Die Sache mit der kleinen Kiefer


Die Sache mit der kleinen Kiefer
Ein Gerichtsverfahren anno 1885 führt zuletzt zu 6 Monaten Gefängnis
Es begann eigentlich alles harmlos. Der Maurer Ernst Wilhelm Leuthold aus Liegau wurde zur Schöffengerichtssitzung am 4. Februar 1885 angeklagt, eine kleine Kiefer aus dem Wald entwendet zu haben. In der Erstanklage hieß es dazu: Der Maurer habe am 29. Dezember 1884 aus dem Busche des Wirt-schaftsbesitzers Heinrich Wünsche in Liegau bei Radeberg eine junge Kiefer umgeschnitten und nach Hause geschafft. Nunmehr musste er sich wegen Forst-diebstahls verantworten, da Leuthold gegen den ihm am 19. Januar 1885
übergebenen Strafbefehl auf Bußgeldzahlung in Höhe von 3 Mark, eine gerichtliche Entscheidung verlangt hatte.
In der Gerichtsverhandlung gab Leuthold das Absägen der kleinen Kiefer zu, jedoch wäre dies nicht im sogenannten Bauernwald des Heinrich Wünsche geschehen, sondern im gleich daran liegenden Staatswald. Das Gericht entschied nun „Da es sich nur noch um den Wert des entwendeten Stammes handelt, wird die Verhandlung wegen der Vernehmung eines Sachverständigen vertagt.“
Die neue Verhandlung fand schon 3 Tage später am 7. Februar 1885 vor dem Radeberger Schöffengericht statt. Leuthold erhoffte sich wegen Geringfügigkeit mildernde Umstände, wenn nicht gar einen Freispruch in der Sache. Als Sachverständiger war Langebrücks Oberförster Bruhm erschienen. Zuvor war Leutholds Schuld des Absägens einer kleinen Kiefer auch von drei Zeugen in der Sache bestätigt worden. Die Schätzung aus dem Strafbefehl, dass die Kiefer einen Wert von 1 Mark habe, zweifelte Leuthold an. Bruhm taxierte das gestohlene Bäumchen auf 36 Pfennig. Damit war jedoch immer noch der Tatbestand des Forstdiebstahls im Raume. Die Königliche Staatsanwaltschaft wollte hierfür 4 Tage Gefängnis verhängen, ihm sämtliche Gerichtskosten auferlegen, das Bäumchen zu bezahlen und durch das Gericht die Säge einziehen lassen.
Nun nahm das Ganze eine jähe Wendung. Denn bevor das Urteil wie oben genannt verkündet werden sollte, wollte der Staatsanwalt, Amtsanwalt von Zobel, wissen, wieso Leuthold auf den Gedanken kam, einen Baum im Staatswald abzusägen sei keine Straftat. Leuthold ließ sich auf diese Frage ein und erläuterte das August Bebel erst kürzlich auf einer Versammlung in Radeberg von der Verstaatlichung des Grundbesitzes gesprochen habe. Damit sei er im Falle des Staatswaldes Dresdner Heide, Revier Langebrück, als Liegauer Anlieger sozusagen Miteigentümer.
Das Ganze wäre zu anderen Zeiten immer noch eher ein Kabarettstück gewesen. Doch es war die Zeit des Sozialistengesetzes. Die Verhandlung wurde auf Antrag der Staatsanwaltschaft abgebrochen und sofortige Haussuchung bei Leuthold veranlasst. Hier wurden entsprechende verbotene Schriften der Sozialdemokratie gefunden.
In einem Folgeprozess im März 1885 erhielt Leuthold hierfür 6 Monate Gefängnis. Das Urteil zum Absägen der Kiefer wurde insoweit revidiert, dass die 4 Tage Gefängnis in die 6 Monate einflossen. Jedoch die 36 Pfennig für die Kiefer zu bezahlen waren dazu die Prozesskosten für den Sachverständigen Oberförster Bruhm. Auch wurde die Säge eingezogen und natürlich das sozial-demokratische Agitationsmaterial.

haweger

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