Der Werwolf
Angestoßen von Guido Knopp’s History-Show und die darin gemachten Äußerungen des Theo Sommer in Bezug auf den Nazi-Werwolf kam die Zeit 1944…1945 wieder hoch.
Im Herbst 1944 waren wir, unsere Mutter mit uns sechs Kindern, aus der erst am 16.Januar 1944 von unserer Mutter veranlassten Evakuierung, aus dem Odenwald (zugleich mit den „Metz-Flüchtlingen“) wieder nach Berlin zurückgekehrt.
Ein ein/zwei Klassen älterer Mitschüler an der Eichwalder Oberschule, Joachim Pöppel, lockte uns in die in Eichwalde neu aufzustellende Nachrichten-H.J.
Klar, dass wir Pimpfe (kurz vor der Übernahme in die Braune H.J.) sofort mitmachten. Das ewige „Kriegspielen“ waren wir leid.
Wir lernten Elektrotechnik, Fernmeldetechnik und -geräte kennen. Wir zogen die ersten „Strippen“ – weder für wen oder wozu selten bekannt, noch danach gefragt. Es wurde auch nicht weiter gefragt, als wir in einer kleinen Gruppe von Eichwalde nach Zossen marschierten (Vorortbahnen und S-Bahn), dort beim OKH (Oberkommando des Heeres) Geräte und Kabeltrommeln aufnahmen und alles nach Eichwalde schleppten.
Es war „Ehrensache“, im Dienstabteil der S-Bahn (erster Wagen vorne, wo der Triebwagenführer und sein Begleiter wirkten) reisten. „Ihr kommt doch nicht mehr nach Eichwalde, der Russe steht da schon!“ Von solchen „Parolen“ ließen wir uns nicht beeindrucken – Wir hatten einen Auftrag. Und wir kamen durch nach Eichwalde. Wir zogen brav unsere Strippen.
Wir bauten im Gutshaus im Nachbarort Schulzendorf eine Feldvermittlung auf, lernten Vermittlungsdienst usw. Doch als Fliegeralarm kam schickte uns der „Vorgesetzte“, ein blutjunger Fahnenjunker, in den Keller – wir waren sauer, stinksauer. Und dann schickte man uns nach Hause.
Was macht man jetzt? Oh, Günter K., unser längster, wusste, wie man „Bleikristall“ goss. Das brauchte man zum Bau eines Detektor-Empfängers. Es hat schon immer eine gewisse Zeit gekostet, bis aus dem Kopfhörer etwas an Ton heraus kam. Und ich fand eine Stelle:
Stolz rannte ich auf unsere Straße mit der Nachricht. Da hingen schon weiße Tücher aus den Fenstern – niemand wollte mir zuhören. Ich soll Mutter in meiner Wut über diese „Feigheit“, heulend, mit meinen Fingernägeln die Schultern zerkratzt haben.
Mutter ging noch einmal zur Bahnhofstraße, wollte die zugeteilten Tabakwaren abholen. Gerade, als sie in die (unsere) Schillerstraße einbog, kamen zwei russische IL2-Jäger im Tiefflug angeflogen. Mutter schmiss sich hin, hob sich aber mit ihrem schwarzen Mantel im Märkischen Sand sehr deutlich ab. Sie versuchte in ein Grundstück auszuweichen – die Tore waren alle verschlossen.
In dieser Zeit hat unsere Litauerin Aurelia versucht uns Kinder allesamt unter den hochbeinigen Küchenherd zu verstecken. Krieg mal alle drunter: das klappte nicht. Mutter kam ohne Blessuren nach Hause – Tabakwaren hatte sie nicht mehr bekommen.
Der Russe besetzte Eichwalde in der Nacht – der Nachbar von hinten hat das weitergesagt. Strom gab es schon lange nicht mehr. Also konnte auch die Wasserpumpe im Keller nicht mehr laufen. Wir waren froh, dass unser Vater noch bevor er nach Dänemark versetzt worden war, die Pumpe im Garten flott gemacht hatte – die war versandet gewesen.
Da kamen die Russen, ein Sergeant und ein Soldat, zu uns in den Garten, verlangten Wasser. Mutter scharte uns Kinder um sich „Ein Russe tut keinem Kind etwas zu leide!“. Die Russen tranken unser Wasser, erkundigten sich nach Deutschen Soldaten, zogen weiter.
Noch rummelte es im Norden, noch war Berlin nicht gefallen. Wir konnten schon raus. In der Markgrafenstraße zogen Russen zu Fuß gen Norden, zogen ihr schweres MG auf Rädern mit sich. In der Schmöckwitzer Straße wickelten zwei Russen – mit unserem Gerät! – das von uns verlegte Feldkabel auf. Ich bin heulend hinterher gelaufen. Da begegnete mir auf der anderen Straßenseite Frau (Dr.) Schumann. Artig hob ich die Hand zum Gruß und rief laut „Heitler!“. Schockiert waren Alle – ich hatte ja gar keinen anderen Gruß gelernt.
