Mein Vater – unser Vater
Vorgeschichte
Den Alleinanspruch auf einen Vater habe ich nicht. Ich war das erste Kind im Schoße der Familie, nach und nach kamen noch Geschwister dazu – insgesamt sind wir sieben Geschwister. Und wir leben noch, während Vater im Alter von neunundachtzig Jahren heimging, also unsere Mutter – so, wie sie es in aller Liebe zu ihm immer gewollt hat – zurück ließ – er wäre nicht alleine zurecht gekommen.
Unser Vater war ein „Fünfer“: 1905 in Rixdorf bei Berlin geboren. Vor ihm waren schon zwei Schwestern da: Tante Trudchen und Tante Evchen. Die Großmutter war sparsam und so bekam der Hans-Ortwin – kurz H.-O., so wurde er gerufen – erst einmal Kleidchen, so wie seine Schwestern – Oma Henriette, eine Hannoveranerin, war Schneiderin. Die Bilder aus damaliger Zeit (aus einem Photo-Atelier in Berlin-Karlshorst) sind so elegant drapiert. Und Opa Max, ein Dessauer, war Korrespondent bei der Versicherung „Friedrich Wilhelm“ da in Berlin-Mitte in der Behrenstraße.
Und unsere Mutter? Sie wurde 1909 in Moskau geboren. Sie hatte eine ältere Schwester, Tante Trudel, die vor der Übersiedlung nach Moskau in Bromberg geboren wurde. Wieso Moskau?! Nun Oma Fanny war als junges Mädel nach dem Tod der Mutter von einem Onkel mit nach Orenburg am Ural mitgenommen worden.
Der Opa Friedrich Wilhelm ist nach der Auflösung des elterlichen, bankrottgegangenen Geschäftes mit seinem Freund nach Petersburg gegangen und später weiter nach Moskau. Unsere Mutter hat so einiges in ihrem letzten Tagebuch darüber geschrieben.
Friedrich Wilhelm fuhr zur Hochzeit eines Freundes nach Leipzig. Dort wurde Fanny seine Tischdame – die kam ja von Orenburg dazu. Diese Feier muss nicht ohne Folgen geblieben sein: die Beiden heirateten recht bald – und zogen nach Moskau.
Da kam der (erste) Weltkrieg. Als Austauschgefangene konnten sie nach Deutschland zurückkehren. Nach Zwischenstopp in Wien und Ohrdruf in Thüringen landete die Familie in Güstrow. Da ging unsere Mutter zur Schule. Großvater war Direktor erst eines Kriegsgefangenenlagers, dann das jetzt als Flüchtlingslager nach Kriegsschluss 1919. Das Lager wurde später geschlossen und Großvater war arbeitslos geworden.
Die Familie ging nach Berlin – Großmutter wollte einen Laden aufmachen, so für Feinkost-Spezialitäten. Ausgerechnet neben dem Konkurrenten, der heute noch da am Gendarmenmarkt existiert. Das ging dann auch in die Hose. Nur gut, dass Tante Trudel dann bald heiratete und unsere Großeltern mit „übernahm“.
Und wie sind Vater und Mutter zusammengekommen? Das Berlin in den Zwanzigerjahren war wohl genauso quirlig wie heute. Mutter begann im KaDeWe eine Lehre zur Bibliothekarin. Abends besuchte sie das Abendgymnasium, das der „Olle Wertheim“ eingerichtet hatte, um das Abitur zu erreichen. Sie lieh sich in der Abendschule aus deren Bibliothek Bücher aus – denn als Studentin musste sie vieles lesen.
Diese Bibliothek verwaltete H.-O. . Man kam ins Gespräch, man ging zusammen spazieren. Und … verlobte sich „heimlich“ in einer bitterkalten Winternacht. Ein halbes Jahr später wurde dann geheiratet. Zum Graus der Großeltern, weil doch keine Aussteuer mitgegeben werden konnte. Das war im Sommer 1929 – also in einer nicht gerade normalen Zeit. Arbeitslosigkeit, Parteien-Gezänk, Mord und Totschlag.
H.-O. wollte Ingenieur für Kältetechnik studieren – ohne Abi, eben nur mit der Mittleren Reife. Dagegen wehrte sich Opa Max: „Entweder das Abitur und dann studieren oder ab in die Versicherung!“ H.-O. ging in die Versicherung, da, wo Max „diente“. Und dabei war es Max doch auch so ergangen: er studierte Botanik, sollte aber Jura studieren - da blieb dann schließlich der monatliche Scheck aus!
