„Scheint die Sonn‘ ins Kellerloch“


„Scheint die Sonn‘ ins Kellerloch“
1911 machte eine Wachauer Kapelle von sich reden
Ganz bieder war der Abend angekündigt. Im Gasthof von Wallroda hielt Radebergs Bäcker – und Fleischergesellenbrüderschaft ihr Sommerquartal. „Nach Armbad, gibt es das Wechselfußbad und zum Schluss die Gießkapelle“. Alles deutete auf eher ein Kneippsches Prinzip hin als auf eine freud- und lustvolle Tanznacht. Dem Wallrodaer Nachtwächter müssen die Ohren geklungen haben, denn er war kaum in der Lage die Texte ordentlich wiederzugeben. Die Tanzpartnerinnen kamen aus dem Ort und der Umgebung, versprachen doch die Gesellen „mindestens Freibier“.
Und mit der Veranstaltung machte eine Kapelle von sich reden, die vermutlich bis zu diesem Zeitpunkt eher biedere Musik auf den Dorfsälen um Radeberg machte. Es handelte sich um eine zusammengestellte Formation, die unter dem Namen „Wachauer Kapelle Brückner“ firmierte. Hermann Brückner, der auch ob seiner vielseitigen Musikalität in der Stadtkapelle aushalf, war der spiritus rector des Ganzen. Ihm wurde nachgesagt, dass er mindestens zweihundert Trink- und Scherzlieder drauf habe. Jedenfalls hatten die Handwerksgesellen den richtigen getroffen. Hermann Brückner trat mit seiner Musiktruppe auf, die sich in Anlehnung an das zu erwartende Programm „Wachauer Gießkapelle“ nannte. Dem Wallrodaer Gemeindevorstand war der Auftritt ordnungsgemäß angekündigt worden und er sah keinen Grund, das Ganze in Frage zu stellen. Natürlich hatten die Gesellen einen „Fresskorb zum Besten der Gemeinde“ zusammengestellt, wodurch der Gemeindevorstand es dabei beließ, nicht die Gendarmerie vom Abend zu informieren, sondern seinen Ortsnachtwächter bat, „mal vorbeizuschauen. Man müsse nicht unbedingt ein großes Protokoll schreiben“.
Einige Dinge sind überliefert, es muss ein Fest der Sommerfreude und des Frohsinns gewesen sein. Zunächst gab es tatsächlich ein „Kneippsches Programm“. Mit einem Armbad und einem Fußwechselbad, dazu einen Witze erzählenden Gesellen, wurde der „beginnende Gesundheitswahn“ auf die Schippe genommen. Dann der erste große Auftritt, Kapelle und Gesellen brachten sich in Stimmung, waren doch noch nicht alle Tänzerinnen da. Zum Liedtext: „Alle meine Brüder saufen so wie Du und Ich, alle meine Brüder saufen so wie ich! Knien vor der Theke nieder, stehen auf und saufen wieder, alle meine Brüder saufen so wie ich“. Dazu mussten alle Gesellen im Saal aufstehen und die entsprechenden Bewegungen mitmachen. Danach gab es Schnapsrunden nach dem schwedischen Prinzip. Man trank in kleinen Schlucken und dazwischen spielte und sang die Kapelle alte und neue Trinklieder. Nach etwa einer Dreiviertelstunde hatte man die notwendige „Betriebstemperatur“. Nun gab kein Halten mehr, Tanzrunde um Tanzrunde, unterbrochen von kurzen lustigen Sketchen, trieb das Ganze voran.
Der Nachtwächter schrieb u. a. auf, dass man „Liedverse über die Männer sang und danach tanzte“. So wurde u. a. notiert der Vers: „Wird der Alte immer zahmer, immer müder, immer lahmer, macht die Frau für weiche Knie, Strammen Max und Sellerie!“ Sein Protokoll endete mit der Feststellung, dass man zwar eine Polizeistunde von 2 Uhr nachts vereinbart hatte, aber immer wieder wurde der Spruch „Scheint die Sonn‘ ins Kellerloch, eine Runde könn‘ wir noch!“ skandiert und die Kapelle spielte weiter, bis zum richtigen Sonnenaufgang. Das bedeutete, die Sonne musste über den Häusern zu sehen sein.

haweger

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