Das Tagebuch unserer Mutter
Das Tagebuch unserer Mutter
Es war 1996, als unsere Mutter mit im Alter von 87 Jahren sich hinsetzte und uns in einem Heft etwas sehr wichtiges aus ihrem Leben niederschrieb. Ich will diese vielen Seiten so wiedergeben, wie sie gefüllt sind. Nur schade, daß Mutter darin anscheinend müde wurde – das Schreiben endet irgendwann und so irgendwo.
Januar 1996
Vorwort:
Meine Kinder, meine Enkel haben mich recht oft gebeten, einmal aufzuschreiben, was ich so in meinem langen Leben erlebt habe. Leider hat mir dazu immer die Zeit und die Ruhe gefehlt. Nun ist vor 1½ Jahren mein lieber Mann, mit dem ich 65 Jahre verheiratet war, von mir gegangen. Ich habe ihn 5 Jahre betreut, anfangs mit Parkinsonismus, dann Schlaganfall. Es waren wunderschöne Jahre, voller Zärtlichkeit und Liebe.--
Jetzt bin ich zur Ruhe gekommen und nun kann ich damit beginnen von mir zu berichten.
1. Moskau.
Wenn ich mit meinem Leben beginne, so muß ich bei meinen Eltern und Großeltern anfangen, damit ersichtlich wird, warum ich in Moskau geboren wurde.-
Meine Mutter, Fanny Auguste Vockerodt[7], wurde 1875 in Ohrdruf in Thüringen geboren. Ihr Vater, Friedrich Vockerodt[14], war Leinewebermeister, Knopffabrikant und Kaufmann in Ohrdruf. Er hatte einen Bruder, August, der wanderte immer der Sonne entgegen und landete in Orenburg am Ural. Er gründete eine Wurstfabrik und eine Konditorei. Er soll mit seinen Fabrikaten den Zaren beliefert haben und ein Millionär geworden sein. Er holte sich seine Mitarbeiter aus Thüringen, die alle vier Jahre ausgetauscht wurden.
Meine Großmutter, Luise Vockerodt[15], starb 1889, als meine Mutter 14 Jahre alt war. Mein Großvater[14], der eine Reihe Kinder zu versorgen hatte, wollte wieder heiraten, was meine Mutter nicht ertragen konnte. Als Onkel August wieder in Ohrdruf war, ist sie mit ihm nach Orenburg an den Ural gegangen.—
Mein Vater, Friedrich Wilhelm Tönse[6], ist in Bromberg geboren. Sein Vater, Wilhelm Tönse[12], hatte ein Geschäft für feine Leinewebereien, er belieferte die umliegenden Rittergüter und Güter mit Textilien, hauptsächlich Aussteuern. Mein Vater studierte in Leipzig. Er hatte einen Freund, Arthur Vockerodt, der Sohn von August Vockerodt in Orenburg.
Leider mußte mein Vater sein Studium in Leipzig abbrechen, da mein Großvater[12] schwer erkrankte, so daß er zurück nach Bromberg mußte. 1898 starb mein Großvater, Wilhelm Tönse[12]. Das Geschäft war sehr verschuldet, mein Großvater hatte die Güter wohl beliefert, aber die hatten dann nicht bezahlt. Und mein Vater versuchte nun das Geschäft vor dem Konkurs zu retten. –
Im Januar 1903 heiratete sein Freund Arthur Vockerodt, in Leipzig, mein Vater wurde zu dieser Hochzeit eingeladen. – Fanny Vockerodt[7] kam ebenfalls zu dieser Hochzeit aus Orenburg und war die Tischdame meines Vaters. Vater wurde im Anschluß an die Hochzeit nach Orenburg eingeladen. Er heiratete am 3.2.1903 Fanny Vockerodt, meine Mutter.
