Jodtinktur der Wiese


Jodtinktur der Wiese



Jodtinktur der Wiese
 
Cheiron*, Sohn des Titanen Kronos*,
weiser und heilkundiger Kentauer*,
sammelte zwischen Gräsern und Moos
die filigran gefiederten Blätter
der Garwa*, dem heilenden Wuntkrut*,
wusste er doch, dass der Saft der Pflanze
wundersam stillend wirkt auf das Blut
in der Wunde vom Stich einer Lanze.
 
Dieses Wissen gab Cheiron weiter,
lehrte Achilles* der Pflanze Heilkraft,
auf dass dieser als Eingeweihter
den Wundbrand* behandelt mit Kräutersaft.
Der Jüngling hat der Natur vertraut,
spendete Garwa sogar den Name,
es heißt nun nach ihm Achilleskraut*
allüberall auf dem Erdenplane.
 
Doch andre Namen sind noch bekannt
für’s kleine gefiederte Wiesenkraut,
verbreitet wird’s Schafgarbe genannt,
in manch einer Gegend heißt’s Tausendspalt*,
Katzenohl*, Grüttblom* oder Roleg*,
woanders wiederum Jungfrauenaug*,
Hasenschardele*, auch Schnitzelquäk*,
Mannsleuterl*, Rüppel* und Grillenkraut*.
 
Wo immer die feinen Pflanzen stehn,
sie sind gesegnet mit heilender Kraft
durch Salicyl und Proazulen
und wichtige Saponine im Saft,
der schlimme Wunden desinfiziert,
Blutungen stillt und Entzündungen hemmt –
selbst bei Doktores, die hoch studiert,
ein besseres Heilkraut wohl keiner kennt.
 
Tee wird verordnet bei Bauchkrämpfen,
er auch das Nervensystem beruhigt –
bei Venenentzündung, Hämorrhoiden
hat sich Heilwirkung deutlich bestätigt.
Der Saft tötet Bakterien ab,
wirkt astringierend* und spasmolytisch*,
macht sogar Dissenterien* schlapp,
findet auch Einsatz gynäkologisch.
 
Er gilt als „Jodtinktur der Wiese“,
Dioskurides* hat ihn so genannt,
wandte ihn an bei mancher Krise,
denn ihm war die heilende Kraft bekannt.
Alle Völker nutzten der Pflanze
wundersam mystische Heilwirkungen,
das alte China, auch das ganze
Römerreich schätzte die Anwendungen.
 
Beschwerden bei der Menstruation
erfahren durch Tee vom Kraut Linderung,
Sterine sind das Phytohormon,
bringen’s Östrogen* rasch wieder in Schwung.
Leidet der Mensch unter Atonie*,
sind Roborantia* aus der Pflanze
Erstärkung für neue Energie,
auf dass er bald wieder fröhlich tanze.
 
Und wer sich frisch verlieben möchte,
legt unters Kopfkissen nächtens ein Blatt,
dann zeigen sich als Traumes Früchte,
wen des Amors Pfeil bald zum Ziele hat.
Wenn man das Kraut genau betrachtet,
verrät es weit mehr, als man ihm zutraut,
doch wichtig ist, dass man es achtet,
das kleine gefiederte Wiesenkraut.

 
© Syrdal 2017
 
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Erklärungen:
 
*Cheiron, Kronos = Gestalten der griechischen Mythologie
*Kentauer= in der greichischen Mythologie ein Mischwesen aus Pferd und Mensch
*Garwa, auch Garbe = altdeutsch „die Heilende“, von Hildegardis von Bingen für die Schafgarbe geprägt
* Wuntkrut“ = bei Hildegardis von Bingen „die Gesundmacherin“, altdeutsche Bezeichnung der Schafgarbe
*Achilles (griech. Mythol.) =  Sohn des Peleus, König von Phtia in Thessalien und der Göttin Thetis (einer Meernymphe), mit übermenschlichen Fähigkeiten (Mut, Stärke, Geschicklichkeit) ausgestatter Halbgott
*Achilleskraut = botanischer Name Achillea
*Wundbrand = historische Bezeichnung für alle Arten von Wundinfektionen
*Tausendspalt = niederdeutscher Name für die Schafgarben
*Katzenohl* = Name in der Eifel
*Grüttblom = Name in Mecklenburg
*Roleg = Name in Bremen und an der Unterweser
*Jungfrauenaug = Name in Kärnten (Österreich)
*Hasenschardele = Name in Niedersachsen (z.B. um Loccum)
*Schnitzelquäk = Name in der Eifel um Altenahr
*Mannsleuterl = Name auf der ostfriesischen Insel Spiekeroog
*Rüppel = Name im Münsterland
*Grillenkraut = Name in Ostbayern und im Salzburger Land
*astringierend = zusammenziehend
*spasmolytisch = krampflösend
*Dissenterie = alte deutsche Bezeichnung für bakteriell-entzündliche Dickdarmerkrankungen (z.B. Ruhr)
*Dioskurides = berühmter Arzt im 1.
Jhdt. n. Chr.
*Östrogen = Hormon (Mangelhormon in den Wechseljahren)
*Atonie = Muskelschwäche bzw -erschlaffung
*Roborantia = Stärkungs-und Kräftigungsmittel, das Allgemeinbefinden verbessernde Medikamente

 


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Kommentare (8)

Komet

Danke Syrdal, ich hätte nie gedacht, was dieses kleine Kraut für eine wunderbare Heilkraft hat.


