Geliebtes Chaos

Ich genieße es, die Dinge durch ein imaginäres Kaleidoskop zu betrachten und erfreue mich am bunten Chaos, das permanent neu entsteht. Ein Bild des zufälligen Durcheinanders. Mit Freude sehe ich, wie einzelne Perlen ihre Richtschnur verlassen und munter in die Freiheit rollen.

Ich streife die Hüllen der Zeit und des Alters ab und erinnere mich an die Zeit, als ich ein kleiner Junge war. Mein Spielplatz war die Straße vor unserem Haus. Ich sammelte alles Bunte, das sich im Rinnstein der Straße ansammelte. Mit ein bisschen Glück fand ich glänzende Kronkorken und allerlei buntes Gestein.
Ich liebte die Momente vor dem großen Regen. Wenn einzelne Regentropfen chaotisch wild umher hüpften, erst da, dann dort in den Straßenstaub fielen und sich in funkelnde Perlen teilten. Gerne hätte ich sie festgehalten, aber leider wurden sie zu Wasser und trieben viel zu schnell dem Kanal zu.
Wieder einmal war ein nächtliches Gewitter über die Stadt hinweg gezogen. Es hatte gestürmt, gedonnert und geblitzt. Ich fürchtete mich nicht vor dem Gewitter.

Am nächsten Morgen saß ich am Straßenrand unter einem schwarzen Regenschirm, den irgendwer vergessen hatte, weil es mittlerweile zu regnen aufgehört hatte. Bis der unbekannte Besitzer sein Eigentum zurückforderte, war es mein Schirm. Es gab böse Zungen die behaupteten, dass ich dazu neigte, Dinge zu finden, bevor sie verloren gegangen waren. Wie gesagt – das waren böse Zungen.

Ich mochte den Wind und auch den Regen, weil er mir ungeahnt viele Mosaiksteine in mein Rinnsal schwemmte. Die Kehrseite der Medaille war allerdings auch die Zerstörung der Bilder von gestern. Unvergessen blieben die wunderschönen weiß-blauen Scherben eines ehemaligen Kaffehäferls mit kostbarem Meissener Zwiebelmuster.

Ungeachtet dessen, was um mich herum passierte, formte ich aus Sand und Erde eine glatte Fläche. Kunstvoll drückte ich meine Schätze in den Ton. Grüne Glasscherben von zerbrochenen Bierflaschen und Splitter eines roten Ziegelsteins bildeten den Rand meines Mosaiks. In die Mitte setzte ich den Henkel des Kaffeehäferls und rundherum die weißen Bruchstücke von irgendwas, das ich nicht kannte, das aber gut zu meinem Bild passte.

Unser Nachbar, der Eisenbahner Halacék, der mit der bösen Zunge, der immer alles besser wusste, sagte, dass mein Bild nichts als ein wildes Chaos sei. Ich protestierte innerlich, denn mir gefiel mein Bild. Dann bin ich eben ein chaotischer Bildermacher, dachte ich. Na und?
Ich genoss es, ein Chaot zu sein.


© story by Ferdinand 
@ photo ba greyson-joralemon-9IBqihqhuHc-unsplasg.jpg


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Kommentare (4)

ehemaliges Mitglied

Wie Kinder so sind ... Im Alter von etwa 7 Jahren spielte ich oft am Rand der Promenade, bis ich eines Tages zusehen konnte, wie ein Elektriker einen neuen Kasten mit vielen Kabeln einrichtete.

Dass es so viele verschiedenfarbige Kabel gab, begeisterte mich. Als er fertig war, ließ der die kurzen Kabelreste auf dem Boden liegen - für mich ein Schatz! Allein wegen der vielen Farben der Kabelhülsen. Sie waren mir lange ein Schatz, den icch sorgsam hütete.

Danke für die Erinnerung, Ferdinand!

Uschi
 

Eisenwein

@nnamttor44  
Ja, so war das damals. Wir suchten, sammelten und erfanden unsere Zeitvertreiber selber. Langeweile gab es kaum- Liebe Grüße! 

Muscari


Seit langem geschätzter lieber Chaot, Ferdinand,

Du beschreibst ein wunderbares Chaos aus der Kinderzeit, das mir gut gefällt.
Die Geburtsstunde von Träumen aus Kreativität und Farbe.

Mir fällt dazu ein ähnliches Erlebnis von 1947 ein, aus dem ich hier einen Ausschnitt einstelle:

"... Dort gingen wir auf die Suche nach Scherben von buntem Porzellan und blumigen Tapetenresten, fanden alte Töpfe und sogar ein angerissenes Foto von Hitler. Aus herumliegenden Steinen und Brettern bauten wir kleine Tische und Stühle, um damit unter den Sträuchern kleine Wohnungen auszustaffieren. Die Tapetenreste und Porzellanscherben wurden als Dekoration an Zweigen befestigt.
Unser erstes eigenes Zimmer ...."

Danke Dir und herzliche Grüße von
Andrea

Eisenwein

@Muscari  
Hallo Andrea, du erinnerst mich an eine Zeit, wo wir Buben die größten "Burgenbaumeister" waren. Zur "Houswarming party" wurden dann die Mädchen gnadenhalber eingeladen - aber nur, wenn sie Geschenke mitbrachten. 😉 Liebe Grüße! Ferdinand


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