Das Körbchen
Es muß etwas Besonderes sein für die werdende Mutter, sich auf den Zuwachs vorzubereiten. Mir kamen hierüber die Gedanken, als man im Fernsehen so ein Körbchen noch ungeputzt zeigte.
Mir brachte die Erinnerung alles das, was ich so zu diesem Thema mit erleben durfte.
Als ich zwei Jahre alt war, kam meine Schwester nach mir in die Familie. An dieses Körbchen konnte ich mich nicht erinnern. Nein, wieder drei Jahre später, nun Wochen vorher stand das Körbchen auf seinem Rolluntersatz neben Mutters Nähtisch, Mutter nähte an Rüschen und Bändern, das Körbchen bekam sein Kleid, innen verdeckte es das Weidengeflecht, außen hing ein „Kleidchen“ herunter und ließ nur den Untersatz frei. Ein lindes, zartes Blau, mit ganz schwach angedeuteten, kleinen Blumen als Muster.
Wir beiden Kinder wußten schon längst, daß da bei Mutti ein kleines Wesen wuchs, wir durften mit unter die Bettdecke zu ihr schlüpfen, durften teilnehmen an dem Strampeln. Und wir wußten auch, daß Mutters Übelkeiten am Morgen eben mit dem künftigen Geschwisterchen zusammen hingen.
Der Vater war auch eifrig tätig. Wir stellten uns an das Körbchen, die Schwester bekam zur Erhöhung die Fußbank untergestellt. Auf dem Kopfkissen im Körbchen lag eine Zigaretten-Schachtel von Vaters Sorte „CAID“. Dahin hatten wir hinzusehen, bis der Vater uns nach mehreren kurzen Klicks entließ – er hatte uns so geknipst. Dann nahm er mich mit ins Bad, das wieder einmal als Dunkelkammer fungierte. Er fabrizierte von den auf Glasplatten gebannten Negativbildern Postkarten große Abzüge.
Auf den Postkarten wurden Adressen geschrieben und Briefmarken aufgeklebt. Und das Alles blieb erst einmal liegen, bis unsere Mutter weg mußte.
Und Mutti kam wieder, nicht alleine. Sie brachte uns Beiden ein Schwesterchen mit. Das durfte jetzt in dem Körbchen liegen – ohne Zigarettenschachtel. Zunächst stand das Körbchen am Tage im Eßzimmer, in der Nacht schlief es mit seinem Körbchen im Elternschlafzimmer. Aber morgens, wenn es wieder einmal Zeit war zum Stillen, dann kamen wir von unserem Kinderzimmer herüber und erlebten das lütte Wesen an Mutters Brust.
Die Wohnung war zu klein, oder sagen wir mal so: das Kinderzimmer war zu klein für drei Rangen. Und die Eltern wollten raus aus Berlin, aus der Stadt. Also zogen Mutter, Haustochter und wir drei Kinder, eines davon im Kinderwagen, ins Berliner Umland, um Wohnungsangebote zu beurteilen.
Und schließlich stand der Möbelwagen unten auf der Straße, Ziehleute mit ihren blauweiß gestreiften Hemden puckelten allen Hausrat die Treppen herunter, bis die Wohnung in ihrer Leere so komisch hallte. Der Kaufmann von unten im Haus fuhr uns zum Haus draußen in der Mark, wo bald auch der Möbelwagen ankam. Es war dunkel, als die Ziehleute nach der gereichten Möhrensuppe sich auf den Heimweg machten.
Und wieder zwei Jahre später schmückte unsere Mutter das Körbchen. Wir kletterten nicht mehr zu ihr ins Bett, aber wir durften das neue Leben wieder spüren. Niemand hat uns je das Märchen vom Klapperstorch erzählt, nein es war alles so klar, nur nicht für unsere Nummer drei: „Und Mutti, wenn ich groß bin, dann zeigst du mir das, wie das gemacht wird!“
Dann kam der Krieg. „Mutti, was ist Krieg?“. Die Erklärung war nicht das, was dann wirklich kam. Unser Papi mußte einrücken. Unsere Mutti hat ihn nicht so ohne Weiteres gehen lassen. Für mich hieß es, ihn zu vertreten. Und Mutti nahm mich in die Pflicht.
