Summen ist keine Straftat


Summen ist keine Straftat
Ein Lied und seine Folgen
Im November 1885 schrieb ein Chronist in der „Radeberger Zeitung“ – „Recht bedauerlich ist es, daß sich oft junge Leute soweit vergessen, gegen Polizeiorgane, wenn ihnen dieselben bei Ausschweifungen gegen die Gesetze der Ordnung zurechtweisend entgegen treten, renitent oder beleidigend auftreten“.
Die Geschichte betraf den Glasmachergehilfen Ernst Max Lehmann, am 14. Januar 1866 in Radeberg geboren. Lehmann war am 21. September im „Deutschen Haus“, an Radebergs Bahnhofsstraße gelegen, zum Tanz. In der gastierenden Kapelle blies Edmund Behrens, ein Freund des Glasmachergehilfen, auf einer Klarinette. Im Fortschreiten des Abends riefen die Anwesenden den Kapellenmitgliedern Wunschlieder zu, so auch das Lied von der Kirschenzeit. Edmund Behrens begleitete unter begeisterndem Lärmen die Sologesangsdarbietung. Das Lied selbst war zurzeit der Pariser Kommune entstanden und hatte eigentlich unpolitisch vom Grundtext her, nun den Kampfcharakter einer bewegten Zeit angenommen, denn es herrschte „das Sozialistengesetz“. Zudem gab es auch eine frivole, erotische Variante, wie es Schlagern zu aller Zeit ging.
Der anwesende Gendarm Barden untersagte noch während der Aufführung das Musizieren und den Gesang. Die Aufführenden folgten dem nicht und so beschlagnahmte er sogleich das Instrument. Voller Gerechtigkeitssinn und durch das Publikum angefeuert, wollte Lehmann die Beschlagnahme rückgängig machen. Es gelang nicht.
Inzwischen hatte sich das Publikum beruhigt, wollte doch Barden den Tanzabend abbrechen lassen. Doch Lehmann konnte sich nicht beruhigen. Auf dem Nachhauseweg begegnete ihm der Gendarm erneut. „Solch einen Bummler-und Faulenzerposten könne nicht jeder begleiten!“ war nur eine der Bemerkungen, die Lehmann los ließ. Da Barden im Saal nur mit Mühe von der Sache los kommen konnte, klagte er Lehmann „als Rädelsführer und wegen Beamtenbeleidigung“ über Radebergs Stadtrat an. Das tagende Schöffengericht verurteilte Lehmann, der eigentlich nur zum Tanz gegangen war, wegen Beamtenbeleidigung zu 14 Tagen Gefängnis, Tragen der Gerichtskosten, Privatgenugtuung und Publikation im Amtsblatt innerhalb dreier Wochen.
Tauchte Barden in nächster Zeit auf den Straßen Radebergs auf, summten junge Leute das Lied von der Kirschenzeit. Summen war kein Straftatsbestand.

haweger

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Kommentare (2)

ehemaliges Mitglied schoene geschichte hat mir gefallen.
gruss
helmut
finchen zu meiner Jugendzeit gab es ein "geflügeltes" Wort:
...summen darf er schon, nur stechen darf er nicht....
Welches natürlich völlig aus dem Zusammenhang gerissen ist.
Doch unsere jugendlichen Triebe verstanden, was damit gemeint war. Zumal ich eine 10 Jahre ältere Großcousine hatte und wir solche Themen abhandeln konnten.
Na siehste, auch dazu gibt es zwei Arten der Verständigung.
Und ich muß dazu anmerken: es hat immer Spaß gemacht.
Noch einen schönen "Feiertags-Nachmittag"....
das Moni-Finchen

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