Das junge Paar kam zurück nach Bromberg, wo meine Schwester, Gertrud, im November 1903 geboren wurde. Im Oktober 1904 starb meine Großmutter Wanda[13 ]. Jetzt hielt meinen Vater nichts mehr in Bromberg und noch 1904 wanderte mein Vater nach Moskau aus. –
Viele meiner Tönse-Vorfahren sind in Russland gewesen. Mein Großvater, Wilhelm Tönse[12] wurde in Petersburg geboren. Sein Vater, mein Urgroßvater[24] ist von Fürstenberg/Mecklenburg nach Petersburg ausgewandert. Er gründete eine Weberei und hat die bunten Kopftücher für die russischen Frauen gewebt. Mein Großvater[12] vertrug das Klima in Russland nicht und ging zurück nach Deutschland. –
Die erste Zeit muß für meine Eltern in Moskau sehr schwer gewesen sein. Dann bekam mein Vater sehr bald eine Anstellung bei einer Expeditionsfirma, Er lernte die russische Sprache und gründete dann selbst eine Firma »Maschinentechnisches Büro für die Glasindustrie«, Lieferung kompletter, maschineller Anlagen. Er erzählte meinem Mann, daß er von der Firma Merck in Darmstadt einen ganzen Wagon mit Fieberthermometern geliefert bekam, das Stück für 50 Pfennig, in Moskau für 1 Mark verkauft.
Mein Vater hat es nie bereut nach Moskau gegangen zu sein! Die Weite des Landes und das leichte Vorwärtskommen hatten es ihm angetan. Und so wurde ich 1909 in Moskau geboren. Meine Mutter sagte mir „bei den Ursulinen“. Ich weiß nicht, war das ein Kloster oder ein Krankenhaus. –
An viele Dinge kann ich mich noch erinnern.
An die letzte große Wohnung mit dem langen Flur, an dessen Ende ein Fenster mit Butzenscheiben war, davor stand eine „Königin der Nacht“.
An die Küche mit dem „Tschornifot“, dem Aufgang für das Personal. Dort kam ein Chinese mit langem schwarzen Zopf, gelben Gesicht und Schlitzaugen. Immer, wenn ich nicht ganz brav war, sollte ich diesem Mann mitgegeben werden.
Im Schlafzimmer hingen wunderschöne, geschliffene Spiegel mit kostbaren Glasknöpfen.
Im Sommer, von Mai bis Juli, waren Ferien, schulfrei, in Moskau. Dann fuhren auch wir zu unserer Datsche. Ich entsinne mich noch der weichen Waldwege, gesäumt von den weißen Stämmen der Birken, auf denen wir mit dem Pferdewagen von der Bahnstation fuhren. Auch sehe ich noch vor mir die Felder mit Gurken und Wassermelonen, die vielen Pilze, Rotkäppchen,Birkenpilze etc. – Immer sind es kleine Bildausschnitte: Der Brand des großen Bolschoi-Theaters, der Aufstand gegen die Deutschen, wo Alles auf die Straße geworfen wurde, Kleidung über den Drähten der Straßenbahn hing und Klaviertastendie Straßen bedeckten.—
Das letzte Weihnachten 1914:
Wir hatten zwei große Tannenbäume, von der Erde bis zur Decke. Sie waren voll behängt mit Schokoladenkringeln, Zuckerwaren, denn mein Vater belieferte auch Süßwarenfabriken mit Staniolverpackungen etc. Und die beschenkten ihn dann zum Weihnachtsfest. Auch Geschenke gab es in reichlicher Menge. –
Aber der erste Weltkrieg war im August 1914 ausgebrochen. Ein Jahr konnten wir noch in Moskau bleiben, da wir angeblich einen schwedischen Namen hätten und die Polizei unssützen konnte. –
Hier möchte ich einmal anhalten, auch wenn es noch weitergeht mit „Moskau“.
Ich habe verschiedentlich Kennzahlen (z.B. „[12]“) einfügen müssen, damit man bei den genannten Vorfahren weiß, von wem die Rede ist, diese Kennzahlen sind auch in dieser kleinen Ahnentafel eingetragen.
(Bild im Text eingefügt)
Doch, damit man sich die verschiedenen Orte einprägen kann, damit man auch eine Vorstellung von den Reisewegen bekommt, hier zwei Verbindungen. Man kann das nicht mit dem heutigen Reisebedingungen vergleichen, da gab es keinen Taktverkehr, es gab reichliche Grenzkontrollen. Schnellzüge waren teuer, fuhren vielleicht einmal in der Woche. Sonst mußte man eben mit vielem Umsteigen rechnen, Übernachtungen kamen noch dazu und auch Wege von einer Endstation zur anderen.
