Dessau

Da schreibt jemand unter dem Pin „Mulde“ etwas …
Mulde? Dessau? Ja, tatsächlich jemand aus Dessau. Na und?
Dessau: so viele Vorfahren kamen aus Dessau und Umgebung, also auch aus Orten, die das Dessau von heute ausmachen.
Der Erste, der meinen, unseren Namen „Müller“ nach Dessau schleppte, war Reit- und Kurschmied beim „Alten Dessauer“, also bei Hofe. Vater hat es nicht mehr geschafft, hieb und stichfest nachzuweisen, dass dieser Müller wohl mit den Trakehnern „eingewandert“ ist, denn die Pferde wurden ja aus dem Ostpreussen eingekauft.
Ein „Reit- und Kurschmied“ war mehr als ein Hufschmied, er war auch Veterinär für die Rösser. Wie geachtet er war, kann man an den Paten seiner Kinder ablesen, die allesamt vom Hofe stammten.
Natürlich zeigt die Ahnentafel dann auch viele Zugänge aus dem Bereich Dessau auf. Der Name „Müller“ bleibt erhalten. Bei Ehelichungen endet ein Namenszweig, nämlich der der Frau. Und schaut man da hinein, so erlebt man eine Vielfalt von Verknüpfungen über Beruf, Gilde, Rat, ja ganze Dynastien. Wo ist das Innungsbuch der Dessauer Handschuhmacher geblieben, in dem du noch den Sand aus der Streusandbüchse zum Trocknen der Tinte in der Schrift finden konntest?! Wo sind die die sieben Mantelknöpfe eines französischen Soldaten aus der Napoleon-Zeit geblieben? Die hatte sich die Eleonore Reil aus Dessau geben lassen, als man den füsilierten Mann am Folgetag zu Tode gekühlt vom Kanonenrad band; sie hat diese Strafe für den Mann nicht gewollt, sie hatte sich nur über dessen Belästigung Beschwerde geführt.
Und bis in die Zeit des vorigen Jahrhunderts war im Veterinären noch etwas über Rezepturen zur Pferdeheilkunde zu lesen, eben von einem Müller. Mit solchen Vorbildern bestärkte man mich 1946, den Beruf des Schmiedes zu ergreifen, weil ich doch nicht Maurer werden wollte, so aber wenigstens eine Lehrstelle bekam.

Dessau!
Es war 1936, als meine zweite Schwester in Berlin-Oberschweineöde getauft wurde. Dazu waren aus Dessau zwei „Cousinen“ angereist. Mit denen durfte ich dann mit nach Dessau fahren. Zwischenhalt in Belzig bei irgend so einer Tante. Zu Mittag gab es Eierpfannkuchen mit Blaubeeren. Man brauchte mit der Zitrone schon einige Mühe, die Zähne wieder weiß zu bekommen. Dann ging es noch im Spaziergang zu einer Burg so mit Brücke und Teich mit Entengrütze, ehe es weiter nach Dessau ging. Ich landete bei Verwandten namens „Edner“. So manches Bild und Erlebnis schwirrt aus dieser Zeit noch im Kopf herum. Ein Bild zeigt den Onkel Edner und mich so im Park auf einer Bank – mein zehn Jahre jüngerer Bruder benotete das Bild „du warst damals ein ganz hübsches Kerlchen!“ - Die Tante Emmi (geborene Habicht) sprach ein ganz markantes Deutsch: „Der Dieder (ich) isst den Salad wie’n Garniggel!“ Viele Spaziergänge mit dem Onkel in die Parkanlagen (wohl außerhalb der Stadt), außerhalb von Arkaden-Gängen (die mir ebenso in Erinnerung geblieben sind). Das Wandern hinaus zur Badeanstalt mit den Cousinen: für die Kinder, zu denen ich damals noch zählte, hatte man so einen Käfig mit Boden ins Wasser gelassen. Wenn’s dann zurückging, mussten wir an zwei Schwänen vorbei, die da Wache hielten und manches Mal Jagd auf mich machten. Und dann kam der Sohn des Hauses in der nagelneuen Uniform der Reichsluftwaffe. Mit seiner Eisenbahn Spur 0 durfte ich spielen, so als Ersatz für die daheim wartende. Und dann kam Vater am Wochenende mit dem Fahrrad von Berlin nach Dessau – mit aufgeschlagenen Knien, war er doch bei der Abfahrt von einem Deich falsch ausgestiegen.
Fünfzig Jahre später versuchte ich mit dem Auto aus dem Harz kommend, irgend wo so ein Fleckerl Erinnerung an das Heute knüpfen zu können, vergeblich. Und im vorigen Jahr fuhren mein Spatz und ich durch Dessau, stellten den Wagen am Bahnhof ab, pilgerten ein wenig durch Bauhaus und so – Tja so bleiben eben für mich meine ganz persönlichen Bilder in Erinnerung.

ortwin

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