Mutters Tagebuch - 3
Wir waren mit unserer Mutter Tagebuch dabei in Moskau und Güstrow
Jetzt geht es weiter in Berlin:
Weihnachten 1924 verbrachten wir das Fest in einem Christlichen Hospiz mit einem kleinen Tannenzweig auf dem Tisch.—
Wir zogen dann in eine winzige möblierte Wohnung in einer Straße ohne Baum und Strauch, die nach Hundedreck roch. Aber alle meine Tränen halfen nicht, aber meinen Flocki konnte ich mitnehmen. –
Dann bekamen wir eine schöne große Wohnung in Lichtenberg.
Im Frühjahr 1925 kam ich auf das Elisabeth-Gymnasium in der Kochstraße. Ich hatte fast ein halbes Jahr keinen Unterricht mehr gehabt, auch war man hier viel weiter in allen Fächern, sodaß ich sitzen blieb.
1925 haben wir noch einmal Ferien in unserem Haus in Dettmannsdorf gemacht. Ich durfte auch meine Schulfreundin und ihre Schwester mitnehmen. Ilse Jung, spätere Schlempp. Wir waren auch in Warnemünde, wo mich ein Blitz beinahe erschlagen hat.
Das Geschäft in der Französischen Straße war ein Reinfall. Mutter brauchte auch gleich ein Mädchen zum Saubermachen und einen Laufjungen. Dabei bestand die ganze Einnahme von etv. Lieferungen von belegten Brötchen an die umliegenden Büros.
Vater versuchte das Ganze auf Mecklenburgische Landesprodukte umzustellen. Er hatte noch viele Verbindungen zu den Gütern, denen er Kriegsgefangene vermittelt hatte. Aber leider ließ sich das Geschäft nicht mehr halten und Vater mußte aufgeben. Bald klebte der Kuckuck an manchem Möbelstück. –
In dieser Zeit besuchte meine Schwester, die in Güstrow noch das Einjährige gemacht hatte, die Handelshochschule.
Als nun Alles den Bach hinunterging, war meine Mutter ganz verzweifelt, sie saß den ganzen Tag da und weinte. Ich konnte es kaum noch ertragen, weil ich oft dachte, daß sie den Verstand verlieren konnte. – Ich ging von der Schule ab, was sicher meinen Eltern wegen des Schulgeldes eine Erleichterung war. Ich half nun meiner Mutter im Haushalt. Aber ich hatte immer noch Verbindung mit meiner liebsten Lehrerin, meiner Musiklehrerin. Ich besuchte sie oft und sie hat mir immer geholfen meine kleinen Eierwärmer, die ich häkelte, verziert mit Blumen und Figürchen, zu verkaufen. Oder sie vermittelte mir das Nähen von Kinderkleidern. So hatte ich doch immer etwas Geld. Sie hatte mir auch ein Horoskop erstellt, danach sollte ich einmaletwas Großes in meinem Leben leisten. Ich dachte natürlich an meine Malerei oder sonst etwas, nicht nur Mutter und Hausfrau. –
An der Handelshochschule lernte meine Schwester Ernst Fleischmann kennen, er wardort Diplom-Sportlehrer. Im April 1926 heiratete meine Schwester. Eine Haustrauung. Ein Vetter meines Vaters, Emil Platz, traute das Paar. Es war eine wunderschöne Hochzeit. Ich kann mich erinnern, daß ich zum ersten Mal einen Schwips hatte. Damals hatten wir noch ein Harmonium und mein Vater spielte viel Feierliches !!! Im September 1926 zogen wir nach Eichkamp im Grunewald. –
Es war ein Haus gekauft worden, wie es finanziert worden ist, das weiß ich nicht. Nur daß die Schwiegereltern meiner Schwester wohl viel zugeschossen haben. Der Schwiegervater war Kirchenpräsident in der Pfalz und sie wohnten in Speyer. Trude bekam auch viele Kisten mit wunderschönem alten Porzellan, Silber und Bettwäsche etc. Auch ein Schlafzimmer bekamen sie von den Schwiegereltern, so daß sich meine Eltern keine Sorgen um die Aussteuer machen mußten.
