Feldpost
19.Februar 2008 Arbeit ist gekommen
Meine Schwester Bärbel hat mir irgendwie ein wunderbares Geburtstagsgeschenk gemacht:
Sie hat mir Briefe und andere Dokumente – soll erst der Anfang sein – der Eltern aus ihrer Zeit des Getrenntseinmüssens geschickt. Originale!
Ich war sofort ins Lesen verfallen – geht es mir wieder so, als ich 1940 alle unsere Bücher registrieren sollte und da reichlich in die Bücher einbrach, las und las und las, sehr mühsam mit den Aufzeichnungen vorwärts kam.
Nicht einfach, die handschriftlichen Aufzeichnungen, besonders die von Mutti, zu kopieren. Damals gab es nur Bleistift, Kopierstift und die Feder zum Schreiben von Hand – den Kugelschreiber gab es noch nicht und auch keine Filzstifte.
Ich habe angefangen zu lesen. Oft wurden die Zeilen von Mutti an Vater zwischen zwei Alarmen, wenn keine Stromsperre herrschte oder gerade noch ein Hindenburg-Licht für die Beleuchtung sorgte. So haben wir doch unsere Mutti oft angetroffen:
Wenn der Deutschlandsender (Königs Wusterhausen) seine Sendungen wegen des Einfluges feindlicher Kampfverbände unterbrach und ein Wobbler das Stören der Frequenzen übernahm, dann sprang Mutti auf, hastete die Treppe hoch, musste zur Toilette. Das war immer so.
Aber lasst mich mit irgendeinem Feldpostbrief an Vater anfangen, der noch im Anrollen der Front im Osten den Weg zu Vater ins Lazarett in Dänemark fand:
« 11.Februar 45
Mein Herzenslieb,
Endlich, endlich habe ich nun Post von Dir und kann an Dich schreiben. Ich habe wohl schon 4 Brieflein an Dich nach Skjern geschickt, aber ob sie Dich erreichen werden, ist eine Frage.
Schwere Tage liegen hinter uns und vielleicht auch noch vor uns. Ich habe mein Herz fest in die Hand genommen, und es gehört viel Kraft und Mut dazu, zwischen Miesmachern, Schwarzsehern und Alleshörern tapfer seinen Glauben zu bewahren.
Am Donnerstag den 31.1. hatte hier die Spannung ihren Höhepunkt erreicht. Gerüchte auf Gerüchte umschwirrten einen. Einmal standen die Sowjets schon bei Strausberg, ein anderes Mal hatte der Feind bei Eberswalde Luftlandetruppen abgesetzt, und als zu guter Letzt die Zeuthener Sirene Dauerton heulte (Feuer) rutschte selbst mir für ein paar Minuten das Herz in die Hosen. Gott sei Dank hat sich dann die Spannung doch gelöst. Wie man mir jedoch von Volkssturmmännern berichtete, war das tatsächlich der kritischste Augenblick, denn 3 Panzer sind tatsächlich bis Wriezen durchgekommen und vernichtet worden. Das Tauwetter hat wohl nun die Russen etwas aufgehalten, ob er nun noch bis hierher kommen wird ? Mein Glauben will mir nein sagen. Wenn man jedoch die vielen Panzersperren und Befestigungsanlagen sieht, Du glaubst es nicht, wie der Grünauer Wald aussieht, dann kann man einfach nicht mehr ruhig bleiben.
Ich habe nun alles in Koffer gepackt, außerdem sind der Handwagen und der kleine Korbrollwagen außerdem den Zweiradwagen fertig. Eine Beförderung mit der Bahn ist wohl unmöglich, so dass wir wohl laufen müssen, wenn wir überhaupt noch fortkommen, wenn es soweit ist. Ich bin fertig und zu Allem bereit, aber gehen werde ich erst, wenn wir müssen, und es nicht anders geht.
Der 2.2. hat einen fürchterlichen Terrorangriff auf Berlin gebracht. Es soll der schrecklichste Angriff überhaupt gewesen sein, die Menschen, die ihn mitgemacht haben, sind mit gelben Gesichtern heimgekommen, grauer Staub bedeckte Hüte und Mäntel. Das Schlimmste war jedoch, dass Berlin mit Flüchtlingen vollgestopft war und die Flüchtlinge keinen Platz in den Bunkern fanden und zu Hunderten auf den Straßen den Tod fanden.
Bei uns war nichts los, aber wir haben gemerkt, dass draußen die Hölle war, wie ein fernes Erdbeben dröhnte und es zitterte die Erde. Einige Abschüsse haben wir beobachten können. Ein Flieger jaulte auch angeschossen über uns hinweg.
Frau Tiemann hat diesen Angriff auch in Berlin miterlebt, nun kommt man ganz gut mit ihr aus.
Wir haben den Keller umgeräumt, nun ist Platz auch für sie zum Schlafen. Lebensmittel und Kartoffeln sind auch im Keller unten und viel Wasser. Wir müssen nun warten, was das Schicksal uns bringt, noch sieht es nicht gut aus an der Front , wenn sie auch so leidlich zum Stehen gekommen ist. Es sieht nur halt so aus als stopfe man das eine Loch zu, um ein anderes dafür aufzureißen.
Ich verstehe nicht viel von Allem, ich möchte so gern glauben, dass Alles gut wird. Ein Bissel graut mir, falls wir hier fort müssten. Ja aber wohin denn, und wie gern man Kinder aufnimmt, das habe ich wohl gemerkt. Wie mag es einem zu Mute sein, wenn man dann selbst draußen steht (Licht ist wieder aus).
Briefe gehen nur bis 20gr. Geld 16,-- Mk heute abgeschickt. Die einzige Zeitung seit Wochen ebenfalls abgeschickt. Iß soviel Du kannst, an uns denke, bitte, nicht, vorläufig haben wir noch zu essen, und wer weiß, wie lange wir noch hier sind. Es wäre schade, wenn etwas verloren ginge. Wie ich Dir Zigaretten schicken kann, werde ich überlegen.
Ich muß ins Bett, wir dürfen keine Kerzen mehr brennen, da wir sehr selten Strom haben, gut, dass die Pumpe da ist.
Nun Schluß
Mit liebem Gruß
Dein Lotting
Ich arbeite noch auf der Gemeinde und bin ziemlich unentbehrlich geworden. Herr Streichhahn hat mich ganz besonders gelobt, als tatkräftig und mit viel Rückgrad. Jedenfalls lasse ich mir kein X vor den U vormachen und es tun gut, wenn hinzulernt.
»
Das Abschreiben ist ganz schön anstrengend, es ist nicht Muttis klare Schrift und Rechtschreibung, nein, die Konzentration dazu.
Dieser Brief darf eigentlich nicht alleine stehen bleiben. Die nächsten Briefe, so sie noch vor dem Zusammenbruch weg kamen und auch am Ziel ankamen, sind wieder Geschichtsstunde in unseren Familienerlebnissen.
12.Juli 2009
Immer wieder komme ich beim Arbeiten am Buch „Die Müllerei“ zu den Briefen. Ob ich dieses Buch noch fertig bekomme, bis wir im September unserer Mutter hundertsten Geburtstag gedenken – vor zwei Jahren konnte sie nicht mehr weiter, so sehr sie es auch wollte.
Kommentare (0)