1941

Ich war zehn Jahre alt geworden. Zu Führers Geburtstag, 20.April, war ich ins Jungvolk gekommen. Das war so zeitgleich mit dem Überwechseln von der vierten Klasse Volksschule in die Oberschule für Jungen in Eichwalde.

Erste Probleme: wie bekommt man in der zwangsbewirtschafteten Zeit eine Pimpfen-Uniform zusammen? Mutter fuhr mit mir des Öfteren nach Köpenick, um alle Dinge gegen Abschnitte an meiner Kleiderkarte zu empfangen. Braunhemd, schwarzes Halstuch, Lederknoten, Cordhose kurz, Überfallhose lang, Überjacke schwarz, Schiffchen, Lederkoppel und Abzeichen. Das Fahrtenmesser war immer vergriffen, also besorgte Mutter ein ziviles Messer mit Futteral, das ich mir am Koppel befestigte.

Das Ganze war meine Kleidung die Kriegsjahre hindurch bis zum bitteren Ende. Sie wurde aus Wachstumsgründen nach und nach aufgewertet (erneuert).

Meine Pimpfen-Probe erhielt ich draußen in der Mark am Springsee, südöstlich von Berlin. Da waren wir mit gepackten „Affen“ mit dem Zug hingefahren. Unser Handwagen, durfte zur Marscherleichterung die Affen tragen. Eine schöne Zeit da draußen, das Schlafen im Zelt, der Sport im frühen Morgenlicht, das Laufen entlang dem Seeufer, das Sitzen am Lagerfeuer, das Singen. Mücken? Haben die und gestochen?

Mutter fuhr mit mir zum Alexanderplatz. Da ging es in irgendein Amt. Ich wurde medizinisch untersucht. Das alles sollte zeigen, ob ich auf die Napola kommen könnte. Ich fiel durch, weil ich Veranlagung zu Senkfüßen hatte. Von da ab hatte ich Einlagen zu tragen. Ich war traurig – Mutter tröstete mich mit einem Essen bei Aschinger – auf Marken und dann noch Iih! Muscheln auf nüchternen Magen.

Ich habe bei Wikipedia über Napola nachgelesen. Ich glaube, ich wäre noch des Öfteren vor der Aufnahme durchgefallen, weil ich doch wirklich noch ein Kind war, dem in jeder Hinsicht Vaters Strenge fehlte.

Jetzt kam zum täglichen Schulunterricht an Mittwoch und Sonnabend nachmittags Dienst im Jungvolk. Und da erkämpften wir uns in der Schule, dass wir dafür an diesen Tagen – später auch zu diesen Tagen – keine Hausaufgaben machen mussten.

Anfänglich war der Dienst gut für das Üben von Antreten, Marschieren, Geländespielen und Singen. Dazu kam dann nach und nach auch das Wiedereindecken von Häusern, die ihre Dachziegel durch Luftangriffe verloren hatten. Auch Fensterrahmen wurden zum Glaser geschleppt.

Manches Mal streunten wir in kleinen Gruppen durch die Gemeinde – was sollte man tun, wenn sich oft niemand mehr um uns kümmerte?! Ich weiß nicht mehr, wie oft es sonntags hieß: Antreten und Marsch zum Kino – 20 Pfg mitbringen. Wir bekamen zu sehen die Filme: „Reitet für Deutschland“, „U-Boote westwärts“, „Stuka’s“ und viele andere „wichtige“ Filme gezeigt.

Seit Vater eingezogen war, musste ich als sein Stellvertreter fungieren und Mutter beistehen. Sie spannte mich ein, wenn ein Mann fehlte, sei es Kohlen zu holen, Einkäufe zu tätigen, Überweisungen (zur Bausparkasse, und Versicherungen) auszufüllen, und sogar das monatliche Geld vom Postamt abzuholen.

Lehrer Zinngraf, der zugleich auch Stammführer war, forderte uns Jungs auf, Tiere und anderes Spielzeug mit der Laubsäge auszusägen, um damit anderen Kindern eine Freude zu machen – nicht für die eigenen Geschwister. Dagegen protestierte ich – Mutter belehrte Zinngraf, dass meine Leistung besser direkt meinen Geschwistern zugute käme. War es Mutters Mutterkreuz oder das Parteiabzeichen, die mich von der Arbeit befreiten?

Als unser Vater von Jüterbog nach Berlin versetzt worden war, hatte ich endlich die Möglichkeit, da in der Kaserne in der Greifswalder Straße zum Frisör zu gehen – Eichwalde hatte keinen Frisör mehr.
Als wir 1944 uns in den Odenwald evakuierten, erlebte ich da ein Jungvolk, dass längst nicht so militant war wie da in Eichwalde. Und als wir im Herbst wieder zurückkehrten, weil die Westfront immer näher gerückt war, gab es viel Arbeit für uns Pimpfe. Und dazu auch noch die vormilitärische Ausbildung, die keiner von uns liebte.

Ich wechselte in die frisch aufgemachte Schar der Nachrichten-H.J. Nun brauchte ich eine Armbinde (die ich aber nicht vor dem 20.April 1945 tragen durfte) und Schulterklappen, schwarz mit gelber Einfassung, und den Fernmeldeblitz für den Ärmel. Ich konnte nur Schulterklappen der Marine bekommen.

Ich hatte schon einmal geschrieben, was wir als Fernmelder alles zu tun hatten. Jedenfalls gab es für uns keinen Trümmerdienst mehr und auch keinen Geländedienst.

Viele Jahre später:

Ich war bei der Bundeswehr gelandet. Da kam etwas Gelerntes mir zugute: in der Grundausbildung fiel es mir leicht, den „Schliff“ zu überstehen gegenüber den zehn Jahre jüngeren Kameraden.

Als ich dann im Verteidigungsministerium in Bonn auf Kameraden stieß, die in einer Napola waren, dachte ich manches Mal darüber nach, wie es gewesen wäre, wenn ich da hätte lernen und studieren können.

Mein Weg war holperig, immerhin war der Dienstherr mit mir doch wohl auch einmal zufrieden, als er mich mit dem Bundesverdienstkreuz auszeichnete.
ortwin

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