In Eichkamp lag mein Zimmerchen unter dem Dach. Ich hatte gerade meine Rosenphase. Die Wände wurden rosa gestrichen. Weiße Mullgardinen mit rosa Schleifchen. Auch das weiße Bett bekam sein Rosa. –
Es mußte auch der Garten angelegt werden. Mein Vater teilte den Garten ein. Pflanzte Spindelbäume, Büsche und Rosen. Einen großen Teil hatte man mir überlassen. Das machte mir viel Freude. Ich durfte graben, hacken, ich war noch nie so glücklich. Auf Rundbeeten, auch auf verschiedenen Gartenteilen pflanzte ich und säte ich Blumen. –
Rings um das Haus meiner Schwester waren große Villen gebaut worden und die Gärten wurden von Gartenbaufirmen angelegt. Und wie ich da so werkelte, stand plötzlich ein alter Gartenmeister am Zaun und schaute mir zu. „Spreche ich mit einer Kollegin?“ fragte er mich. Das war etwas, wie ich mich fühlte !!! Ja, war das vielleicht ein Beruf für mich? „Aber nicht für eine höhere Tochter“ sagte meine Mutter. – Einen Beruf müßte ich schon erlernen, meinte mein Schwager. –
Im Sommer 1927 konnte ich beim KDW (Kaufhaus des Westens) als Volontärin in der Leihbücherei und Buchhandel anfangen. Dann könnte ich später Bibliothekarin werden, was so recht nach dem Sinn meines Vaters war. –
Da auch meine Vorstellung Schneidern zu lernen, weil ich so gern Kleider und modische Dinge zeichnete, nicht ankam, weil es ebenfalls nicht für eine höhere Tochter sei. –
Im Herbst 1927 hatte ich vom Abendgymnasium gehört und ich bestand die Aufnahmeprüfung. Voraussetzung war. Daß man berufstätig war. Von morgens um 9 Uhr bis abends um 6 Uhr arbeitete ich nun ohne Mittagspause. Das Abendgymnasium war in der Nähe der Charitee. Dort war auch ein kleines Restaurant, wo wir etwas zu essen bekamen. Es gefiel mir sehr gut auf der Schule, wenn auch die meisten Mitschüler wesentlich als ich waren. –
In dieser Zeit interessierte mich Alles. Psychologie, Graphologie, Geschichte. Mein Vater freute sich sehr über meine Aktivitäten. Er besorgte mir Bücher über die Wissensgebiete. Leider konnte es meine Mutter nicht ertragen und sie verbot mir Vater abends noch zu berichten von allen Dingen, die ich nun erlebte.
Auch Hans-Ortwin Müller ging auf dieses Abendgymnasium. Er war wohl 2 Klassen über mir, aber betreute die Bibliothek.
Und hier enden die Eintragungen in Mutters Tagebuch. Lassen wir das ruhig so enden, bauen wir jetzt mit unseren Eindrücken und Worten zusammen das Buch » Die Müllerei « aus.
Mutter und H.-O. heirateten am 17.August 1929 in Berlin-Grunewald, sieben Kinder kamen dazu.
Jetzt geht es weiter in Berlin:
Weihnachten 1924 verbrachten wir das Fest in einem Christlichen Hospiz mit einem kleinen Tannenzweig auf dem Tisch.—
Wir zogen dann in eine winzige möblierte Wohnung in einer Straße ohne Baum und Strauch, die nach Hundedreck roch. Aber alle meine Tränen halfen nicht, aber meinen Flocki konnte ich mitnehmen. –
Dann bekamen wir eine schöne große Wohnung in Lichtenberg.
Im Frühjahr 1925 kam ich auf das Elisabeth-Gymnasium in der Kochstraße. Ich hatte fast ein halbes Jahr keinen Unterricht mehr gehabt, auch war man hier viel weiter in allen Fächern, sodaß ich sitzen blieb.