(zwei Landkarten im Text eingefügt)
Ohrdruf in Thüringen – Orenburg am Ural (heute ~ 68 Stunden Reisezeit mit der Bahn)
Bromberg (einst Westpreussen) – Moskau in Russland (heute ~ 23 Stunden Reisezeit mit der Bahn)
Zurück zum Tagebuch
Im August 1915 mußten wir aber innerhalb von 24 Stunden das Land verlassen. Meine Eltern schlossen die Wohnung ab und übergaben den Nachbarn die Schlüssel, spätestens in einem Jahr würde der Krieg vorüber sein.
Als Austauschgefangene konnten wir nun das Land verlassen. Unser Mädchen kam mit zum Bahnhof und schenkte mir und meiner Schwester ein kleines silbernes Kreuz. –
Unsere erste Station war Kiew – in Erinnerung: Ein verräucherter Warteraum mit einer trüben Funzel an der Decke, stickige Luft und viel, viele Menschen.
Hier wurden wir dann in vergitterte Wagons gesteckt. Die Fahrt ging über Odessa, Bukarest, Budapest nach Wien. Wir fuhren durch Schluchten, rechts und links der Bahn hohe Berge. Ich nehme an, es waren die Karpaten. Wir kamen nach Wien – Wie lange diese Fahrt gedauert hat, ich weiß es nicht.
In Wien hatte man Baracken aufgestellt mit langen Tischen. Hier gab es nach der langen Reise ein warmes Essen. Eine Reissuppe! Ich habe immer noch den Geruch dieser köstlichen Suppe in meiner Nase. –
Unsere nächste Station war Dresden, wo wir uns einige Tage bei einem Studienfreund meines Vaters, Arthur Spalteholz, erholen konnten. –
Dann ging es weiter nach Ohrdruf in Thüringen.
Der Bruder meiner Mutter, Heinrich, bewohnte jetzt das Elternhaus meiner Mutter. Ich entsinne mich noch an das große Haus, mit den Laubengängen im Hof. Es schien mir Alles ein wenig düster. Lange blieben wir dort nicht. Wir kamen auf das Schloß, dort war ein Schwager meiner Mutter so eine Art Verwalter. –
Damit endet das Kapitel Moskau. Im nächsten Bericht schildert uns Mutter von dem Leben in Ohrdruf und dem Umzug nach Güstrow.
Es war 1996, als unsere Mutter mit im Alter von 87 Jahren sich hinsetzte und uns in einem Heft etwas sehr wichtiges aus ihrem Leben niederschrieb. Ich will diese vielen Seiten so wiedergeben, wie sie gefüllt sind. Nur schade, daß Mutter darin anscheinend müde wurde – das Schreiben endet irgendwann und so irgendwo.
Januar 1996
Vorwort:
Meine Kinder, meine Enkel haben mich recht oft gebeten, einmal aufzuschreiben, was ich so in meinem langen Leben erlebt habe. Leider hat mir dazu immer die Zeit und die Ruhe gefehlt. Nun ist vor 1½ Jahren mein lieber Mann, mit dem ich 65 Jahre verheiratet war, von mir gegangen. Ich habe ihn 5 Jahre betreut, anfangs mit Parkinsonismus, dann Schlaganfall. Es waren wunderschöne Jahre, voller Zärtlichkeit und Liebe.--
Jetzt bin ich zur Ruhe gekommen und nun kann ich damit beginnen von mir zu berichten.
1. Moskau.
Wenn ich mit meinem Leben beginne, so muß ich bei meinen Eltern und Großeltern anfangen, damit ersichtlich wird, warum ich in Moskau geboren wurde.-
Meine Mutter, Fanny Auguste Vockerodt[7], wurde 1875 in Ohrdruf in Thüringen geboren. Ihr Vater, Friedrich Vockerodt[14], war Leinewebermeister, Knopffabrikant und Kaufmann in Ohrdruf. Er hatte einen Bruder, August, der wanderte immer der Sonne entgegen und landete in Orenburg am Ural. Er gründete eine Wurstfabrik und eine Konditorei. Er soll mit seinen Fabrikaten den Zaren beliefert haben und ein Millionär geworden sein. Er holte sich seine Mitarbeiter aus Thüringen, die alle vier Jahre ausgetauscht wurden.
