Na UND? - Folge 1: Der Hund


Na UND? - Folge 1: Der Hund
story-titelbild_der_hund.png
 
Langsam schlenderte Selma durch ihren Garten. Die späte Sommersonne war kurz davor, hinter dem Horizont zu verschwinden. Sie war so glücklich, dass sie in diesem Haus wohnen durfte, das wie von allein zu ihr gefunden hatte. Ein warmes Gefühl durchströmte sie bei dem Gedanken an die erste Besichtigung des Hauses, an den Moment, als die Tür sich geöffnet und sie gedacht hatte: Vanille-Sahne. Dieses Haus „schmeckt“ nach Vanille-Sahne.

Schon von außen hatten ihr die naturweißen Klinker gefallen, die weiche und freundliche Ausstrahlung des Hauses. Dann der große Hund, ein Golden Retriever mit seidigem Haar in einer Farbe wie Vanilleeis, der sich schüchtern auf die Treppe ins obere Stockwerk zurückzog, als sie die große und helle Diele betrat, die sich über zwei Etagen erstreckte. Wie ein Dom, dachte sie, als sie nach oben in die Lichtkuppel schaute, die das hereinströmende Licht gleichmäßig bis zum Boden des Erdgeschosses im Raum verteilte. Die Galerie, die über die Treppe erreichbar war, wirkte wie eine Orgelempore. Dort kann ich mein Klavier hinstellen und den Raum mit Musik in Schwingung versetzen, stellte sie sich vor.

„Na du?“ hatte sie den Hund begrüßt und sie hatte gespürt, dass er seine Angst verlor. Er war ihr richtig sympathisch und sie bedauerte es schon fast, dass er mit den Vorbesitzern wegziehen würde. Noch etwas zögerlich kam er, der eine Sie war und auf den Namen Tessa hörte, von der Treppe herunter, stellte sich direkt vor sie, um schwanzwedelnd an ihr herumzuschnüffeln.

„Aus, Tessa! Aus! Wirst du wohl?“, schimpfte die Besitzerin. „Aber sie ist doch sicher nur neugierig und will mich begrüßen“, beschwichtigte Selma. „Ich sehe es an ihren Augen – sie meint es doch freundlich.“ „Mag ja sein, aber sie soll nicht an fremden Menschen herumschnüffeln“, setzte die Frau gebieterisch nach. Ihr Ton klang hart und lieblos.

Ein merkwürdiges Gefühl beschlich Selma. Tessa zog sich keineswegs zurück, wie es ihr Frauchen verlangte, sondern biss Selma einmal ganz sanft in ihre herabhängende Hand. Dann bellte sie einmal kurz, zog den Schwanz ein und trollte sich in die Ecke, wo in der Diele ihr Körbchen stand. Sie legte den Kopf nieder und bedeckte mit einer Pfote ihre Augen.

Es sah so lustig aus, wie Tessa verstohlen unter ihrer Pfote herschaute, doch Selmas Bauch sagte etwas anderes: Dieser Hund wird nicht geliebt. Nicht von dieser Frau.

„Passen Sie auf“, warnte die Frau und senkte ihre Stimme, als ob sie ein Geheimnis teilte. „Sie mag nämlich keine Frauen, und das sollten Sie wissen.“ Mit diesen Worten schien sie ihren strengen Ton rechtfertigen zu wollen.


Inzwischen waren schon drei Jahre vergangen und Selma hatte nicht mehr an den Hund gedacht. Sie schüttelte einmal kurz den Kopf. Hm … warum muss ich gerade jetzt an Tessa denken, fragte sie sich. Liegt es an der lauen Sommerluft, die mich an jenen Tag erinnert?

Doch heute nahm die Geschichte eine unerwartete Wendung …
 
© Ulrike Nikolai 2024-05-09

Dieser Text ist Folge 1 des Minithrillers. Die Fortsetzungen sind frei zugänglich in meinem Weblog:

Na UND?

Dort lese ich Dir / Ihnen sogar den ganzen Text - aufgeteilt in sechs Podcasts - vor ... gemütlich aus meinem Lesesessel. Für ein entspanntes Zuhören, Selberlesen oder Mitlesen.

Viel Freude dabei!

Noch ein kleiner Appetizer, worum es im Kern der Geschichte geht ...

der_fund.jpg

Anzeige

Kommentare (0)


Anzeige