Text der Glosse vom 11.01.2009


Text der Glosse
vom 11.01.2009



Was ich gerne mag:


... die menschliche Sprache. Die Fähigkeit, sich mit Worten auszudrücken. Sachverhalte wiederzugeben, im und mit dem Schreiben die Dinge, sich, die Welt verstehen und dies adäquat zum Ausdruck bringen zu können.
Ohne Sprache kein Denken, kein Verstehen. Ohne das Nonverbale unterschätzen zu wollen – gegen die Macht eines (unschuldigen und/oder ehrlichen) Lächelns kann man sich kaum wehren! (Warum auch?) – , aber die Sprache scheint den Menschen zum Menschen zu machen.
In seinem großen Artikel „Angriff der Käuze“ (Untertitel: Eine neue Initiative will mal wieder das Deutsche vor bösen Anglizismen retten. Wie cool ist das denn? Eine kleine Realitätsrundschau; SZ vom 10.01.2009; Samstagsbeilage) betont Georg Ringsgwandl, daß heute, wo die meisten Kontakte über Telefon, SMS oder E-Mail, auch in bzw. übers Internet geschehen, die Sprache das einzige Kriterium zur Einschätzung des Gesprächspartners ist.
Das kann sicher auch ein/das Faszinosum des Internets zu sein: Was wir auch dort sind, wir sind es in und über der/die Sprache. Die Sprache als die Brücke zwischen den jeweiligen Menschen. Die Sprache bestimmt die Nähe oder Distanz zum jeweiligen Gesprächspartner, die Sprache bestimmt den Ton oder auch den Mißton zwischen den Menschen.
Mit der Sprache kann ich jemand freundlich begrüßen, ihn ermuntern, begeistern, faszinieren und trösten. Leider auch mit den Worten beleidigen, verletzen, anpöbeln ... was übrigens, was ja bekannt ist, „rückbezüglich“ ist – d.h. mehr über den Sprecher aussagt als über den, über den und/oder mit dem gesprochen wird.


Was ich nicht mag:

... schreiben wir wieder besser: worüber ich mich doch gelegentlich wundere. In Zusammenhang mit einigen Recherchen nach Darwin-Artikeln in den bekannten Tageszeitungen stieß ich natürlich auch auf die Leserkommentare, die man heute – nach kurzer Anmeldung – äußern und schreiben kann, wovon man offenbar eifrigst Gebrauch macht.
Seinerzeit, es ging um den Auftritt der Eva Herman im Fernsehen bei dem Moderator Kerner, fanden sich anschließend nicht einmal zwei Tage danach in der WELT 148 (In Worten: einhundertachtundvierzig) Seiten Leserkommentare zu dem entsprechenden Artikel.
Nun ist das Recht der freien Rede und auch die Möglichkeit, sich zu allem zu äußern, ist grundsätzlich nicht zu mißachten, immerhin haben ganze Generationen von Bürgern und Menschen um das Recht der freien Rede gekämpft und nicht umsonst gehört die Meinungsfreiheit zu den Menschen- und Grundrechten der heutigen Menschen, wobei ich allerdings den leisen Verdacht habe, daß einem dieses Recht deswegen so problemlos zugestanden wird, weil die Rede- und Meinungsfreiheit in der Regel wirkungslos bleibt.
Dies gilt wohl vor allem für die Möglichkeit, sich hier Internet überall und zu allem äußern zu dürfen. Denn unter uns: Wer liest das alles? Glauben die SchreiberInnen, daß ihre Texte – lassen wir einmal die Frage nach Form und Inhalt zunächst unberücksichtigt – gelesen werden? Oder: warum schreiben sie überhaupt ihre Texte, von denen sie nicht einmal wissen, ob und wie diese Texte gelesen werden?


Über mich:

Nun, heute muß ich eine gewisse Dummheit und Hilflosigkeit bekennen, denn ich stehe dieser gewaltigen Wortflut recht hilf- und verständnislos gegenüber.
Platt, aber treffend rutscht einem ein „Wat soll dat alles?“ oder „Dös is ois a rechta Schmarrn.“ heraus.
Zugestanden: Sowohl hier in den ST-Gefilden als auch in der unendlichen virtuellen Welt der Blogs, Ecken und Nischen, wo anonyme LeserInnen und Menschen sich verbal betätigen (so wie ich jetzt hier und heute), findet man gelegentlich durchaus bemerkenswerte Beiträge, Hinweise und Anregungen. Vieles wenn nicht das meiste Geschriebene hat allerdings wohl eher den Charakter einer verbalen Notdurft, denn hier geschieht nicht das, was ein Gespräch oder gar eine Diskussion ausmacht: Rede, Thesen, Gegenrede, Stellungnahmen, Argumente und durchaus Gegenargumente etc., sondern hier plappert man unbedarft und von Kenntnis und Wissen ungetrübt einfach mehr oder weniger sinnlos daher, ob man etwas zur eigentlichen Sache zu sagen hat (vermutlich werden die Ausgangsbeiträge gar nicht gelesen) oder nicht; man hängt sich an irgendeiner Lappalie auf (oder nicht einmal das) und demonstriert – im Internet gleichsam weltweit – Nichtwissen und Unverständnis plakativ und demonstrativ.
Hier beziehe ich mich natürlich nicht auf die kleine, aber feine ST-Welt, sondern diese läppisch-lächerlichen Gedanken kamen mir, als ich eben gestern die vielen, vielen Leserbeiträge zu Darwin, Evolution etc. in den entsprechenden Rubriken der WELT, FAZ, Frankfurter Rundschau etc. las ...


Verantwortlich
Die Bertha
vom Niederrhein

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Kommentare (3)

immergruen Im Wechselspiel zwischen Sprache und Musik fällt mir auf, dass beide im Laufe der menschlichen Entwicklung beachtenswerte Parallelen aufzeigen. Je ruppiger die Ausdrucksweise wird, desto härter ist die Musik. Sehe ich das falsch?
Medea "das die Sprache das einzige Kriterium zur Einschätzung des Gesprächspartners ist. " schreibt Bertha. Was ich sofort und in Erinnerung der kleinen nachfolgenden Episode bestätigen kann.

Einer Einladung meiner Patentante folgend fuhr ich, süße Siebzehn, mit dem Zug ins Rheinland. Mir gegenüber saß ein Bild von einem jungen Mann, hinreißende blaue Augen, ein Lächeln, daß einem die Knie weich werden konnten, oh was fand ich ihn schick.
Und dann machte er den Mund auf und versuchte ein Gespräch mit mir zu beginnen -
und der Zauber war dahin .... In meinem Elternhaus wurde großer Wert auf gutes deutsch gelegt, das war aber ganz und gar nicht das, was ich zu hören bekam. So folgte die Ernüchterung auf dem Fuße - schade - .... wenn er doch geschwiegen hätte .....


immergruen ist vielleicht der richtige Ausdruck,denn viele Menschen leiden an Verstummung, haben keine bzw. keine Partner zur Diskussion und greifen deshalb auf die Möglichkeit zurück, ihre Ansichten, Meinungen, Glaubensbekenntnisse, Emotionen, Sorgen und Ärgernisse einem Medium anzuvertrauen, das sie weitestgehend anonym bleiben lässt. Das Gesicht hinter einer Ansicht bleibt grau und das ist beruhigend. Aber die Wahl der Worte spricht manchmal Bände.

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