Viel Zeit zum Überlegen gab es nicht mehr: die Gleise waren abzubauen – Reparationsleistungen, wir Schüler mussten da arbeiten. Mit dem „selbstgestrickten“ Lkw (Holzgasantrieb) ging es von der Gemeinde aus nach Großbeeren – da war ein Güterzug mit Kartoffeln gestrandet. Die Türen der Wagons waren aufgerissen, eine weithin stinkende Masse floss heraus. Eine kleine Probe wurde in eine Kiste gepackt – so als Zeugnis. Auf einem Feld zupften Landarbeiter Möhren. Unser Fahrer kaufte ihnen die Ernte ab, wir brachten Möhren mit nach Eichwalde. Gut vierzehn Tage gab’s Möhren – keine Kartoffeln, kein Salz, kein Fett!
Als die Schule wieder anfing, hat sich Studienrat „Bommel“ vertan: er hob die Hand zum Gruße, ließ sie fallen und stöhnte ein „Guten Morgen!“. Für mich war es Schluss mit Schulbesuch – ich weiß nicht, warum. Also bekam ich eine Lehrstelle – nicht das Gewünschte.
„Förster“: „Junge, das kannste vergessen!“
„Radiotechnik“: das wurde auch nichts.
Also kam ich in eine kleinste Fabrik. Man goss Dinge aus Aluminium. Ich war am liebsten beim Former – da „spielte“ ich mit dem Formsand. Die Gesellen wollten, dass ich am Schraubstock ein Stück Eisen befeilte: „DAF – Eisen erzieht!“ Ich bekam, wie so fast jeder andere, Magen- und Darmerkrankung. Ich wurde entlassen.
Mutter war zur Großmutter nach Stolberg im Harz gefahren, hat dort Vaters Nachricht gefunden, dass er bei seinem Vetter in Walsum Kreis Dinslaken „aufgeschlagen“ war. Mutter nähte Rucksäcke, stellte unser Fluchtgepäck zusammen. Und ab ging es nach Berlin-Westend in das U.N.N.R.A.-Lager in der Sophie-Charlotte-Schule.
Von dort bugsierte uns der Tommy mit seinen Militärfahrzeugen durch die Sowjetisch besetzte Zone in die Britische Zone.
Ade Berlin,
ade Eichwalde.
Herbst 1945:
Neuanfang in Niedersachsen, in Hämelschenburg Kreis Hameln-Pyrmont.
Rückkehr nach Berlin: 2010 – gesund und ohne Werwolf
Im Herbst 1944 waren wir, unsere Mutter mit uns sechs Kindern, aus der erst am 16.Januar 1944 von unserer Mutter veranlassten Evakuierung, aus dem Odenwald (zugleich mit den „Metz-Flüchtlingen“) wieder nach Berlin zurückgekehrt.
Ein ein/zwei Klassen älterer Mitschüler an der Eichwalder Oberschule, Joachim Pöppel, lockte uns in die in Eichwalde neu aufzustellende Nachrichten-H.J.
Klar, dass wir Pimpfe (kurz vor der Übernahme in die Braune H.J.) sofort mitmachten. Das ewige „Kriegspielen“ waren wir leid.
Wir lernten Elektrotechnik, Fernmeldetechnik und -geräte kennen. Wir zogen die ersten „Strippen“ – weder für wen oder wozu selten bekannt, noch danach gefragt. Es wurde auch nicht weiter gefragt, als wir in einer kleinen Gruppe von Eichwalde nach Zossen marschierten (Vorortbahnen und S-Bahn), dort beim OKH (Oberkommando des Heeres) Geräte und Kabeltrommeln aufnahmen und alles nach Eichwalde schleppten.
Es war „Ehrensache“, im Dienstabteil der S-Bahn (erster Wagen vorne, wo der Triebwagenführer und sein Begleiter wirkten) reisten. „Ihr kommt doch nicht mehr nach Eichwalde, der Russe steht da schon!“ Von solchen „Parolen“ ließen wir uns nicht beeindrucken – Wir hatten einen Auftrag. Und wir kamen durch nach Eichwalde. Wir zogen brav unsere Strippen.
Wir bauten im Gutshaus im Nachbarort Schulzendorf eine Feldvermittlung auf, lernten Vermittlungsdienst usw. Doch als Fliegeralarm kam schickte uns der „Vorgesetzte“, ein blutjunger Fahnenjunker, in den Keller – wir waren sauer, stinksauer. Und dann schickte man uns nach Hause.
Was macht man jetzt? Oh, Günter K., unser längster, wusste, wie man „Bleikristall“ goss. Das brauchte man zum Bau eines Detektor-Empfängers. Es hat schon immer eine gewisse Zeit gekostet, bis aus dem Kopfhörer etwas an Ton heraus kam. Und ich fand eine Stelle:
„Hier ist der Werwolf-Sender!
Wien war deutsch!
Berlin ist und bleibt deutsch!
Wien wird wieder deutsch!“
Wien war deutsch!
Berlin ist und bleibt deutsch!
