Eine unangenehme Begegnung


Dass es jedoch auch in dieser scheinbaren Idylle etwas Negati­ves gab, musste Walter zu seinem Bedauern feststellen, als er zum Rathaus ging, um sich polizeilich anzumelden. Obwohl er der ein­zige Wartende war und vorschriftsmäßig seinen Personalausweis in einen dafür vorgesehenen Schlitz in der Tür gesteckt hatte, ließ man ihn auf dem Flur sitzen und warten, ohne dass sich jemand um ihn kümmerte. An der Tür stand
Nicht klopfen! Sie werden aufgerufen!
Irgendwann reichte es ihm und er klopfte dennoch beherzt mehrmals an die Tür der Amtsstube. Innen hörte er laute Stimmen, sodass er dachte, jemand hätte herein gerufen. Deshalb öffnete er forsch die Tür, trat ein und sah zu seinem Erstaunen, dass ein Volkspolizist und andere, Walter ebenfalls noch unbekannte Männer um einen gedeckten Tisch saßen und tafelten. An Getränken gab es Kaffee, Schnaps und Bier. Der Polizist sah ihn wütend an und schimpfte: „Hat Sie irgendjemand hereingebeten?“ Walter nickte.
„Ich habe geklopft und dann hat irgendjemand von Ihnen herein gesagt. Mag sein, dass ich mich getäuscht habe, aber nun bin ich schon mal drin, da können Sie mich doch auch gleich abfertigen.“
Der Polizist schrie wie auf dem Kasernenhof: „Raus hier, sofort raus! Wat erlauben Se sich, hier einfach einzudringen? Se können wohl nich lesen, wat da draußen dransteht.“
Walter zuckte zurück. Einen solchen Ton hatte er nicht erwartet. Trotzdem gab er nicht klein bei.
„Ich warte draußen schon seit zwei Stunden, da dachte ich, Sie ha­ben mich vielleicht vergessen.“
Nun erhob sich einer der anderen Herren, ging auf Walter zu und nahm eine drohende Haltung ein. Er war um die 50 Jahre alt, grauhaarig und schien eine höhere Stellung zu haben, denn er trug sein Parteiabzeichen gut sichtbar am Revers eines guten Anzuges. Missbilligend musterte er Walter eine Weile mit Verachtung. Dann sagte er mit energischer Stimme: „Was denken Sie sich eigentlich und wer sind Sie überhaupt, dass Sie es wagen hier unaufgefordert einzudringen? Sie werden aufgerufen, wenn es soweit ist. Also verlassen Sie gefälligst sofort den Raum.“
Eine solche Behandlung war Walter nicht gewohnt. Mit lautem Türschlagen verließ er das Dienstzimmer und dachte nicht daran, noch länger zu warten, sondern stürmte auch gleich aus dem Rat­haus hinaus auf dessen schlammigen Vorplatz. Dann meldete er sich eben nicht um. Seinen Ausweis schien er hier in der Kleinstadt ja auch nicht unbedingt zu benötigen. Das hatte er jedenfalls nicht nötig, sich von so einem aufgeblasenen Kerl runtermachen zu lassen.

Als er am nächsten Morgen seinem neuen Chef, dem LPG-Vor­sitzenden, von dieser Begegnung erzählte, verzog der sein Gesicht sorgenvoll und meinte warnend: „Das war unser Bürgermeister Buchwald und der Polizist war der ABV Kasubke. Mit denen ist nicht zu spaßen. Seien Sie lieber vorsichtig, denn sowohl der Bürgermeister, als auch der Abschnittsbevollmächtigte können Ihnen gefährlich werden.“
Diese Mitteilung beeindruckte Walter sehr, denn er war ja durch sein Auftreten schon unangenehm aufgefallen und abgesehen davon, dass in so einer kleinen Stadt ohnehin niemand anonym bleiben konnte, hatte er auch noch seinen Per­sonalausweis dagelassen. Er hoffte von ganzem Herzen, dass sein Verhalten keine negativen Auswirkungen auf sein weiteres Leben in Elbwitz haben würde.


Walter konnte zu diesem Zeitpunkt noch nicht wissen, wie sehr sich die Worte des LPG-Vorsitzenden eines Tages bewahrheiten würden.

Aus dem Buch "Onkel Bürgermeister" von Wilfried Hildebrandt.


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Kommentare (4)

Heidi Grünwedl

@Wilfried  Meine Schwester hat mal als Kind zu dem Bild vom Honecker in der Volkspolizei gesagt: "Was ist denn das für ein Opa?" Meine Mutter sagte ganz erschrocken: "Sei, still, Kind! Sonst kommen wir ins Gefängnis!" Aber da sind wir nie hingekommen. Meine Mutter ist schon tot und meine Schwester lebt jetzt gesund und munter in München.

Liebe Grüße von

Heidi

Ernu

Solche Schilderungen lösen bei mir immer Beklemmungen aus. Zum Glück ist dieser Umgang "Nach Gutsherren-Art" heute selten geworden.
Las sich übrigens gut ;-)

Wilfried

@Ernu 
Ja, und dieser selbstherrliche Mensch verfolgt den armen Walter, den Held meines Romans, über lange Zeit.
Dieser Charakter ist leider keine reine Erfindung von mir, ich habe ihn in meinem Buch lediglich etwas überspitzt dargestellt. Insgesamt enthält dieses Buch viel Autobiografisches.
Viele Grüße
Wilfried

Ernu

@Wilfried  
Das Leben erzählt die spannendsten Geschichten ;-)


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