liebe Grüße auf den Weg zu dir.

Ingrid (indeed)
 


Anzeige