1925 haben wir noch einmal Ferien in unserem Haus in Dettmannsdorf gemacht. Ich durfte auch meine Schulfreundin und ihre Schwester mitnehmen. Ilse Jung, spätere Schlempp. Wir waren auch in Warnemünde, wo mich ein Blitz beinahe erschlagen hat.
Das Geschäft in der Französischen Straße war ein Reinfall. Mutter brauchte auch gleich ein Mädchen zum Saubermachen und einen Laufjungen. Dabei bestand die ganze Einnahme von etv. Lieferungen von belegten Brötchen an die umliegenden Büros.
Vater versuchte das Ganze auf Mecklenburgische Landesprodukte umzustellen. Er hatte noch viele Verbindungen zu den Gütern, denen er Kriegsgefangene vermittelt hatte. Aber leider ließ sich das Geschäft nicht mehr halten und Vater mußte aufgeben. Bald klebte der Kuckuck an manchem Möbelstück. –
In dieser Zeit besuchte meine Schwester, die in Güstrow noch das Einjährige gemacht hatte, die Handelshochschule.
Als nun Alles den Bach hinunterging, war meine Mutter ganz verzweifelt, sie saß den ganzen Tag da und weinte. Ich konnte es kaum noch ertragen, weil ich oft dachte, daß sie den Verstand verlieren konnte. – Ich ging von der Schule ab, was sicher meinen Eltern wegen des Schulgeldes eine Erleichterung war. Ich half nun meiner Mutter im Haushalt. Aber ich hatte immer noch Verbindung mit meiner liebsten Lehrerin, meiner Musiklehrerin. Ich besuchte sie oft und sie hat mir immer geholfen meine kleinen Eierwärmer, die ich häkelte, verziert mit Blumen und Figürchen, zu verkaufen. Oder sie vermittelte mir das Nähen von Kinderkleidern. So hatte ich doch immer etwas Geld. Sie hatte mir auch ein Horoskop erstellt, danach sollte ich einmaletwas Großes in meinem Leben leisten. Ich dachte natürlich an meine Malerei oder sonst etwas, nicht nur Mutter und Hausfrau. –
An der Handelshochschule lernte meine Schwester Ernst Fleischmann kennen, er wardort Diplom-Sportlehrer. Im April 1926 heiratete meine Schwester. Eine Haustrauung. Ein Vetter meines Vaters, Emil Platz, traute das Paar. Es war eine wunderschöne Hochzeit. Ich kann mich erinnern, daß ich zum ersten Mal einen Schwips hatte. Damals hatten wir noch ein Harmonium und mein Vater spielte viel Feierliches !!! Im September 1926 zogen wir nach Eichkamp im Grunewald. –
Es war ein Haus gekauft worden, wie es finanziert worden ist, das weiß ich nicht. Nur daß die Schwiegereltern meiner Schwester wohl viel zugeschossen haben. Der Schwiegervater war Kirchenpräsident in der Pfalz und sie wohnten in Speyer. Trude bekam auch viele Kisten mit wunderschönem alten Porzellan, Silber und Bettwäsche etc. Auch ein Schlafzimmer bekamen sie von den Schwiegereltern, so daß sich meine Eltern keine Sorgen um die Aussteuer machen mußten.
