Inwieweit wörtlich verstehen?

Eines der wichtigsten Bücher aller Zeiten: "Les Miserables" von Victor Hugo.

In der Vorweihnachtszeit kommt die Erinnerung an den gutmütigen Bischof, der dem armen, und ziemlich wild aussehenden Jean Valjean, dem ehemaligen Geleerensträftling, eine Übernachtung angeboten hatte. Nicht nur liess er den Mann in einem bequemen, sauberen Bett schlafen; er liess auch auf den Tisch zwei silberne, kostbare Leuchter stellen, ohne Rücksicht darauf, dass sie womöglich gestohlen werden können... Und die wurden dann auch von dem verzweifelten, tief seelisch verletzten Valjean gestohlen - wie früher das Brot für seine hungernde Familie. Dafür wurde er eben zu den Geleeren verurteilt. Doch als er nun von einem Gendarmen zurück zum Bischof geschleppt wurde, sagte der mutmaßlich bestohlene Priester: Nein, keine Diebstahl; ich habe dem armen Mann meine Leuchter geschenkt...

   Am Heiligabend wird in manchen Familien ein zusätzlicher Teller auf den Tisch gestellt, und zusätzliches Besteck gelegt. Für einen Fremden, einen Wanderer, der gerade unterwegs sein könnte. Und zu dieser heiligen Zeit, wer könnte da auch (nieder)gekommen sein...?

   Viele Leute geben zu, dass es in Wirklichkeit für sie unmöglich wäre, eine fremde Person aus der Nachbarschaft da einzuladen; und geschweige denn, jemanden unbekannten. Inwieweit wörtlich man dieses Gebot annehmen kann, darüber muss wohl jeder in seinem Gewissen selber entscheiden. Denn es war womöglich auch nicht so wörtlich gemeint: Vielleicht geht es nicht nur um den einen Abend, und um einen Fremden. Vielleicht reicht es schon aus, wenn man, das ganze Jahr lang - einfach ehrlich und mit Sympathie herumhandelt.