Neun Jahrzehnte ist es her ...


Neun Jahrzehnte ist es her ...
Ein Zuwanderer fragte Gottvater einst bei seinem Eintritt in das ewige Einwanderungsland, wie lange in der Ewigkeit wohl eine Sekunde wäre, das gleiche wäre auch bei den Zahlen interessant, wieviel die Zahl 10 dann wohl bedeutet!
Gottvater lächelte, dann meinte er: „Eine Sekunde ist gleich 1 Million Jahre auf der Erde. Und eine 1 ist als Zahl auch gleich eine Million!“
Als darauf der superkluge Mann dann listig um einen Euro bat, meinte Gottvater: „Kein Problem,
warte nur mal kurz eine Sekunde!“

 
 Neunzig Jahre! Ist das nun viel viel? Für den Lauf der Geschichte ist es ein Wimpernschlag, für einen Menschen jedoch der Anfang einer Ewigkeit. Es gibt eine Zeit zwischen den Zeiten, die niemand gern wieder auf die Tagesordnung bringen möchte. Vor allem die Menschen nicht, die Unheil und Verderben über den Teil der Menschheit brachten, die sich dagegen nicht wehren konnten.
 Der Beginn meiner eigenen Lebenserinnerung liegt im grauen Dunkel der Zeit verborgen. Wie überall im menschlichen Dasein sind es nur Bruchstücke dieser Erinnerungen, die aus dem Wirrwarr aller kindlichen Ereignisse ans Tageslicht treten. Wer erinnert sich schon daran, was er im Kleinkindalter dachte? Unwahrscheinlich, dass diese Fragmente noch in einen geordneten Zusammenhang gebracht werden können. Vielleicht gelingt es dennoch. Wenn dabei irgendwelche Zeitsprünge auftreten, ist dies sicher verzeihlich! Manches Mal geht es halt nicht anders, weil ein Gedanke oft den anderen nach sich zieht, auch wenn man es vermeiden möchte.
 Als ich das Licht dieser infernalischen Welt erblickte, war das unselige »Tausendjährige Reich« gerade dabei, sich zu etablieren. Da ich nun daran wirklich nicht schuld war, ließ es mich naturgemäß zunächst kalt, das war ja auch wohl verständlich. Diese unselige Zeit war jedoch ein Bestandteil des damaligen Lebens dieses Planeten, und der Menschen, die in der falschen Zeit lebten - teilweise auch am falschen Ort. Zu diesen Lebewesen gehörte in diesem Zeitalter auch der kleine »Horst«, der in jenen bedeutsamen Tagen noch »Horstchen« genannt wurde.
 Die Mode jener Epoche hatte sich von der bunten Farbenfreude der Nachkriegszeit des 1.Weltkriegs zu einem tristen Braun verändert. Anscheinend waren die neuen Gebieter in Deutschland, die längst alle Sinnenfreude über Bord geworfen hatten und lediglich ihre «eigene Farben« propagierten, in diese Maikäferfarbe verliebt. Demgemäß galt ›Braun‹ als Standard für jeden, der etwas zu befehlen hatte.
 Bei dem kleinen »Horstchen« hatte dieses Braun sicher noch keine hervorragenden Eigenschaften entwickelt. Er lag dort mit einem blauen Strampelanzug bekleidet in einem eleganten Kinder-Cabriolet mit klappbarem Vordach, betrachtete bei den jeweiligen Spazierfahrten die Welt noch aus der Käfer-Perspektive, also von unten her, mit interessierten Blicken. Allzu viel gab es noch nicht zu schauen, viele verschiedene Gesichter, die mit ihm unverständlichen Lauten wie »ach ist der herzig - ist der süß - wie heißt denn der Bubi« bis zum einfachen »kille-kille«- Horstchens kleines Hirn schon ganz schön ins Schwitzen brachten.
 Der Winzling beschloss einstimmig, solch ein Gebrabbel zu ignorieren und sich diesen Lobpreisungen ostentativ zu entziehen. Mangels eigener Waffen ließ sich das nun nicht immer bewerkstelligen - aber wie schon bemerkt: Braun war ja modern, und diesen Farbton beherrschte er nun doch ganz phänomenal!
 Aus diesen ersten Lebensjahren ist nicht viel zu berichten. Vati und Mutti brachten ihm wie anderen Babys vor ihm auch, all das bei, was er wissen musste - leider auch das, was er gar nicht wollte. Was halfs? Learning by doing ist nun mal das Alpha und Omega des Lebens.
 Der kleine Horst - also ich, lernte jedenfalls ständig, neben den wichtigen und lebensnotwendigen Seiten des Lebens auch die Impertinenz und die Unsitten der Mitmenschen. Vieles wollte man dem Kleinen natürlich vorenthalten, vergebliches Mühen. Sehr kleine Ohren hören mehr und vermitteln unendlich vieles an den kindlichen Geist, als so mancher erwachsene Mensch sich überhaupt denken kann.
 Im Großen und Ganzen jedoch war es ein gutes Leben, in das ich geleitet wurde. Ich hatte Eltern, die nichts unversucht ließen, mir beim Wachsen und Reifen Hilfestellung zu geben. Dann die Großeltern, Papas Eltern und Muttis Mutter - sie gaben sich alle Mühe, mir die freundliche Welt so zu zeigen, wie sie eigentlich gar nicht vorhanden war! Die Ausmaße dieser Verschleierung konnte ein Kind wie ich in der Zeit noch gar nicht erfassen.
 Schön war diese Zeit für mich, sie war der gute Bruchteil eines Daseins, das noch sehr viele Unwägbarkeiten mit sich bringen sollte.
Sicher ist es eine Gnade, dass die kleinen Menschlein all das noch nicht ahnen können, was das Schicksal an ihnen noch ausprobieren wird. Und - die Zukunft liegt bei ihnen noch so unendlich weit in der Ferne, trotzdem ist sie so nahe, dass einige Jahre in der Nachbetrachtung wie Minuten erscheinen.
Und nicht vergessen:

