PAREIDOLIE

Es ist früh am Morgen. Sehr früh.
Ich sizte auf meinem Balkon und genieße die Frische und den noch unschuldigen, noch ungeborenen Tag.
Ich habe dabei das Gefühl, dass ich so früh am Morgen mehr vom werdenden Tag habe, als die, die noch schlafen...

Ich wohne in einem kleinen Mehrfamilienhaus, mitten in einem kleinen Park. Der gehört dem Vermieter, der sich ihn leisten kann, und ich bin der glückliche Nutznießer.
Es gibt auch Bäume im Park, einige unweit vor meinem Balkon. Vor allem Tannen (Siehe Bild).

Ich sitze da und erinnere mich plötzlich an den Rat meiner längst verstorbenen Mutter, die mich als Kind stets ermahnte:
" Du sollst immer zur Tannenspitze blicken, und nie zum Boden starren!".
Immer und immer wieder sagte sie mir das, weil ich beim Gehen tendenziell nach unten schaute.

Also schaue ich auch jetzt die Tannenspitze vor meinem Balkon.. und, ja, in der Tat, da sehe ich schon etwas! Eine Figur! Es ist ein Soldat, ein Infanterist, er ist ganz klar zu erkennen!
Auf etwa zwei Meter Höhe an der Tannenspitze tritt ein Soldat dynamisch und entschlossen hervor, ein Arm nach vorne, der andere nach hinten gestreckt, der auch die lange Bajonette fest in der Hand hält.

Der Soldat ähnelt wirklich einem Soldaten aus einem Gemälde von N. Grigorescu (Smirdan-Attack, 1848), oder aber einer Szene aus dem Gemälde "Schlacht bei Waterloo" von William Sadler (1815), ein Panoramabild, dass ich vor vielen Jahren in Watterloo Museum sehen durfte.

Ich weiß nicht, warum ich ausgerechnet einen Soldaten sehe, vielleicht weil ich sowas mal gesehen habe?!
Ist mein Gehirn etwa krank, in allem stets Bilder zu sehen?
Nein, ganz sicher nicht, ganz im Gegenteil. Jedes gesundes Hirn reagiert so.

Dieses Phänomen heißt  P a r e i d o l i e  und ist keine Krankheit, auch wenn man (dem Namenklang nach) tendiert es so zu ordnen.

Mich fasziniert diese Tatsache, dass wir (alle!) überall Gesichter sehen, auch wenn keine da sind, bzw. wenn die Logik uns ermanht, es sind keine (eine australische Studie bewies es, 2020). Dieses Phänomen ist angeboren (britische Studie, 2017, mit sehr kleinen Babys).

Wir erkennen in der Nebel Gesichter, sehr oft schaut ein bärtiger Alter aus den Wolken auf uns herab, manchmal eine gut erkennbare Hexe (häßliche, schiefe Nase), manchmal eine Fee, oder ein Engel - aber auch Drachen und Riesen sind da, also alles, was wir schon k e n n e n.

Denn, unser Gehirn "sieht" überall Gesichter oder Figuren, weil es versucht das soeben Gesehene "in ihm bekannten Kästchen" einzuordnen, und assozieiert alles mit den früheren Informationen.
Zumindest habe ich so verstanden.

Es ist recht kurios, dass man überall (Gebirge, Baumstämme, ja, sogar in dem Schaum der Cappuccinotasse, in einer Auto-Motorhaube, oder sogar nur in zwei Punkten und eine Linie/Steckdose) vor allem Gesichter sehen.
Sogar die interstellaren Nebelgebilder assozieiert das Gehirn mit dem, was man schon kennt.


Für mich ein erstaunliches Phänomen. Auch für euch?


Verwendete Quellen:
Science
Scinexx
SWR/Wissen