Hautnah an der Politik


Hautnah an der Politik
Als ich vor sechzig Jahren mit dem »selbstgestrickten« Fahrrad, aus Niedersachsen kommend Köln kurz gestreift hatte und dann beim Vater in Bonn im Büro aufschlug, quälte sich diese Beamten- und Universitätsstadt noch mit dem Wiederaufbau des Zerstörten aus dem vor vier Jahren beendeten Krieg. Es war beschlossen, daß die Hauptstadt des gestammelten Gebietszusammenschlußes »Trizonesien«, nämlich der US-, der BR- und der FR-Zonen, mit dem auf Herrenchiemsee erarbeiteten Grundgesetz für eine Bundesrepublik, daß die Hauptstadt in Bonn etabliert werden sollte. Eine noch garnicht recht erfaßte Belastung für dieses dahindämmernde Städtchen Bonn.
Mit dem Vater radelte ich – auch er hatte sich ein »geklontes« Fahrgestell andrehen lassen – von der Rheindorfer Straße, wo Vater in einem möblierten Zimmer darauf wartete, daß wir endlich eine Wohnung in Bonn oder Godesberg oder … na, wo eben eine Wohnung für acht Köpfe sich anböte, radelte, obwohl ich noch die Tretleistung von Volmarstein an der Ruhr bis nach Bonn in den Muskeln hatte, wir radelten also nach Dienstschluß zusammen nach Friesdorf, da bot einer die Ruine seines Einfamilienhauses an, er wollte sich beim Deutschen Herold das nötige Kleingeld leihen im Tausch für eine Bezugsberechtigung für unsere Familie.
Zurück sind wir runter zum Rhein nach Plittersdorf gefahren. Stromaufwärts pendelte die Godesberg-Niederdollendorfer Fähre vorsichtig zwischen berg- und talfahrenden Schleppzügen. Auf der rechten Rheinseite sah man die Steilwände vom Basaltabbau. Und noch weiter stromaufwärts machte sich das Siebengebirge breit, zu vörderst der Petersberg, wo der Britische Hochkommissar residierte, gerade schleppte sich die Zahnradbahn den Berg hinauf, man sah nur ihren Rauch zwischen den Bäumen hervorquellen. Noch ein Stückchen weiter lugte vorwitzig der Drachenfels mit seiner markanten Ruine über den Rhein. Damals in der Schule in Eichwalde sollten wir einen Aufsatz schreiben „Von Bingen nach Bonn“ – ich habe mich davor gedrückt, habe ihn weder gedacht noch geschrieben – und jetzt stand ich da mittendrin.
Wir radelten zurück in Richtung Bonn. Wir kamen zum Trajekt – lies mal bei Wikipedia nach von dieser Bahnverbindung zwischen Bonn (linksrheinisch) und Oberkassel (rechtsrheinisch), das quasi eine Eisenbahnbrücke darstellte – da geht heute die Südbrücke über den Rhein, aber damals …