Opa Max hatte sich von Oma Henny getrennt – sie soll in eine Sekte geraten sein und brauchte immer ein zweites Gehalt. So bezog er mit H.-O. und Lotte eine gemeinsame Wohnung, es ging hinaus in den Osten der Stadt. Von Schöneweide war die Versicherung für die beiden „Männer“ einfach zu erreichen. Man fuhr mit der inzwischen elektrifizierten Stadtbahn vom Bahnhof – ach, wie viele Namensänderungen hat dieser Bahnhof mitgemacht! also heute Berlin-Schöneweide – bis zum Bahnhof Friedrichstraße, um dann das Stück zur Behrenstraße zu laufen – Erst ab 1939 konnte man mit der Nord-Südverbindung bis „Unter den Linden“ (heute „Brandenburger Tor“) weiterfahren.
Ich kam also 1931 in Karlshorst zur Welt. Gewohnt wurde in Niederschöneweide. Zwei Jahre später kam Schwester Bärbel dazu. Das bedeutete einen Umzug in eine größere Wohnung in „Oberschweineöde“. Und dann drei Jahre später kam Nörli dazu. Und wieder ging es auf Wohnungssuche.
H.-O. und Lotte hatten den Wunsch und die feste Absicht, mit uns Kindern raus aus Berlin zu ziehen, ja, wenn der Sparvertrag zuteilungsreif war, auch zu bauen. Also war das Mieten eine Zwischenstation. Es ging hinaus ins Umland von Berlin.
Lotte zog mit Kind und Kegel, begleitet von der gerade „amtierenden“ Haustochter in das Berliner Umland – wir also immer dabei. Wir durften erleben, wie sich Märkischer Sand in den Kinderwagen-Rädern einließ.
Kannst du dir vorstellen, dass ich diese Düfte aus Feld und Flur immer noch in der Nase habe, obwohl ich gar nicht mehr riechen kann?! Und dann landeten wir im Herbst 1936 in Eichwalde Kreis Teltow, vor den Toren von Groß-Berlin.
Ein Möbelwagen kam, die weißblaugestreiften Hemden der Packer sind noch im Gedächtnis, Mutters Möhrensuppe auf dem Elektroherd (neu für Lotte), Dunkelheit, weil die Lampen noch fehlten, das Schlafen auf den Matratzen auf dem Fußboden.
Am nächsten Morgen: hinaus in einen Garten ins frühe, grelle Morgenlicht, schon etwas herbstliche Kühle. Aber Obstbäume und Sträucher bis hin zum Gartenzaun. Hund Pucki war kräftig beim Markieren seines neuen Revieres. Die Männer, Max und H.-O., waren schon wieder ins Büro gefahren (die fuhren nicht zur Arbeit – sie fuhren ins Büro!). Und Lotte, unsere Mutter richtete ein. Ein ganz neuer Tagesablauf begann. Er sollte nun neun Jahre währen. Doch davon will ich im nächsten Kapitel erzählen.
ortwin
Kommentare (4)
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wie nett von Dir schon den Einband zu kreieren. Ich bin ja noch lange nicht so weit mit dem Schreiben - viele Stücke dazu habe ich hier bei ST schon eingebracht. Aber noch vieles schwirrt im Kopf rum, will auch mit eingesetzt werden.
Da meint Spatz (meine liebe Freundin) heutemorgen am Frühstückstisch: "wen interessiert das wirklich?" - Wenn ich das eigentlich nur für die "Familie" schreibe - wer von den Geschwistern hat es den Enkeln und Neffen/Nichten erzählt???
Mut! Mut in Zeiten, in denen ihr hadert - seid frei und fröhlich und und und "An jedem Tag ist etwas für dich zu gewinnen!"
LG
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Wenn das Leben leicht ist, ist es keine Kunst gut zu sein, aber in den Zeiten war es täglich eine Herausforderung, das Leben für sich und die Kinder zu sichern, ohne einen anrüchigen Weg ein zu schlagen um es leichter zu haben.
Hut ab vor Eurer Familie, gutes Blut weiter gegeben.
Mit freundlichen Grüßen,
Traute
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September(henryk)
Schreibe du weiter das spannende Buch.....ueber gescheidene deutschen FAMILIE! Henryk
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