Fee Lavendelchen. Im Land der erfüllten Wünsche (7)
Das nachdenkliche Meeresschaf
Es war einmal ein weißes, wuschelweiches Schäfchen. Es weidete aber nicht auf den grünen Wiesen, sondern auf dem blauen Meeresspiegel. Du hast bestimmt schon mehrmals seine Geschwister, die weißen Meeresschäfchen, gesehen, die lustig von einer Welle zur anderen hüpfen. Unser Schäfchen aber war ganz anders als seine Geschwister: Es war das kleinste und das stillste Schäfchen von allen. Es konnte nicht so laut lachen wie sie, so springen, so lustig auf den Wellen schaukeln.
Am Tage, wenn alle Schäfchen auf den Wellen weideten, teilte unser Schäfchen die lustigen Spiele seiner Geschwister nicht, sondern ließ sich von einer kleinen Welle tragen. Dabei sah es immer verträumt in den weiten blauen Himmel. Auch dort gab es Schafe, weiße flaumige Wolkenschäfchen. Unserem Wellenschäfchen kam es vor, als spiele das kleinste und leichteste von ihnen ebenfalls nicht mit seinen Geschwistern, sondern schaue immerzu nachdenklich nach unten.
Abends, wenn sich die Schäfchen auf dem Meeresgrund versammelten, um sich auszuruhen, las unser Schäfchen in den alten Büchern von früheren Zeiten. Von schönen Nixen, von großen Schiffen und wunderlichen Wesen, die man Menschen nennt.
An einem schönen Morgen, als alle Schäfchen lustig spielten, lag unser Schaf auf dem Rücken und sah in den Himmel, auf dem keine einzige Wolke zu sehen war. Wo nur das Wolkenschaf jetzt sein konnte? Das Wellenschäfchen wartete und wartete und schlief plötzlich ein.
Als es erwachte, sah alles ringsumher ganz anders aus. Die Geschwister waren weit und breit nicht zu sehen. Doch das, was das Schäfchen sah, war so interessant, dass es alles vergaß. Vor ihm erstreckte sich die Erde! Die Erde, von der es so viel gehört und gelesen hatte!
Schäfchens Aufmerksamkeit aber fesselte sofort ein kleines Mädchen, das am Strand saß. Seine Haut war goldbraun, sein blondes langes Haar wellte sich auf dem Rücken. Wie eine kleine Nixe sah es aus. Nur dass es keinen Fischschwanz, sondern zwei schlanke Beine hatte. Das schöne Mädchen saß da, die Knie umschlungen, und schaute traurig in die Ferne auf das Meer. Sie sang leise ein wunderschönes, leicht trauriges Lied.
Das Schäfchen schwamm näher heran, um in die Augen des Mädchens zu blicken. Ach, wie schön sie doch waren! Blau wie der Morgenhimmel, tief wie das Meer und nachdenklich wie jenes verlorengegangene Wolkenschaf.
Da erblickte das Mädchen das Wellenschaf, und seine Augen leuchteten auf. Es sprang auf und ging bis an die Knie ins Wasser. Das Schäfchen war nun ganz nah am Mädchen, das sich bückte und es liebkosend streichelte. Die langen Finger des Mädchens versanken im weichen Flaum des Schäfchens und taten ihm wohl.
"Komm, wir spielen zusammen!” sagte das Mädchen und lief den Strand entlang.
Das Schäfchen sprang ihr glücklich auf den Wellen nach. Als sie müde waren, setzte sich das Mädchen ans Ufer und das Schäfchen schaukelte auf den Wellen zu ihren Füßen. Das Mädchen erzählte ihm von ihrem Leben in der großen wunderschönen Stadt mit einem breiten Fluss, goldenen Kirchen und grünen Parks. Über seine freundliche Familie, über Schule und Freunde. Und das kleine Schäfchen erzählte ihr vom Leben der Meeresschäfchen und von seinem Freund dem Wolkenschäfchen. Als die Dämmerung hereinbrach, streichelte das Mädchen das Schäfchen und verabschiedete sich von ihm.
Jeden Tag kam das Mädchen zum Schäfchen, spielte mit ihm, erzählte Märchen und interessante Geschichten, sang wundervolle Lieder.
Aber eines Tages kam das Mädchen traurig, umarmte das Schäfchen und sagte, dass sie nach Hause fährt. Aber in einem Jahr würde sie wiederkommen. Das Mädchen küsste seinen Freund und lief davon. Und er sah ihr traurig nach.
Der Herbst verging , dann Winter und Frühling. Das Meeresschäfchen weidete auf der Meeresoberfläche, las Bücher, erinnerte sich an Märchen und Geschichten, die das Mädchen ihm erzählt hatte, und träumte, dass es bald seine Freundin wieder treffen würde.
Endlich war der Sommer da. Das Meeresschäfchen schwamm jeden Tag an die Küste und suchte nach seiner Freundin. Es gab weniger Strandbesucher als im letzten Sommer, aber sie waren lauter und machten mehr Lärm. Die Mädchen waren auch da, aber seine Freundin erschien nicht...
Das Schäfchen wartete vergeblich auf seine geliebte Freundin. Sie ist nicht gekommen. Und ein Jahr später war unter den Urlaubern auch kein Mädchen mit blauen, klugen intelligenten Augen.
Und dann begann der Krieg...
Liebe Babuschka Natascha, mir gefällt was du schreibst, dazu die wunderschönen Bilder, herrlich. Liebe Grüße sendet dir Marlen