Spirit of life

Spirit of life
 
 
Irgendwann merkte ich: Der Alkohol lässt mich die Realität vergessen. Mit einem kühlen Bier, dazu einen klaren Schnaps, konnte ich in eine andere, schönere Welt eintauchen. Ich fühlte keinen Schmerz mehr. Ein wohlig warmes Gefühl breitete sich aus. Alkohol war der ideale Stimmungsheber. Er gab mir Kraft und Sicherheit, wenn auch nur temporär. Umso schlimmer war es, wenn der Nachschub ausblieb. Das war die Zeit des Selbstmitleids, aber auch der Selbstanklage. Die Sucht dominierte mein ganzes Dasein. Es gab haufenweise Situationen, wo ich wirklich geglaubt habe, es ist zu Ende. 
 
Mein Kumpel Sepp war neben mir am Hitzschlag gestorben, als wir unter einem Baum schliefen. Die Sonne war gewandert und hatte unser schattiges Plätzchen in gleißende Hitze getaucht. Hilflos, kraftlos, ging der Sepp über den Jordan. Er war mein Saufkumpel in dieser traurigen Zeit. Ohne ihn fühlte ich mich völlig leer, ein Teil von mir war gestorben. Ein Tag nach dem anderen zerplatzte in einer Alkoholblase. Was blieb, war Selbstmitleid. Ich fühlte mich allein gelassen. Ungeliebt, verachtet, bespuckt, verurteilt, ziellos, verzweifelt. 
 
„Willst du so enden wie der da?“, fragte ich mich in lichten Momenten, wenn ich einen Obdachlosen mit nassen Hosen in einer Ecke liegen sah. Es schreckte mich nur kurz ab. Die Sucht war stärker, viel stärker als alles andere. Ich war der Größte, wenn ich in der Welle war und die ärmste Sau wenn ich nix hatte. Ich dachte, so etwas wie dem Obdachlosen passiert mir nie. Doch es kam anders.
 
„Wenn du es schon nicht für dich selbst tun willst (das Aufhören), dann mach es wenigstens für deinen Sohn und deine Frau”, sagte ich mir manchmal und vergaß dabei, dass die Frau tot und das Kind adoptiert worden war. Auch ein Produkt beginnenden Säuferwahns. 
 
Tiefenpsychologie. Und? Was habe ich entdeckt? Nichts als tiefe Leere. „Ich muss was tun, für mich allein“, dachte ich. Manchmal glaubte ich an Wunder, an kindliche Geborgenheit und spürte die Wärme einer schützenden Hand. Ich sah eine kleine Chance für mich - in einem anonymen Anruf bei der Telefonseelsorge. 
„Ist da wer, der mir zuhört?“, fragte ich. Und ja, da war tatsächlich wer. Eine leise Stimme, kein imaginärer Zeigefinger. Sie hörte zu, das hat geholfen.
Sie sagte: „Du bist den falschen Weg gegangen, hast irgendwann die falsche Abzweigung genommen. Dreh dich nicht um, schau nicht zurück, du kannst nichts mehr ändern. Gehe weiter, nimm den steileren Weg, er führt ans Licht.“ 
Ich hab’s begriffen. Es ist meine ganz persönliche Entscheidung, den anfangs mühsamen Weg nach oben zu gehen. Es ist der Weg, aus dem die Freiheit wächst. Es mag pathetisch klingen, aber da oben will ich gar nicht wirklich ankommen. 
Jetzt verstehe ich, was damit gemeint ist: Der Weg ist das Ziel. Steil und lebensgefährlich. Ich nehme die Herausforderung an und besiege mich selbst, mich und den Alkohol, denn der König bin ich. Mein „spirit of life“ heißt Abstinenz.  Das war die wichtigste Antwort auf all meine Fragen.


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Kommentare (5)

nnamttor44

Fast ein wenig neidisch habe ich bisher alle Deine Geschichten von Deinem Sieg über den Alkohol gelesen. Ich wünschte, mein Alkoholiker hätte ein wenig von dieser Deiner Kraft gehabt.

Es hat mich animiert, seine Lebensgeschichte ebenfalls aufzuzeichnen, denn ich habe sie von seinem 19. Lebensjahr an bis zu seinem Tod vor zwei Jahren miterlebt. Wieviele Brüche und Leid manchmal in so einem verzweifelten Leben stecken, ist mir durch das Nachdenken und Schreiben erst bewusst geworden. Mitgerissen hat mich sein "Freund-Feind" nicht, obwohl er viele Versuche startete ...

Mehr werde ich hier nicht dazu sagen, denn das müsste er selbst tun - das geht schon längst nicht mehr.

Danke, lieber Ferdinand, für Deinen Mut, Deine Geschichte offen zu legen.

Uschi

Seija

Für mich ist jeder "trockene Alkoholiker" ein Held!
Seija

Muscari

Lieber Ferdinand,

wie schön, dass Du hier in Form einer Kurzgeschichte den Beginn Deines Alkoholdramas und dessen glückliches Ende beschreibst.
Ich komme nicht umhin, dabei an die Situation unseres verstorbenen Sohnes zu denken.
Ich zitiere Dich:
" Mit einem kühlen Bier, dazu einen klaren Schnaps, konnte ich in eine andere, schönere Welt eintauchen. Ich fühlte keinen Schmerz mehr."

Unser Sohn war Pianist, ein begehrter Klavierpädagoge und schwer rheumakrank.
Mit Medikamenten und Alkohol versuchte er seine Schmerzen, vor allem auch in den Fingern, zu lindern. Und das über mehrere Jahre, bis er schließlich seinen Beruf nicht mehr ausüben konnte. Mutiples Organversagen brachte dann das bittere Ende.
Aus dem Spirit of Life war der Spirit of Death geworden...

Aber Du hast es geschafft, und ich gratuliere Dir.
Mit herzlichem Gruß,
Andrea

Distel1fink7

Eindrucksvoll beschrieben den Weg den schwierigen Weg ins Licht.
Wenn die Einsicht da, ist die Erkenntnis , es nicht zu schaffen umso
schmerzhafter. 
Wenn die Hoffnung einen Weg zeigt, in dem Fall einfach nur zuhören,
keine Kritik und Vorschriften wären sowieso nutzlos.
Meine Hochachtung für die Entschlossenheit, stärker zu werden als
die Sucht. Nur Vorsicht, ein Rückfall soll nicht zum aufgeben verleiten.

Meint Distel1fink7 Renate

Eisenwein

@Distel1fink7  
Danke dir, ich bin auf der Hut, denn der teufel schläft bekanntlich nie.


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