Mein drittes Märchen

MACHT JA NIX
ODER :
DIE KUNST DER AKZEPTANZ

Die kleine, alte Frau war müde -
müde - und auch ein wenig bequem;
also verkündete sie einige Wochen vor dem Weihnachtsfest :
"Keinen Tannenbaum diesmal, nein,
nur einen Zweig in der Vase
das sieht bestimmt auch ganz hübsch aus"
und faltete zufrieden die Hände über ihrem Bäuchlein;
aber die Lieblingstochter (zufällig anwesend)
meinte nicht, wie erwartet: Macht nix!
sondern: "Ach bitte, einen Baum,
wir machen daraus auch einen
WEIHNACHTSMUTTERGESCHENKBAUM".
Ach ja, denkt sie, macht ja nix,
wenns das Kind sich wünscht -
"aber dann möcht ich bitte einen kleinen Baum,
hübsch und handlich, eine Tanne, die nicht piekt."
Ja, sogar der Schwiegersohn -
urgemütlich seinen Kaffee genießend,versprach:
"Du bekommst deinen Baum, klein, ganz nach Wunsch
und auch noch rechtzeitig."

Und dann gingen die beiden Lieben ihres Weges -
und auch die Tage
bis zum Heiligen Abend gingen dahin.
Die alte Frau stellte mit Ächzen und Stöhnen
ihre Möbel für das zu erwartende Bäumchen um.


WARTEN WILL GELERNT SEIN

Der 21.12. - Kein Schwiegersohn in Sicht -
der 22. war vorüber und sie dachte:
Macht nix, so ist er halt, mein Schwiegersohn,
lieb und ruhig -
und mit aller Zeit der Welt gesegnet.

Der Morgen des 23. Dezember dämmerte herauf,
winzige Schneeflocken druselten vom Himmel.
Die kleine Frau schaute nachdenklich
zu der großen Vase - leer -
zum Tannenbaumtisch - noch leerer -
na ja, denkt sie, dann eben nicht!
Aber, am Abend kam der Schwiegersohn
mit einem Riesenbäumchen die Treppe heraufgeschnauft
und ächzte durch die Stube.
Da war er nun, der Liebe,
nebst einer kleinen 3 - Meter-Tanne -
alles ganz nach Wunsch!
"Danke" sagte die Frau, "danke,aber - er sticht."
Und der junge Mann weiss:
"Eine Nordmann-Tanne sticht immer
und die kleinen Bäume waren auch schon alle weg!"
Und - er - war dann auch bald wieder weg.
Ja, da stand nun die kleine Frau,
betrachtete den Baum - und wollte nicht!
Und der große Baum wollte noch viel weniger;
aber - es half nichts, sie musste Gewalt anwenden
und ihn seiner schönsten Zier berauben:
Die wunderbare, 50 cm lange Spitze musste weg,
ja, leider -
und einige schöne, dicke Äste,
damit er in den Keramiktopf passte.


ICH BIN, WAS ICH BIN

"Ich bin eine Blautanne", sagte der Baum,
"pieks, pieks, pieks!"
Und die Frau schaute auf ihre rotgepieksten Hände.
Aber der große Baum meinte tröstend:
"Sei nicht traurig,
ich dufte für dich, wie ein ganzer Tannenwald."
Und das tat er dann auch ganz lieb.
Die Frau belohnte ihn dafür
mit Rot und Gold und Engel, Stern und Licht
und zu seinen Zweigenfüßen
kauerte das kleine, alte Kinderkrippchen.
In der Nacht, wenn alles still war,
knisperte er vor sich hin
und rückte seine Zweige zurecht,
(das merkte die alte Frau,
denn morgens saßen die Kerzen immer ein wenig schief.)
Er flüsterte mit Hedwig,
dem großen Holzengel, der neben ihm stand
und manchmal weinte er stille, harzige Tränen,
denn er hatte Heimweh nach seinem Tannenwald.
Als alle anderen Weihnachtsbäume
schon längst auf den Müllbergen
vor sich hindämmerten,
sagte die Frau nachdenklich:
"Ja, mein Bäumchen,
jetzt ist auch für uns der Abschied da."
Und, als er dann, Zweig für Zweig,
in der riesigen, braunen Papiertüte war,
draussen vor der Gartentür,
dachte die kleine Frau traurig
an die schöne Zeit mit dem großen Baum.


DIVERSE TRÄUME

Aber in der Nacht, als alle schliefen,
kam die Waldfee,
nahm 7 mal 7 Zweiglein aus der großen Tüte,
streute sie mit einem geheimen Spruch
auf den Winterwaldboden
und am anderen Morgen stand dort
ein niedlicher, kleiner Tannenbaum,
der über einen seltsamen Traum nachdachte:
Er hatte von einem lächelnden Holzengel
und einer kleinen, alten Frau geträumt.

Der Engel Hedwig
steht jetzt allein in der Stube
und lächelt still vor sich hin.
Aber die Frau findet hin und wieder noch eine:

DAS-IST-EIN-LETZTER-GRUSS-VOM-GROSSEN-TANNENBAUM-NADEL