Der Koffer ist aufgegangen


Berlin S-Bahnhof Plänterwald

Tagesthema: Die Berliner S-Bahn und ihr Fiasko
Ich bin nach fünfundsechzig Jahren zurückgekehrt. Ich bin wieder in Berlin, in meiner Geburtsstadt angekommen. Innerlich war ich nie weg, innerlich waren die Gedanken ständig im Bereich der Spree. Nicht von ungefähr, habe mal einen Vater, der bei Geburt noch kein Berliner war, eben einen Rixdorfer, dann aber gleich zum Charlottenburger und sonst wo aufwuchs. Er war es, der mir, als ich selbst Familie und Kinder hatte, seine Berlin-Bücher und seine Familien-Geschichte schenkte, so, als wollte er mir seine Gefühle für dieses Zuhause zeigen, das er und die Familie nach dem Kriege verlassen, ja verloren hatte. Man sang in den Fünfziger Jahren den Song: „Ich hab‘ noch einen Koffer in Berlin …“. Für unseren Vater war die 78er-Scheibe gerade so, wie ein Betthupferl , um von „Zuhause“ zu träumen, zurück zu kehren.

Natürlich ist Berlin eben Berlin. Und wenn et nischt zu meckern jibt, denn ist Berlin krank.
Krank ist das Wichtigste in Berlin: die S-Bahn, die so viele Auf‘s und Ab’s erlebt hat, warum eben nicht?!
Wir wollen in Schöneweide – sag‘ nicht „Schweineöde“ – in die Bahn zur Landsberger Allee fahren. Sonntag, Verkaufsoffener Sonntag. Die Bahn kommt von Schönefeld, vollgepfropft von mindestens einem Jumbo-Jet.
Wir pressen uns rein, werden rein gepresst in die Masse Mensch, die da im Innern der Wagons so eng stand, wie Ölsardinen – ohne Öl – in der Dose. Da war doch in den letzten Kriegstagen ein wenig mehr Platz in den alten Wagons, den wir auch mit Kriegsgefangenen und Menschen mit Kennzeichen wie „P“, „OST“ und „J“ zu teilen hatten. Uns Jungs hat das nicht gestört, für uns war der Groschen wichtig für die Bahnsteigkarte, die man brauchte, um durch die Sperre zu gelangen, aber dann auch frech mal eben den ganzen Ring entlang zu fahren, Sammeln für das WHW, sprich „WinterHilfsWerk“. Und nun fährt jeder Zug nur noch in halber Länge, vier Achtel gleich zwei Viertel gleich ein Halbzug. Was soll das?!

Überhaupt, als Heimkehrer sehe ich schon hierhin und dahin. Wer die Bilder kennt, ihnen dabei tagtäglich alle den Gegebenheiten entlang der Strecken begegnet, dem macht das nichts mehr aus, kann er’s doch nicht ändern. Als ich noch nicht heimgekehrt war, hörte ich von irgendwo her, dass der „Regierende“ seine Stadt als furchtbar und hässlich beurteilte – hat er wohl recht.
Ist dir schon mal aufgefallen, wie viele tote Gleise die S-Bahn und die Fernbahn begleiten, wie viele Oberleitungsmasten da ohne Aufgabe herumlungern. Die Bahn wartet anscheinend auf bessere Schrottpreise, um das allmählich im wilden Grün und braunen Rost verschwindende Material verhökern zu können. Ich habe das Gefühl, dass man das in der Chef-Etage da oben am Potsdamer Platz nicht sehen kann.
Man hat sich laut „Grube“ auf den Winter vorbereitet. Das geht ja alles ohne Menschen, nur noch mit abgespielten Lautsprecher-Durchsagen – da, wo ich nun wohne, sehe ich die riesigen Schneehaufen auf dem Bahnsteig, keiner räumt mehr, kein amtlicher Mensch auf dem Bahnsteig zu sehen, eben nur Lautsprecher-An- (oder -Ab-)sagen. Wie herrlich dann durch die geschlossenen Fenster in der Wohnung das Heranrollen und Abfahren der Baureihe 480 (das sind die Triebwagen, die noch eine Mittelrippe in der Frontscheibe haben) zu hören. Naja, im Geräusch stehen sie den Zügen aus den 28er Jahren des vorigen Jahrhunderts in nichts nach.
Noch nie habe ich so etwas zuvor gesehen: Eiszapfen an den Wagenkästen, vom Dach herunter, sogar an der Frontscheibe – geht denn der Scheibenwischer noch, kann man schon ohne Fahrer auskommen?
Ich habe mich gewundert, als ich z.B. am Tempelhofer Feld die Fahrzeughallen stillgelegt sah. Man hat richtig gehend rationalisiert – Rationen hatten wir im Krieg zugeteilt bekommen.

ortwin

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Kommentare (2)

Traute Seine Heimat liebt man auch wenn sie Federn lassen musste.
Solange es auf diese Weise Geld bringt, wird sich nichts ändern.
Die Dienstleistung steht nicht mehr im Vordergrund sondern der Kosten-Nutzen -Aufwand.
Schade, es würde sich mehr Geld bewegen, wenn die "Börsenträger" billiger herum kommen könnten.Denke ich.
Wünsche Zufriedenheit in der alten,lieben Heimatstadt,
freundliche Grüße,
Traute
Juxman Hallo Ortwin, und ich hab gedacht Berlin ist sexy ? Die Bahn, wart man ab, wenn die erst an der Börse ist geht die Post so richtig ab. Liebe Grüße, Juxman Heiner.

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