Pommerantouns Bockoufn


So lange ich mich erinnern kann - ja, auch mein Großvater Wilhelm Stelzig kennt es nicht anders - heißt das Haus uns schräg und Bäimsmarie direkt gegenüber, auf der anderen Seite des Weges, der rauf zu Kriesche und auf die Heide führt, die Hausnummer 41, "bei Dixn".
Der Spitzname läßt sich in der Familienchronik bis in das Jahr 1795 verfolgen: Der 27jährige Benedikt aus Binsdorf nimmt sich seine Auserwählte, die 24 Lenze zählende Theresia Kleinpeter aus Rosendorf zum Weibe und heiratet am 3. Feber 1795 in der Rosendorfer Kirche.
Seitdem trägt das Haus Nr. 41 in Binsdorf den ehrenwerten Namen "Bei Dixn".
Franz Josef Ullrich, geboren am 8. August 1836 und die um ein Jahr jüngere Apolonia Beutel, geben 1873 ihren Erstgeborenen den Namen Ignaz.
Jetzt schließt sich der zeitlich weite Kreis, denn Ignaz Ullrich ist der Großvater von meinem Freund Erich Ullrich aus dem Haus Nr. 41.
So, wie uns Beide, Dixn Erich und mich, eine tiefe und feste Freundschaft verbindet, kann man es auch von unserern Großvätern, den Stelzig Wilhelm, genannt Löselschneider und seinem Nachbar, den Ignaz Ullrich, genannt Dixn Naz, sagen.
Während sich mein Großvater neben der kleinen Häuslerwirtschaft voll der Zimmerer- und Stellmacherei widmet, in den Wintermonaten Rutenbesen aus Birkenreißig bindet und Weidenkörbe flicht, wird der Ignaz Maurerpolier.
Jahrelang arbeitet er außwärts, baut viel in Windisch-Kammnitz, kommt nur zum Wochenende nach Hause.
Noch heute steht am Abhang des Quaderberges immer noch ein kleines, tempelartiges Gebäude, an dem er leitend mitgewirkt hat. Es ist die "Bohemia", welche alle unten vorbei schippernden Elbdampfer und Kähne, damals wie heute, grüßt und allzeit "Gute Fahrt" zu winkt.
Im Winter dann, wenn Schnee und Kälte die Bauleute zum Stillehalten zwingt, verlegt sich Ignaz Ullrich, wie so viele im Dorf, zuhause auf das Strumpfwirkerhandwerk.
*
Mit Freude habe ich in der Familienchronik "gestöbert" und manch' nette Begebenheit gefunden, denn Erich sein Großvater, der Dixn Naz, gehörte damals zu den hellen und aufgeklärten Köpfen des kleinen Dorfes im Zappenland.
Warum?
Ganz einfach, er traut nicht all dem, was ihm die Glaubensvertreter, der Gendarm - auch Schandarm genannt, und die anderen Leute erzählten und einreden wollten. Er will selbst ergründen, was so als "die Wahrheit"hingestellt wird.
Das wiederum bringt Ignaz öfters in arge Gewissen Konflikte.Als damals in seiner interessanten Schulzeit zum Beispiel, einmal ein in Religionsangelegenheiten tätiger Vikar die Binsdorfer Schule inspizieren und die braven Binsdorfer und Heidensteiner Schüler auf ihre Glaubensstärke überprüfen will, suchen die Beteiligten den Ignaz Ullrich vergeblich.
Ignaz der Schüler, war sich sehr im Zweifel, ob das wohl mit rechten Dingen zu gehen sollte mit der Aushorcherei und so. Deshalb bildete er sich seine eigene Meinung und zog es vor, unauffindbar zu sein. Ignaz kannte so manche Verstecke, hatte eine große Auswahl parat. Aber ganz sicher fühlte er sich nur in Pommerantouns warmen Bokoufn. Den kannte er aus früheren Gelegenheiten.
Dort wartet nun der junge und aufgeweckte Zeitgenosse so lange, bis die schulische Aufregung vorüber war.
Das Ganze stellt sich später als glückliche Fügung für den Vikar heraus. Was wäre wohl geschehen, wenn dieser, den lieben Ignaz, über und über mit Rußflecken verziert und dadurch so einem kleinen und doch netten Teufelchen sehr ähnlich, zu Gesichte bekommen hätte?
Gewiß wäre ein sofortiger Aderlaß beim verehrten Vikar notwendig gewesen oder vielleicht noch Schlimmeres?
Und erst die anderen Schüler!
Bei jeder, nur möglichen Gelegenheit wären sämtliche Backöfen des kleinen Ortes zu Lieblingsverstecken erklährt worden.
Aber, Pommerantouns Bokoufn mit seiner historischen Bedeutung genügte für die zum Kirchenspiel Arnsdorf gehörende Gemeinde.
So war die Tat des pfiffigen Ignaz Ullrich (mit zwei ll), eine brave Tat im Sinne der guten Gesellschaft. Strafe genug erfuhr der gute Sohn von seiner Mutter. Wohl an die zwei Stunden lang schrubbt sie mit Seife und Wurzlbirschte hinterher an ihm herum. Ignaz hat dabei mit sehr schmalen Lippen stille gehalten, denn weinende Jungen konnte sein Vater überhaupt nicht ausstehen.
Später dann, nach sechsjährigem Schulbesuch, genießt er die verdienten Schulferien mit besonderer Wonne, denn der Zwölfjährige steckt mit Genugtuung sein gutes Entlassungszeugnis in der Tasche. Endlich alles vorbei und gut überstanden! Ignaz Ullrich fühlt sich als freier Mensch.
Wie das Schicksal so spielt, wird zu dieser Zeit im großen Österreich von wirklich weit voraus schauenden Politikern und ganz ohne Pisa-Kenntnis, die Schulzeit per Gesetz auf acht Jahre verlängert.
Wie soll sich ein Zwölfjähriger darüber freuen, daß er die eben erlangte Freiheit so schnell wieder verliert? Das kann nicht sein. das darf nicht sein, so der Betroffene! Er sinnt auf Widerstand.
Jedenfalls zieht es Ignaz und sein Freund Großfritz Kriesche nach reichlicher Überlegung in der verbleibenden Ferienzeit vor, beim Schulbeginn einfach nicht zu erscheinen, basta!
In der selbst gebauten Erdbude nahe den Rosenkämmen wollen sie ihren harten Protest durchstehen. So ihr eiserner Entschluß, koste es was es wolle!
"Aber, sie konnten ihrem Schicksal und dem Gesetze nicht entrinnen. Der Lehrer ließ sie durch einen Kameraden holen", heißt es bedauerlich in der Familienchronik.
Als Erwachsener entschließt er sich nach reiflicher Überlegung, in Sachen Religion tiefer in diese Welt einzudringen.
Was sich der Ignaz vornimmt, führt er auch gewissenhaft durch.
(Doch dies ist eine andere Geschichte, heißt "Nachbar Ignaz und seine Bibel.)