Wien wird wieder deutsch!“
Stolz rannte ich auf unsere Straße mit der Nachricht. Da hingen schon weiße Tücher aus den Fenstern – niemand wollte mir zuhören. Ich soll Mutter in meiner Wut über diese „Feigheit“, heulend, mit meinen Fingernägeln die Schultern zerkratzt haben.
Mutter ging noch einmal zur Bahnhofstraße, wollte die zugeteilten Tabakwaren abholen. Gerade, als sie in die (unsere) Schillerstraße einbog, kamen zwei russische IL2-Jäger im Tiefflug angeflogen. Mutter schmiss sich hin, hob sich aber mit ihrem schwarzen Mantel im Märkischen Sand sehr deutlich ab. Sie versuchte in ein Grundstück auszuweichen – die Tore waren alle verschlossen.
In dieser Zeit hat unsere Litauerin Aurelia versucht uns Kinder allesamt unter den hochbeinigen Küchenherd zu verstecken. Krieg mal alle drunter: das klappte nicht. Mutter kam ohne Blessuren nach Hause – Tabakwaren hatte sie nicht mehr bekommen.
Der Russe besetzte Eichwalde in der Nacht – der Nachbar von hinten hat das weitergesagt. Strom gab es schon lange nicht mehr. Also konnte auch die Wasserpumpe im Keller nicht mehr laufen. Wir waren froh, dass unser Vater noch bevor er nach Dänemark versetzt worden war, die Pumpe im Garten flott gemacht hatte – die war versandet gewesen.
Da kamen die Russen, ein Sergeant und ein Soldat, zu uns in den Garten, verlangten Wasser. Mutter scharte uns Kinder um sich „Ein Russe tut keinem Kind etwas zu leide!“. Die Russen tranken unser Wasser, erkundigten sich nach Deutschen Soldaten, zogen weiter.
Noch rummelte es im Norden, noch war Berlin nicht gefallen. Wir konnten schon raus. In der Markgrafenstraße zogen Russen zu Fuß gen Norden, zogen ihr schweres MG auf Rädern mit sich. In der Schmöckwitzer Straße wickelten zwei Russen – mit unserem Gerät! – das von uns verlegte Feldkabel auf. Ich bin heulend hinterher gelaufen. Da begegnete mir auf der anderen Straßenseite Frau (Dr.) Schumann. Artig hob ich die Hand zum Gruß und rief laut „Heitler!“. Schockiert waren Alle – ich hatte ja gar keinen anderen Gruß gelernt.
Viel Zeit zum Überlegen gab es nicht mehr: die Gleise waren abzubauen – Reparationsleistungen, wir Schüler mussten da arbeiten. Mit dem „selbstgestrickten“ Lkw (Holzgasantrieb) ging es von der Gemeinde aus nach Großbeeren – da war ein Güterzug mit Kartoffeln gestrandet. Die Türen der Wagons waren aufgerissen, eine weithin stinkende Masse floss heraus. Eine kleine Probe wurde in eine Kiste gepackt – so als Zeugnis. Auf einem Feld zupften Landarbeiter Möhren. Unser Fahrer kaufte ihnen die Ernte ab, wir brachten Möhren mit nach Eichwalde. Gut vierzehn Tage gab’s Möhren – keine Kartoffeln, kein Salz, kein Fett!
Als die Schule wieder anfing, hat sich Studienrat „Bommel“ vertan: er hob die Hand zum Gruße, ließ sie fallen und stöhnte ein „Guten Morgen!“. Für mich war es Schluss mit Schulbesuch – ich weiß nicht, warum. Also bekam ich eine Lehrstelle – nicht das Gewünschte.
„Förster“: „Junge, das kannste vergessen!“
„Radiotechnik“: das wurde auch nichts.
Also kam ich in eine kleinste Fabrik. Man goss Dinge aus Aluminium. Ich war am liebsten beim Former – da „spielte“ ich mit dem Formsand. Die Gesellen wollten, dass ich am Schraubstock ein Stück Eisen befeilte: „DAF – Eisen erzieht!“ Ich bekam, wie so fast jeder andere, Magen- und Darmerkrankung. Ich wurde entlassen.
Mutter war zur Großmutter nach Stolberg im Harz gefahren, hat dort Vaters Nachricht gefunden, dass er bei seinem Vetter in Walsum Kreis Dinslaken „aufgeschlagen“ war. Mutter nähte Rucksäcke, stellte unser Fluchtgepäck zusammen. Und ab ging es nach Berlin-Westend in das U.N.N.R.A.-Lager in der Sophie-Charlotte-Schule.
Von dort bugsierte uns der Tommy mit seinen Militärfahrzeugen durch die Sowjetisch besetzte Zone in die Britische Zone.
Ade Berlin,
ade Eichwalde.
Herbst 1945:
Neuanfang in Niedersachsen, in Hämelschenburg Kreis Hameln-Pyrmont.
Rückkehr nach Berlin: 2010 – gesund und ohne Werwolf
ortwin
So war es und wir haben die Augen geöffnet bekommen.
Mit freundlichen Grüßen, auch an Spätzchen alles Gute für ihre Gesundheit,
Traute