Meine Großmutter, Luise Vockerodt[15], starb 1889, als meine Mutter 14 Jahre alt war. Mein Großvater[14], der eine Reihe Kinder zu versorgen hatte, wollte wieder heiraten, was meine Mutter nicht ertragen konnte. Als Onkel August wieder in Ohrdruf war, ist sie mit ihm nach Orenburg an den Ural gegangen.—
Mein Vater, Friedrich Wilhelm Tönse[6], ist in Bromberg geboren. Sein Vater, Wilhelm Tönse[12], hatte ein Geschäft für feine Leinewebereien, er belieferte die umliegenden Rittergüter und Güter mit Textilien, hauptsächlich Aussteuern. Mein Vater studierte in Leipzig. Er hatte einen Freund, Arthur Vockerodt, der Sohn von August Vockerodt in Orenburg.
Leider mußte mein Vater sein Studium in Leipzig abbrechen, da mein Großvater[12] schwer erkrankte, so daß er zurück nach Bromberg mußte. 1898 starb mein Großvater, Wilhelm Tönse[12]. Das Geschäft war sehr verschuldet, mein Großvater hatte die Güter wohl beliefert, aber die hatten dann nicht bezahlt. Und mein Vater versuchte nun das Geschäft vor dem Konkurs zu retten. –
Im Januar 1903 heiratete sein Freund Arthur Vockerodt, in Leipzig, mein Vater wurde zu dieser Hochzeit eingeladen. – Fanny Vockerodt[7] kam ebenfalls zu dieser Hochzeit aus Orenburg und war die Tischdame meines Vaters. Vater wurde im Anschluß an die Hochzeit nach Orenburg eingeladen. Er heiratete am 3.2.1903 Fanny Vockerodt, meine Mutter.
Das junge Paar kam zurück nach Bromberg, wo meine Schwester, Gertrud, im November 1903 geboren wurde. Im Oktober 1904 starb meine Großmutter Wanda[13 ]. Jetzt hielt meinen Vater nichts mehr in Bromberg und noch 1904 wanderte mein Vater nach Moskau aus. –
Viele meiner Tönse-Vorfahren sind in Russland gewesen. Mein Großvater, Wilhelm Tönse[12] wurde in Petersburg geboren. Sein Vater, mein Urgroßvater[24] ist von Fürstenberg/Mecklenburg nach Petersburg ausgewandert. Er gründete eine Weberei und hat die bunten Kopftücher für die russischen Frauen gewebt. Mein Großvater[12] vertrug das Klima in Russland nicht und ging zurück nach Deutschland. –
Die erste Zeit muß für meine Eltern in Moskau sehr schwer gewesen sein. Dann bekam mein Vater sehr bald eine Anstellung bei einer Expeditionsfirma, Er lernte die russische Sprache und gründete dann selbst eine Firma »Maschinentechnisches Büro für die Glasindustrie«, Lieferung kompletter, maschineller Anlagen. Er erzählte meinem Mann, daß er von der Firma Merck in Darmstadt einen ganzen Wagon mit Fieberthermometern geliefert bekam, das Stück für 50 Pfennig, in Moskau für 1 Mark verkauft.
Mein Vater hat es nie bereut nach Moskau gegangen zu sein! Die Weite des Landes und das leichte Vorwärtskommen hatten es ihm angetan. Und so wurde ich 1909 in Moskau geboren. Meine Mutter sagte mir „bei den Ursulinen“. Ich weiß nicht, war das ein Kloster oder ein Krankenhaus. –
An viele Dinge kann ich mich noch erinnern.
An die letzte große Wohnung mit dem langen Flur, an dessen Ende ein Fenster mit Butzenscheiben war, davor stand eine „Königin der Nacht“.
An die Küche mit dem „Tschornifot“, dem Aufgang für das Personal. Dort kam ein Chinese mit langem schwarzen Zopf, gelben Gesicht und Schlitzaugen. Immer, wenn ich nicht ganz brav war, sollte ich diesem Mann mitgegeben werden.
Im Schlafzimmer hingen wunderschöne, geschliffene Spiegel mit kostbaren Glasknöpfen.