Liebe Grüße
Ruth

 

Syrdal

@Komet

Ja, liebe Ruth, die besten Kräfte der Natur prahlen nicht mit üppiger Erscheinung, sie kommen bescheiden daher und wollen nichts weiter, als ehrlich beachtet und richtig genutzt werden. - Die Schafgarbe ist eines der wirkmächtigsten Kräuter, die uns die heimische Flora bietet.

Sei lieb gegrüßt von
Syrdal 

Marlen13

Lieber Syrdal,
danke für deine informativen Zeilen, man lernt von dir immer noch was dazu.
Ich habe es mit großem Interesse gelesen.
Wünsche dir noch einen schönen Sonntag. ❤️ lichst Marlen 

Syrdal

@Marlen13

Liebe Marlen,
es ist ja im Leben wohl immer so, dass man stets ein wenig Neues erfährt und hinzulernt. Und freilich kann niemals jemand alles wissen. So freue ich mich, hin und wieder einmal etwas darlegen oder auch nur in Erinnerung rufen zu können, was man nicht oder nicht mehr direkt parat hatte. - Ich bin immer wieder erstaunt, was uns die Natur alles zu bieten hat, da gehen die Themen sicher niemals aus.

Danke für Deine freundliche Zuschrift und
liebe Grüße von
Syrdal 

werderanerin

Es ist doch immer wieder schön, von dir soviel Wissen vermittelt zu bekommen, lieber Syrdal. Vielen Dank dafür und auch ich freue mich, wieder Interessantes von dir zu lesen.

Herzlichst

Kristine

Syrdal

@werderanerin

Liebe Kristine,
es freut mich, wenn Dir die "poetisch gefassten" Mitteilungen über so manche Heilpflanze unserer heimischen Flora gefallen und Du auch dabei etwas durchaus Wichtiges erfährst. Immerhin gibt es in der Natur derart viele Heilkräfte, so dass das bekannt Wort entstanden ist: "Gegen jede Krankheit ist ein Kraut gewachsen." Man muss eben nur wissen, was man wie gegen was anwendet. Das alte "Kräuterwissen" ist uns aber durch die modernen chemischen Mittel und Möglichkeiten weitgehend verloren gegangen. Umso mehr ist es wichtig, hin und wieder daran zu erinnern...

Ebenso herzlich dankt Dir an diesem etwas "durchwachsenen" Sommersonntag
Syrdal  

Juttchen

Lieber Syrdal,
ich freue mich sehr, heute Abend wieder von Dir zu lesen. Heute Nachmittag mußte ich so an Dich denken, und fragte mich, ob Du vielleicht krank bist, weil ich länger nichts von Dir gelesen hatte?
Die Schafgarbe blüht nicht nur in weiß, sondern auch rosa. Und die kultivierten Sorten blühen auch in gelb und rot. Leider gibt es giftige Doppelgänger wie den Schierling.
Vielen Dank fürs Einstellen und einen geruhsamen Abend wünscht Dir
Jutta

Syrdal

@Juttchen

Liebe Jutta,
mit Deiner zunächst formulierten Annahme liegst Du nicht ganz falsch. Derzeit habe ich nur ab und an die Möglichkeit, mich im ST zu zeigen. Das wird aber sicher in absehbarer Zeit wieder besser werden, hoffe ich wenigstens...


Was nun die Verwechslung der Schafgarbe mit Schierling betrifft, ist Dein Hinweis wirklich sehr wichtig. Immerhin ist Schierling (vor allem der "gefleckte Schierling") in allen Pflanzenteilen giftig, sogar so sehr, dass es schwere Auswirkungen haben kann, wenn man von der Pflanze etwas einnimmt. Immerhin wurde in der Antike den zum Tode Verurteilten der berühmte "Schierlingsbecher" gereicht. Man denke nur an den griechischen Philosophen Sokrates, der mit einem Schierlingstrank aus dem Leben befördert wurde.

Andererseits wurde Schierling früher aber auch bei verschiedenen Erkrankungen als Heilmittel genutzt. (Das aber wäre eine spezielle Abhandlung wert...)

Danke für Deine wichtige Zugabe sagt mit heiteren Sonntagsgrüßen
Syrdal  
 


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