Am 10.Mai 1933 verbrannte man Bücher – öffentlich. Da war ich gerade zwei Jahre alt, in dem Jahr hatte ich gerade ein Schwesterchen bekommen.

Bücher – 1939 kam der Krieg. Im Januar 1940 starb unser Großvater, Vaters Vater. Sein Zimmer, in dem er mit mir schlief, hatte eine Menge Bücher – die Regale waren teils bis zur Decke hoch, teils endeten sie da, wo die Dachschräge das Zimmer stutzte. Opas Zimmer hatte einen schweren „Sekretär“, vor dem westwärts befindlichen Fenster stand ein großes Aquarium.

Als Opa nicht mehr nach Hause kam und wir mit Mutter auf den Friedhof in Oberschöneweide zu ihm pilgerten, bekam ich eine wichtige Aufgabe – neun Jahre war ich da alt. Ich musste alle Bücher registrieren, die da oben in Opas Zimmer und die, die im Esszimmer Platz gefunden hatten.

Lange hatte ich damit zu tun. Ich nahm ja jedes Buch heraus, öffnete es, nahm die ersten Seiten in Augenschein schrieb alle Daten in ein Schulheft. Natürlich blieb ich an dem einen oder anderen hängen, las und las, vergaß oft den Auftrag. Zuerst waren es die Märchen- und Geschichtsbücher – einfach spannend.

1945 im Mai war der Krieg zu Ende. Man jagte uns aus dem gemieteten Anwesen, das wir seit 1936 in Eichwalde bewohnten. Ich kann nicht sagen, von wo der Druck dazu kam. Die Kinder der Vermieterin aus Neukölln hatten sich, während wir uns 1944 evakuiert hatten, in unsere Wohnung eingewiesen.

Druck war da, denn nun waren diese Kinder Kommunisten. Und unsere Eltern hatten den Bonbon, das NS-Parteiabzeichen, getragen. Wir zogen von der Schillerstraße in die Zeuthener Straße.

Mit dem Plattenwagen des Maurers in der Schillerstraße brachten wir den Hausrat – Gott sei Dank bei trockenem Wetter – den leicht zwei Kilometer langen Weg entlang ins neue Zuhause. Die Bücher machten die Reise in Waschkorb und Wanne mit – fein säuberlich und vorsichtig.

Die russische Kommandantur verfügte, dass alle Bücher, die ab 1933 gedruckt waren, zu vernichten sind. Weißt du, wie schwer Bücher brennen? Ohne Zugabe von Benzin oder Diesel ging da nichts. Ich musste immer wieder Bücher zerreißen, immer wieder schüren, damit die Bücher wegkamen.

Mutter fuhr zur Großmutter in den Harz und bekam da eine bei Ellrich über die neue Grenze gebrachte Feldpostkarte Nachricht, dass und wo sich Vater im Westen entlassen hatte. Sofort setzte sich Mutter an die Nähmaschine und fertigte Rucksäcke an. Ein „Fluchtgepäck“ wurde zusammen gestellt. Ab ging es – wir, Mutter und sechs Kinder – nach West-Berlin.

Die Amis, Briten und Franzosen besetzten gerade ihre Sektoren in Berlin. Man begann mit Hilfe von Militärlastwagen die geteilte Stadt Berlin zu entlasten. Konvois durchfuhren die Sowjet-Zone in Richtung Westen. So wurden wir „hinüber“ gefahren. Das war im August 1945.

Gelandet sind wir in Niedersachsen. Anfing unser „Wohnen“ in der beschlagnahmten Stube des verstorbenen Tischlermeisters. Es fehlte an allem. Der Stellmacher im Dorf half beim Bauen von Einrichtungsgegenständen. Mutter nähte bei dem Großbauer und auf dem Schloss. Vater schleppte aus den Trümmern von Köln Brauchbares heran – er musste zu seiner Entnazifizierung in der Trümmerwüste schuften.