w. Ph.

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Kommentare (5)

finchen ... Diese Ausdrücke der Sprache, die erahnte ich doch. Wir hatten ein Dienstmädchen in der Bäckerei - von daher waren sie mir vertraut. Und sie stammte aus Böhmen oder Oberschlesien.........
Es gab immer viel zu lachen bis wir sie verstanden.
Lieben Gruß
das Moni-Finchen
omasigi Lieber Olebienkoop,
findet man solche Geschichten und Originale.
Früher in der Abgeschiedenheit der schwäb. Alb hat sich ähnliches ereignet.
Du erzählst aber Deine Geschichte so lebhaft, als ob Du selbst mit dabei warst.
Es hat mich sehr gefreut Deinen Blog zu lesen.
grüssle
omasigi
olebienkopp Hallo Basta...
...die Geschichten sind keine Erfindungen und haben sich im Zappenland, ein Gebiet im alten Sudetenland an der Nordgrenze von Böhmen, abgespielt.
Danke für Deine netten Zeilen. Grüße aus Berlin von Walter, den olebienkopp
ehemaliges Mitglied moin moin.
schöne geschichte, wann kommt die fortsetzung??
und wo spielt die geschichte? in ostpreusen?
lg basta/Helmut
aus Holstein.
ehemaliges Mitglied Du schreibst wirklich hübsche Geschichten, die ich sehr gern lese! Danke dafür

Uschi

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