Im Sommer, von Mai bis Juli, waren Ferien, schulfrei, in Moskau. Dann fuhren auch wir zu unserer Datsche. Ich entsinne mich noch der weichen Waldwege, gesäumt von den weißen Stämmen der Birken, auf denen wir mit dem Pferdewagen von der Bahnstation fuhren. Auch sehe ich noch vor mir die Felder mit Gurken und Wassermelonen, die vielen Pilze, Rotkäppchen,Birkenpilze etc. – Immer sind es kleine Bildausschnitte: Der Brand des großen Bolschoi-Theaters, der Aufstand gegen die Deutschen, wo Alles auf die Straße geworfen wurde, Kleidung über den Drähten der Straßenbahn hing und Klaviertastendie Straßen bedeckten.—
Das letzte Weihnachten 1914:
Wir hatten zwei große Tannenbäume, von der Erde bis zur Decke. Sie waren voll behängt mit Schokoladenkringeln, Zuckerwaren, denn mein Vater belieferte auch Süßwarenfabriken mit Staniolverpackungen etc. Und die beschenkten ihn dann zum Weihnachtsfest. Auch Geschenke gab es in reichlicher Menge. –
Aber der erste Weltkrieg war im August 1914 ausgebrochen. Ein Jahr konnten wir noch in Moskau bleiben, da wir angeblich einen schwedischen Namen hätten und die Polizei unssützen konnte. –
Hier möchte ich einmal anhalten, auch wenn es noch weitergeht mit „Moskau“.
Ich habe verschiedentlich Kennzahlen (z.B. „[12]“) einfügen müssen, damit man bei den genannten Vorfahren weiß, von wem die Rede ist, diese Kennzahlen sind auch in dieser kleinen Ahnentafel eingetragen.
(Bild im Text eingefügt)
Doch, damit man sich die verschiedenen Orte einprägen kann, damit man auch eine Vorstellung von den Reisewegen bekommt, hier zwei Verbindungen. Man kann das nicht mit dem heutigen Reisebedingungen vergleichen, da gab es keinen Taktverkehr, es gab reichliche Grenzkontrollen. Schnellzüge waren teuer, fuhren vielleicht einmal in der Woche. Sonst mußte man eben mit vielem Umsteigen rechnen, Übernachtungen kamen noch dazu und auch Wege von einer Endstation zur anderen.
(zwei Landkarten im Text eingefügt)
Ohrdruf in Thüringen – Orenburg am Ural (heute ~ 68 Stunden Reisezeit mit der Bahn)
Bromberg (einst Westpreussen) – Moskau in Russland (heute ~ 23 Stunden Reisezeit mit der Bahn)
Zurück zum Tagebuch
Im August 1915 mußten wir aber innerhalb von 24 Stunden das Land verlassen. Meine Eltern schlossen die Wohnung ab und übergaben den Nachbarn die Schlüssel, spätestens in einem Jahr würde der Krieg vorüber sein.
Als Austauschgefangene konnten wir nun das Land verlassen. Unser Mädchen kam mit zum Bahnhof und schenkte mir und meiner Schwester ein kleines silbernes Kreuz. –
Unsere erste Station war Kiew – in Erinnerung: Ein verräucherter Warteraum mit einer trüben Funzel an der Decke, stickige Luft und viel, viele Menschen.
Hier wurden wir dann in vergitterte Wagons gesteckt. Die Fahrt ging über Odessa, Bukarest, Budapest nach Wien. Wir fuhren durch Schluchten, rechts und links der Bahn hohe Berge. Ich nehme an, es waren die Karpaten. Wir kamen nach Wien – Wie lange diese Fahrt gedauert hat, ich weiß es nicht.
In Wien hatte man Baracken aufgestellt mit langen Tischen. Hier gab es nach der langen Reise ein warmes Essen. Eine Reissuppe! Ich habe immer noch den Geruch dieser köstlichen Suppe in meiner Nase. –
Unsere nächste Station war Dresden, wo wir uns einige Tage bei einem Studienfreund meines Vaters, Arthur Spalteholz, erholen konnten. –
Dann ging es weiter nach Ohrdruf in Thüringen.
Der Bruder meiner Mutter, Heinrich, bewohnte jetzt das Elternhaus meiner Mutter. Ich entsinne mich noch an das große Haus, mit den Laubengängen im Hof. Es schien mir Alles ein wenig düster. Lange blieben wir dort nicht. Wir kamen auf das Schloß, dort war ein Schwager meiner Mutter so eine Art Verwalter. –
Damit endet das Kapitel Moskau. Im nächsten Bericht schildert uns Mutter von dem Leben in Ohrdruf und dem Umzug nach Güstrow.
Kommentare (2)
tilli †
Deine Mutter Dank, das sie Euch hinterlassen hat.Die Geschichte ist so spannend, da hoffe ich du schreibst weiter.
Tilli
Tilli
Eine bewegende Familiengeschichte. Vielen Dank dafür.