1946 machte sich Mutter auf den Weg zu unserer Wohnung in Eichwalde. Sie packte neben Hausrat auch Bücher ein: Erstausgaben von Goethe und Schiller und viel andere liebenswerte Bücher. Und – nicht zu vergessen: Vater Genealogischen Unterlagen. Das eine in Päckchen der inzwischen funktionierenden Post, das andere als Reisegepäck – acht Zentner am Mann (an der Frau). Sie bezahlte mit Zigaretten, die sie sich auf dem blühenden Schwarzmarkt eintauschte.

So kamen auch Gemälde über die Behrenstraße, Vaters frühere Arbeitsstelle in den Westen. Meckerer über Mutters Aktion gab es – doch das machte unsere Mutter völlig im Alleingang.

Bis 1950 blieben die Bücher – alle einzeln versandten Stücke waren erhalten geblieben – gut verwahrt, hatten keinen Schaden genommen. Nun hieß es in Bonn, Regale zu bauen, damit die Schätze wieder ans Tageslicht konnten.

Wenn ich später „nach Hause“ zu den Eltern kam, konnte ich Vater in seinem „Herrenzimmer“ erleben – die Bücherregale wurden voller und voller. Wenn man nicht wusste, was man gerade tun sollte, dann studierte man die Buchrücken. Zog man ein Exemplar heraus und kam das nicht schleunigst zurück an seinen Platz, dann gab es Stunk. So sehr liebte Vater sein Reich.

Ich habe mir selbst Bücher zugelegt. Nur musste ich Vagabund mich von vielen wieder trennen – Bücher sind schwer! Und dann litt das eine und andere durch Wasser im Keller. Jetzt muss ich, weil ich kaum zum Lesen komme, immer mal wieder die Regale entlang gehen, um mir meine Schätze ins Gedächtnis zurück zu laden.

Bücher, das sind nicht nur Staubfänger und Dekoration.

Bücher können die schönsten Erlebnisse sein – kein Computer ersetzt das Buch.
ortwin


Anzeige

Kommentare (3)

tilli Lieber Ortwin
Nach langer Zeit eine Geschichte die mir sehr Nahe steht. Bücher in den Jahren und diese Zeit wo sie gebrannt haben. Diese Zeit sollte es niemals geben. Ich war ein Kind damals und wusste noch nicht was es zu bedeuten hat. Aber es tat trotzdem weh, Bücher brennen zu sehen.
Deine Geschichten sind eine sehr wertvolle Erinnerung.
Egal wie lange es schon vorbei ist, das darf die Welt nicht vergessen.
Deine Chronik ist ein kostbarer Schatz.
Grüße Tilli
henryk Bücher, das sind nicht nur Staubfänger und Dekoration.

Bücher können die schönsten Erlebnisse sein – kein Computer ersetzt das Buch.

ortwin
Mai 2013(henryk)
Henryk
Traute Ach ja, so war es und andersherum war es genau so.
Als wir uns vereinigten waren viele Bücher nicht mehr so gefragt.
Gerade die großen Russen nicht nur Tolstoi, habe ich gerne gelesen..
Ja Bücher glimmen eher durch, als das sie brennen. Fast wie Briketts.
Was hat die Geschichte nur mit uns Familien gemacht. Wir waren in den Schichten zu Hause wo man nicht hin und her und immer wo anders ein zu Hause hat. Wir waren bodenständig und das hat uns große Mühe gemacht, immer wieder in der Fremde Fuß zu fassen.
Ich sehe Deine liebe Mutter lesen, auf dem Bild. Was war sie für eine Heldin! Wenn ich an die Geschichte denke wo sie ein paar Notwendigkeiten aus dem Osten quer durch die Besatzungszonen in den Westen brachte.
Die Zeit hat uns etwas anders werden lassen, als all die Menschen die(Gott sei Dank), behütet aufwachsen konnten.
War eine Freude mal wieder in Deine Familienchronik rein sehen zu dürfen.
Mit freundlichen Grüßen, auch an Spatz,
Traute
Übrigens, beim meinem Sohn blüht auf der Dachterrasse der weiße Flieder
2012 Traute(Traute)

2012 Traute(Traute)

Anzeige