 Als ich auf die Welt kam, hatte die Zeit noch mehr Dornen als Rosen! Davon aber ein anderes Mal ...

©by H.C.G.Lux

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Kommentare (6)

Distel1fink7

JA; Es ist gut ein Feedback zu bekommen, ein wertvoller Schatz die Erinnerungen.
Heutezutage weiß ich ja, wie schlimm, dass ist, auf Befehl  " zu Jagen ", zu töten..
Menschen !

Wie kann man es wagen, solche Befehle zu geben.  Hört das denn nie auf !

Zorniger Distel1fink7

Distel1fink7

Pan -  an den Horst

Deine Geschichte ist sehr berührend, humorvoll und warmherzig.
Ich habe die Erfahrung gemacht, dass sich wenig Kinder, junge Menschen,
an ihre erste Lebenszeit erinnern. Das ist wohl so, wenn gleich Du oder andere
oder ich uns besser erinnern, wenn auch bruchstückweise, die  Zeit sehr markant
war, Wenn wir auch nicht wussten warum.

Ich habe die Endzeit des Tausendjährigen Reichs mitbekommen. Sogar die Flucht
von Schlesien ( wo meine Mutter und ich evakuiert waren) zurück ns Ruhrgebiet.
Die Bauersfrau, die mit uns floh sagte " Nein, nicht über die Landstraße, da sind
die Tiefflieger" also quer durch die vereisten Wälder.

In dieser Zeit konnte, musste man schon Einiges behalten. Ich erinnere mich 
auch wie Du aus meiner Kinderwagenzeit. Manchmal frage ich mich, ob ich
mir das alles einbilde. Es ist aber überdeutlich und eines noch, ich fühlte mich
gut, behütet, verwöhnt von der Mama und ihren zwei lieben Schwestern.
Dort, wo alles zusammenbrach.Ich habe lernen dürfen, was menschliche
Wärme, LIebe, Sicherheit bedeutet. Gerade dann und dort.

Danke für Deinen Bericht
Distel1fin k7

Pan

@Distel1fink7  
An manche Dinge ist es schwer, sich zu erinnern. Mit 11 Jahren jedoch wiederum ist es schwer, sich nicht zu erinnern. Die Tiefflieger z.Beispiel, und zwar nicht nur im Osten, sondern Tage später auch im Westen, wo die britischen Jagdflieger sich einen Spass daraus machten, auch Kinder im weitläufigen "Hammrich" (ostfriesischer Name für die weiten Weiden und Wiesen des Landes) zu jagen ....
DerJagdtrieb war wohl ein starkes Motiv für die Herren?
 

Lerge

Liebe @Distel1fink7,
herzlichen Dank.
 

Du schreibst fast genau, was ich hätte schreiben können. Flucht aus Schlesien im Januar 1945. Eiskalt, einsam in dunklen Wäldern. Monatelang. Und doch bis heute von Herzen dankbar für Bewahrung, den neuen Anfang, die vorbildliche Kraft meiner damals schon verwitweten Mutter, und ein Leben, das ich bis heute als Geschenk ansehe.

Neundorf.jpgDas war ich im Sommer 1944

Auch Dir, lieber Pan-Horst, meinen Dank für Deinen so berührenden Beitrag.
Lerge

  

Syrdal


Ja, „Im Großen und Ganzen jedoch war es ein gutes Leben…“ Auch ich darf das mit ehrlicher Dankbarkeit sagen für „Eltern, die nichts unversucht ließen…“ Freilich gab es Höhen und ebenso manche Tiefen, Helles und Dunkles, doch alles in allem war es gut – bis jetzt. Aber an den vielfarbigen Rosen rundherum wachsen seit einiger Zeit zunehmend viele spitze Dornen...
Sei herzlich gegrüßt aus dem noch beschaulichen Hessenland von
Syrdal

Pan

Man dankt Dir aus dem aufgewühlten Ostfriesland, wasserumschlungn und - nana, Du weisst schon ...
Horst🏃


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