Wir passierten die Gronau, Wiesen längs des Rheinufers. Wir kamen zu einer gerade notdürftig abgeschlossenen Baustelle, einem Gebäudekomplex der Bonner Universität, der nun für reichlich Jahre das Bundeshaus darstellen sollte. Wir stießen auf das Schaumburger Palais, wo der Bundeskanzler seinen Dienstsitz hatte. Wir radelten die Koblenzer Straße stadteinwärts, kamen am Museum König vorbei, wo das Amt des Bundespräsidenten einnistete, und so gegenüber lag die Villa Hammerschmidt, in die gerade »Papa Heuß«, der Bundespräsident, eingezogen war. Wir durchfuhren das Koblenzer Tor, das durch das ehrwürdige Gebäude der Universität in die Altstadt Zutritt gewährte.
Naja, es gab schon noch reichliche Zerstörungen in der Stadt. Mancher sagte, daß so endlich die viel zu engen Gassen verschwinden könnten. Und die Bonner und ihre Republik brauchten Platz. Vor sechzig Jahren beanspruchten auch wir einen Platz an der Sonne, zogen also nach Bonn. Wir lernten Menschen und Sprache kennen, die so ganz fremd ins Berliner Milieu bohrten. Als wir ankamen, war die »Jecke Zeit« gerade angebrochen – wir sahen dem Treiben amüsiert aber hilflos zu, wir mußten sowas erlernen.
Ich fuhr manches Mal nach Königswinter nicht über die Bonner Brücke, sondern ließ mich in Mehlem mit der Fähre nach Königswinter übersetzen und so auch wieder zurück. Es blieb nicht aus, etwas mehr Platz auf dem Schiff eizuräumen, kam doch da dann und wann gerade der Mercedes mit dem Kennzeichen » 0 – 2 «, der »Alte Herr« ließ sich von Rhöndorf kommend oder dorthin zurückkehrend chauffieren. »Personenschutz« gab’s nicht. Genauso, wie man »Papa Heuß« in der Stadt spazierend antreffen konnte.
1951 war meine Lehrzeit endlich zuende. Drei Lehrstellen hat’s gebraucht, um im fünften Lehrjahr endlich den Gehilfenbrief quasi aus Vaters Hand zu bekommen – Vater war für die Lehrlinge bei der Industrie- und Handelskammer in Bonn zuständig. Das Radeln jeden Morgen von Bonn nach Königswinter war zuende. Das Suchen nach Arbeitsstellen begann, drei Monate hier, einen Monat da und wieder einen Monat woanders – ich habe Zeugnisse und Arbeitsbescheinigungen gesammelt, ich war nur immer an Wochenenden arbeitslos. Abends ging es in die Abendschule, mindestens die Mittlere Reife zu erlangen. Langweilig war es überhaupt nicht – nun ja, ich steckte meine Füße bei den Eltern unter den Tisch, gab mein Kostgeld ab und Mutter achtete schon darauf, daß ich ordentlich gekleidet war. Als ich dann die »Reife« in der Tasche hatte und gerne nun nach Köln zur TH gehen wollte … »Junge, Du weißt doch, daß wir kein Geld haben!« Was nun ???
Die Wechselei der Arbeitsstellen hing mit der »Korea-Krise« zusammen. Vater entdeckte im General-Anzeiger ein Angebot von einer renommierten, deutsch-amerikanischen Firma. Für Registrierkassen und Buchungsmaschinen wurden Kundendiensttechniker gesucht. Erst ging es nach Köln in die Vertretung dort, ich lernte die Dinger in ihren Eingeweiden kennen. Die Firma wartete noch mit der Einladung zu Lehrgang nach Augsburg bis ich die Fachschulreife unter Dach und Fach hatte.
Ich bekam den Bezirk Bonn – ohne Auto zu bewältigen, einen Koffer mit Werkzeug und Kleinteilen an der einen Hand, eine Tasche mit »Büro«, Farbbändern und Papierrollen … und Waschpaste und Kittel an der anderen Hand. So besuchte ich die Kundschaft, vom Metzger über Gemüsehändler, Kneipe, Sparkasse usw. bis hinein in Bundeshaus. Die Straßenbahnfahrer kannte ich fast alle, durfte ich doch mein Gepäck gleich neben ihnen stapeln, aber so, daß diese ihren Klingelknopf noch treten konnten, manches Mal habe ich dann den »Zahnstocher« genommen und die Weiche voraus umgelegt.
Bei diesem Streunen durch die Stadt erlebte ich Adenauers Abreise nach Moskau – für die Wochenschauen wurden vor dem Einsteigen der Reisenden noch schnell Scheinanfahrten gefilmt. Prinzessin Margret, Heile Selassy, Schah und Soraja – das alles spielte sich so harmlos, so beiläufig ab, man nahm so ganz nebenher teil, war man da so nahe dran, ungehindert. Man blockierte mir meinen Zutritt zum Bundeshaus, besser zur Abgeordneten-Kantine: man hatte die Bannmeile um das »Regierungsviertel« gezogen, die dunkelblau uniformierten Polizisten mit ihren Tschakos mußten überzeugt werden, daß ich »dienstlich« da hinein mußte. In der Stadt sah es anders aus: Wasserwerfer arbeiteten sich gegen die Menschen vor, die sich gegen die »Notstandsgesetze« zur Wehr setzen wollten. Max Reimann und seine Genossen waren auch oft Zielscheibe beim polizeilichen Reinigen der Stadt.
Diese Stadt, überschaubar! „Zuckersüße Apfelsinen! Fünf Stück ‘ne Mark !“ hallte es über den Marktplatz vor’m Rathaus. – „Peter Anders ist tot! Für zehn Pfennig hier in de Bildzeitung!“. Dieses Expandieren, wollten doch Regierung und Botschaften und auch die Besatzungsmächte ihre Plätze da am Rhein auf- und ausbauen. Der Venusberg über der Stadt bekam viele Keller mit Häusern drauf, nicht Tarnung, nein Leben, immer komfortabler. Einer wohnt, glaube ich, noch immer dort oben: „Heh, Genschman! Lassen Sie es sich weiter dort oben über dem Rhein gut gehen. Achten Sie auf Ihre Gesundheit!“

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