Von Brisbane nach Charleville


Von Brisbane nach Charleville.

Letzten Freitag kam die ‘Neue’ wieder in unseren Calligraphy-Unterricht und sie erzaehlte weiter.
Die Geschichte meiner Eltern begann „Von Avignon nach Australien “. Bei mir koennte man sagen „Farm – Brisbane – Charleville“

Meine Eltern hatten noch regelmaessig Briefkontakt mit einigen anderen Familien, die mit uns auf dem Schiff von Marseille nach Australien ausgewandert waren. Immer wenn ein Brief von ihnen ankam, wurde er abends nach dem Abendbrot von Papa vorgelesen Es war fuer uns alle spannend zu erfahren, was es bei ihnen Neues gab und es war fuer mich gleichzeitig ein wenig Franzoesisch-Unterricht, denn die Briefe waren immer in franzoesischer Sprache geschrieben.

In den ersten Jahren konnte ich mir vieles nicht so recht vorstellen, was sie uns schrieben. Zu anders war ihr Leben in einer so grossen Stadt wie Brisbane, wo die eine Familie lebte. Und noch moderner muss damals Melbourne gewesen sein. Aber Papa und Mama hatten schon in Frankreich die ersten Autos gesehen und auch andere fortschrittliche Sachen, die erst jetzt hier ihren Einzug hielten. Dann kam einmal im Monat ein Filmvorfuehrer nach Charleville und wenn es nur irgendwie moeglich war, fuhren wir hin und sahen uns den Film an. Auf der Heimfahrt schwebte ich auf Wolken. Und mit der Zeit wurde mir das Leben auf unserer Farm langweilig. Ich wollte raus. Ich wollte etwas erleben. Immer wieder hing ich meinen Eltern damit in den Ohren. Sie hatten Verstaendnis fuer mich und troesteten mich, ich solle zuerst die Schule beenden, damit ich einen guten Start fuers Leben habe. Endlich war ich 16 Jahre und ich durfte nach Brisbane zu unseren Bekannten ziehen. Ich musste mir ein Zimmer mit der aeltesten Tochter Janine teilen. Das war schoen so, denn wir verstanden uns gut und ich fuehlte mich in der ersten Zeit auch nicht so verlassen ohne meine Eltern. Ich wollte es nicht zugeben, aber ich hatte zu Anfang etwas Heimweh. Doch das ging bald vorueber.

Die naechsten vier Jahre vergingen wie im Fluge. Ich lernte Krankenschwester. Das war eine harte Zeit. Damals mussten die Schwestern noch den ganzen Tag arbeiten, von morgens bis abends. Wir Schwesternschuelerinnen hatten die gleiche Dienstzeit, mit Unterbrechnungen fuer den Unterricht. Dafuer mussten wir in unserer Freizeit noch fuer die Schule pauken. Aber wir Schuelerinnen waren ein Superteam und hatten viel Spass miteinander.

Kaum hatte ich mein Examen, da kam was kommen musste! Ich verliebte mich unsterblich in einen Patienten, der auf der Farm von seinen Eltern einen schweren Unfall hatte. Unsere Hochzeit feierten wir auf unserer Farm und meine Eltern mochten ihren Schwiegersohn gleich auf Anhieb. Gewohnt hatten wir aber weiterhin in Brisbane. Wir dachten, wir seien so richtige Stadtmenschen geworden Im Nachhinein denke ich heute, gut dass auch er vom Lande war. Denn nach der Geburt unserer beiden Toechter, inzwischen 8 Monate und zwei Jahre, erinnerten wir uns an unsere schoene Kindheit auf der Farm und fanden, dass es fuer unsere Kinder nicht gut sei, in einer Grossstadt aufzuwachsen.

Mein Mann war Mechaniker und wir pachteten eine kleine Werkstatt fuer landwirtschafliche Maschinen in der Naehe von Charleville. Mein erster Einkaufstag in Charleville fuehrte mir wieder vor Augen, wie ich mit Mama auf dem Pferdewagen warten musste, bis Papa aus dem Pub kam. Es wurde noch immer so gehandhabt, dass die Frauen keinen Zutritt zum Pub hatten. Wohl gab es hier, da der Ort groesser war, einen Extraraum fuer Ladies und Kinder. Aber irgendwie hatte mich der Extraraum gestoert. Ich fuehlte mich degradiert. Ich unterhielt mich gerne mit dem Aptheker, er war so weltoffen und hatte fuer vieles Verstaendnis. Er hatte seine Apotheke in einem grossen Haus, dass der Gemeinde gehoerte. Er hatte eine tolle Idee. Nach hinten raus waren noch zwei ungenutzte Raeume. Er wollte sich mit dem Buergermeister in Verbindung setzen und ihm klar machen, dass der Ort unbedingt einen netten Aufenthaltsraum fuer Mutter und Kind brauchte. Er war hartnaeckig und kurze Zeit spaeter konnten wir tatsaechlich den ersten Raum wohnlich einrichten. Mund zu Mund Propaganda brachte viele jungen Frauen auf die Beine. In kurzer Zeit war der Raum perfekt eingerichtet. Freundliche Gardinen an den Fenstern, ein schoener alter Tisch mit passender Tischdecke stand mitten im Raum. Sechs Stuehle, wo keiner zum anderen im Aussehen passte. Aber weiche Sitzkissen hatten sie alle. Der Propangasherd steuerte der Apotheker bei, sowie den Wasserkessel. Tassen und Teller brachte jeder von zuhause mit. Irgend etwas altes, was man dort missen konnte. Und dann war es so weit. Wir feierten die „Einweihungsparty“ und hatten full House! Und wir waren alle stolz unseren eigenen Raum zu haben. Fuer viele Jahre trafen wir uns dort zu einer Tasse Tee. Zuerst mit den Kindern. Spaeter gingen sie zur Schule und wir machten aus der Kinderspiel und Teestunde eine Tee und Handarbeitsstunde. Aber an erster Stelle ging es uns um Unterhaltung und Gedankenaustausch.

Jetzt im Rentneralter sind wir wieder umgezogen, nahe ans Meer zum Segeln und Fischen und zur Unterhaltung und Gedankenaustausch komme ich nun in den Calligraphy-Unterricht.

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Kommentare (1)

klapperstorch Hab´auf dein Anraten eine Reise in deine Vergangenheit gemachtDanke,werde mich "Durchlesen".Jeden Tag einen Blog. Anschließend werde ich mich wieder melden.
Gruß Karin

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