Kurz vor Weihnachten im zweiten Kriegsjahr war das Körbchen wieder bereit. An einem Nachmittag da im Winter nahm uns unser Pflichtjahrmädchen mit zu ihren Eltern im Nachbarort. Es gab Kaffee und Kuchen. Zurück ging es in abendlicher Dunkelheit, wir Älteren zogen die jüngeren auf dem Schlitten heim. Und da empfing uns an der Haustür eine Frau mit weißer Schürze. Als wir uns ausgezogen hatten, durften wir zur Mutter in Schlafzimmer. Da lag sie mit so fröhlichen Augen und einem kleinen Bündel im Arm: wir haben ein Brüderchen bekommen, ein Sonntagskind, so wie unser Papi. Der war nun nicht gleich da.
Der Krieg zog über das Land. Unsere Mutter war jetzt beim Roten Kreuz. Eine Ukrainerin sorgte im Haushalt. Der Vater kam alle vierzehn Tage von Jüterbog nach Hause. Und wieder stand das Körbchen im Zimmer. Wir kannten die Länge der Wartezeit. Und schon kam wieder ein Geschwisterchen an, ein Mädchen.
Der Krieg war aus. Wir siedelten in den Westen über. Vier Jahre nach Kriegsschluß, gleich nach der Gründung der deutschen Republiken, landeten wir in Bonn, wo unser Vater Arbeit und Wohnung gefunden hat. Wir mußten unseren Vater erst wieder erlernen, war er doch jetzt nach des Tages Arbeit immer zu Hause.
Acht Kinder wollten die Eltern gerne haben. Sechs waren schon da. Noch einmal stand das Körbchen, jetzt am Rhein, bereit für noch ein Schwesterchen, einundzwanzig Jahre jünger als ich. Unser Nesthäkchen wurde von uns geliebt. Nur, das Mädelchen erlebte nun das Fortgehen der Geschwister nach und nach. Ihm blieben die inzwischen auch älter gewordenen Eltern.
Das Körbchen, wenn ich das sehe, bin ich richtig verliebt darin.
Kommentare (2)
ortwin
Und wie war das bei meinen Kindern?
Jedes bekam seinen Platz im Paidy-Bettchen. Ganz einfach: wie kurz war doch die Zeit im Körbchen?! Und wie süß war es, wenn der kleine Spatz dann zwischen den Stäben des Bettchens zuschaute, was sich so um ihn herum geschah.
Noch bin ich nicht Urgroßvater, das kann aber nicht mehr lange dauern.
Was passierte denn mit den Postkarten, die der Vater vorbereitet hatte? Noch bevor er zur Mutter ins Krankenhaus fuhr, vervollständigte er eine Matrize mit den Geburtsdaten und ab ging die Post. Schon mit der Nachmittagspost des Absendetages bekamen die Berliner Adressaten die Nachricht in den Briefkasten - und das ganz ohne Internet!!!
ortwin
Jedes bekam seinen Platz im Paidy-Bettchen. Ganz einfach: wie kurz war doch die Zeit im Körbchen?! Und wie süß war es, wenn der kleine Spatz dann zwischen den Stäben des Bettchens zuschaute, was sich so um ihn herum geschah.
Noch bin ich nicht Urgroßvater, das kann aber nicht mehr lange dauern.
Was passierte denn mit den Postkarten, die der Vater vorbereitet hatte? Noch bevor er zur Mutter ins Krankenhaus fuhr, vervollständigte er eine Matrize mit den Geburtsdaten und ab ging die Post. Schon mit der Nachmittagspost des Absendetages bekamen die Berliner Adressaten die Nachricht in den Briefkasten - und das ganz ohne Internet!!!
ortwin
Es ist so schön ,sich zu erinnern wie es einmal war.
Du bist sehr aktiv, also immer wieder erstaune ich an Vielfalt deiner Talenten. Du
meisterst dein Älter sein mit einer Bravur eines 40 jährigen.Wanderst, schreibst, sehr viel. Unternehmst sehr viel.Also Hut ab vor dir und deiner Lebensgefährtin, die dir diese Kraft schenkt durch ihre Liebe.
Ich grüße Euch beide Tilli.