In Eichkamp lag mein Zimmerchen unter dem Dach. Ich hatte gerade meine Rosenphase. Die Wände wurden rosa gestrichen. Weiße Mullgardinen mit rosa Schleifchen. Auch das weiße Bett bekam sein Rosa. –
Es mußte auch der Garten angelegt werden. Mein Vater teilte den Garten ein. Pflanzte Spindelbäume, Büsche und Rosen. Einen großen Teil hatte man mir überlassen. Das machte mir viel Freude. Ich durfte graben, hacken, ich war noch nie so glücklich. Auf Rundbeeten, auch auf verschiedenen Gartenteilen pflanzte ich und säte ich Blumen. –
Rings um das Haus meiner Schwester waren große Villen gebaut worden und die Gärten wurden von Gartenbaufirmen angelegt. Und wie ich da so werkelte, stand plötzlich ein alter Gartenmeister am Zaun und schaute mir zu. „Spreche ich mit einer Kollegin?“ fragte er mich. Das war etwas, wie ich mich fühlte !!! Ja, war das vielleicht ein Beruf für mich? „Aber nicht für eine höhere Tochter“ sagte meine Mutter. – Einen Beruf müßte ich schon erlernen, meinte mein Schwager. –
Im Sommer 1927 konnte ich beim KDW (Kaufhaus des Westens) als Volontärin in der Leihbücherei und Buchhandel anfangen. Dann könnte ich später Bibliothekarin werden, was so recht nach dem Sinn meines Vaters war. –
Da auch meine Vorstellung Schneidern zu lernen, weil ich so gern Kleider und modische Dinge zeichnete, nicht ankam, weil es ebenfalls nicht für eine höhere Tochter sei. –
Im Herbst 1927 hatte ich vom Abendgymnasium gehört und ich bestand die Aufnahmeprüfung. Voraussetzung war. Daß man berufstätig war. Von morgens um 9 Uhr bis abends um 6 Uhr arbeitete ich nun ohne Mittagspause. Das Abendgymnasium war in der Nähe der Charitee. Dort war auch ein kleines Restaurant, wo wir etwas zu essen bekamen. Es gefiel mir sehr gut auf der Schule, wenn auch die meisten Mitschüler wesentlich als ich waren. –
In dieser Zeit interessierte mich Alles. Psychologie, Graphologie, Geschichte. Mein Vater freute sich sehr über meine Aktivitäten. Er besorgte mir Bücher über die Wissensgebiete. Leider konnte es meine Mutter nicht ertragen und sie verbot mir Vater abends noch zu berichten von allen Dingen, die ich nun erlebte.
Auch Hans-Ortwin Müller ging auf dieses Abendgymnasium. Er war wohl 2 Klassen über mir, aber betreute die Bibliothek.
Und hier enden die Eintragungen in Mutters Tagebuch. Lassen wir das ruhig so enden, bauen wir jetzt mit unseren Eindrücken und Worten zusammen das Buch » Die Müllerei « aus.
Mutter und H.-O. heirateten am 17.August 1929 in Berlin-Grunewald, sieben Kinder kamen dazu.
Kommentare (2)
tilli †
Ja, lieber Ortwin, so viel hat deine Mutter geschrieben,jetzt werden die Kinder weiter schreiben müssen ,um diese Chronik vollständig zu machen. In jeder Familie, gibt es Geschichten, die das Leben schreibt. Nicht jeder kann sie erzählen. Die Frauen von damals, haben nicht so eine schönes Leben gehabt, wie die heutige moderne Frau.
Die Frauen wollen keine 7 Kinder, wenn schon, da eins.
Danke lieber Ortwin für diese Geschichte.
Tilli
Die Frauen wollen keine 7 Kinder, wenn schon, da eins.
Danke lieber Ortwin für diese Geschichte.
Tilli
es geht schon weiter!
Gestern habe ich den Ansatz zum "Nachwort zu..." angefangen.
Ich schreibe, erinnere mich an Gesagtes, Erzähltes und beginne zu »Leben«. Ich schnüffele in Bildern, Alben - soweit sie mir hier vorliegen - scanne, schneide zu, hole das wenige Greifbare hervor, warte nicht auf die Mitarbeit der Geschwister - das Warten hat Zeit gekostet, wertvolle Zeit. Mich hält nichts mehr auf.
Ich habe im Fernsehen, abends in einer Talkshow, ein Ehepaar erlebt, das - er 100, sie 95 - noch einmal geheiratet haben, wie sie da saßen und die Kamera das zeigte, was meine Eltern im Zusammensein auswies, was man bei meinem Spatz und mir auch sehen kann: sie hielten in der ganzen Zeit einander die Hand, wollten ihre Liebe mindestens sich einander spüren lassen.
(Gesammtlänge mußte gekürzt werden!)
Dieter