Der beschwerliche Weg in die neue Heimat


Der beschwerliche Weg in die neue Heimat

Das Auswanderer Museum BallinStadt auf der Veddel

Es war wieder einmal soweit. Auf diesen Tag hatte ich mich gefreut und war gespannt, wie ich ihn erleben würde, denn ich kam an einen Ort zurück, an dem ich vor fast 10 Jahren schon einmal mit Mitgliedern des HamburgTreff war. Damals hatte ich auch geschrieben über die 
BallinStadt – das Auswanderer-Museum in Veddel

Die Ausstellung im Auswanderer-Museum BallinStadt wurde in 2016 umgebaut und ich war nun sehr neugierig, was uns, Syltsonne, Brigitte H. Bolliane, Christine Gerdum, frali und mich erwartete.

Umgebaut – nichts war mehr so, wie ich es in Erinnerung hatte, so empfand ich es, als ich erst einmal den Weg durch einen kleinen Teil der Sonderausstellung „50 Jahre Sesamstraße“ gefunden hatte.
 

Hinweis auf 50 Jahre Sesamstraße

 
Und wieder war ich überwältigt. Vor 10 Jahren hatten mich die Ausstellungsstücke fasziniert, die zusammengetragen worden waren - es waren über 1500 Exemplare. Dieses Mal die Art, wie die Ausstellung sich präsentierte und was sie in mir auslöste.

Gefesselt wurde mein Blick von der Gestaltung der Wände. Groß wurden dort Statistiken präsentiert, Informationen zu den Wanderbewegungen der Menschen
 
 
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In jedem Raum in großen Buchstaben Aussagen, warum die Menschen den Weg aus der alten in die neue Welt antreten wollten.

Da war die Hoffnung auf mehr persönlicher Freiheit
 
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die wirtschaftliche Unsicherheit im Heimatland
 
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das Staunen (verbunden mit etwas Skepsis) auf die Aussicht, dass sich ein Traum erfüllt
 
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oder die kindliche Sehnsucht nach einem glanzvollen Leben
 
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Sie hatten Mut, diese Menschen - oder waren schier verzweifelt…


Millionen Menschen haben alles aufgegeben für die Aussicht auf ein besseres Leben in einem anderen Land. Auf großen Tafeln wird ein kurzer Einblick in die Geschichte der Auswanderung gegeben. Hier eine Zusammenfassung der Bewegung im „Langen 19. Jahrhundert“ in dem ca. 60 Millionen Auswanderer Europa verließen

 
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Interessant war für mich auch der Hinweis, dass Russland 1763  das erste Land der Welt war, welches ein Amt für Migrationsmanagemant hatte. Das war mir so nicht bekannt.

 
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In einem Aufsatz von Maria Nozhenko zur Russischen Förderation "Historische Entwicklung und aktuelle Trends"  der auf der Seite der Bundeszentrale für politische Bildung (bpb) veröffentlich ist, wird dazu gesagt:
 
Vermutlich war Russland das erste Land auf der Welt, das 1763 ein eigenes Amt für Migrationsmanagement ins Leben rief. Hauptanliegen dieser Behörde war es, die Migration von Westeuropa nach Russland zu fördern. Diese Politik führte dazu, dass sich Tausende von Immigranten, in ihrer Mehrheit gut ausgebildet (z.B. Wissenschaftler, Professoren, Offiziere, Ingenieure, Architekten und Geschäftsleute), in Russland niederließen. Den bedeutendsten Anteil der Einwanderer stellten Deutsche. Historischen Quellen zufolge lebten Ende des 19. Jahrhunderts ungefähr 1,8 Millionen Deutsche im russischen Zarenreich.
Die Werbung des Amtes für Migration hat Erfolg.


Von den Auswandererhallen ging es dann auf das Schiff. Erschreckend, die Schilderungen der Passagen nach Übersee, über die informiert wurde:

Zu Zeiten der ersten Auswandererwelle ab den 30.er-Jahren des 19. Jahrhunderts boten sich für die Atlantiküberquerung zumeist nur einfach Frachten-Segler an. ... die in ihrem Laderaum 200 bis 300 t Fracht befördern und Platz für 60 bis 80 Auswanderer bieten.
Die Reise dauert in der Regel sechs- bis acht Wochen, oft inmitten der übrigen Fracht als eine Art Beiladung. An Bord erhalten sie nur streng rationiertes Trinkwasser. Für alles andere müssen sie selbst sorgen: Verpflegung für mehrere Wochen, Matratzen, Blechgeschirr.“

"Später wurden dann Zwischendecks eingebaut, also ein Boden der zwischen dem Oberdeck und Laderaum eingezogen und mit zweistöckigen Kojen eingerichtet wurde. So war man in der Lage, die Plätze für Passagiere auf den Segelern deutlich zu erhöhen. Diese Decks wurden für die Hinfahrt eingebaut und wenn der Frachter zurückfuhr wieder ausgebaut, damit er mehr Fracht aufnehmen konnte."


 
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Als ich das las, versuchte ich mir vorzustellen wie ich mich gefühlt hätte, wenn ich irgendwo zwischen Säcken und Tonnen einen Platz gefunden habe, um die Fahrt zu überstehen. Auf einem Schiff, nicht wissend, wo ich mich gerade befinde, mit Angst im Bauch, wenn es stürmt und die Wellen das Schiff hoch heben und dann in das Wellental fallen lassen. Kaum Wasser zum Trinken, das dann zum Ende der Reise hin sicher sehr faulig schmeckte. Ich stellte mir vor, wie die Menschen miteinander umgingen, wenn sie hungrig wurden, weil der Proviant, den sie mitgebracht hatten, zur Neige ging. Ich fragte mich, wo sie ihre Notdurft verrichteten, wie wohl die Luft in dem Frachtraum war, welche Möglichkeiten es gab, wenn sie krank wurden, was wenn sie starben?

So ein Schiff war auch das Segelschiff  „Deutschland“, das von der Hapag 1848 in Dienst gestellt wurde und regelmäßig nach New York fuhr. 200 Auswanderer konnten auf ihm untergebracht werden.
 
 
Dreimast-Schiff Deutschland


Das Geschäft mit den Auswandern lief gut bis zur Cholera-Epidemie im Jahr 1892, als die Grenzen zu Hamburg geschlossen wurden, kein Schiff mehr den Hafen anlaufen oder verlassen durfte - und die Wirtschaft einbrach. Nicht ganz unschuldig waren die Kaufleute, denn sie verhinderten seinerzeit durch Intervention (mit Verweis auf die wirtschaftlichen Nachteile), dass durch den Hamburger Senat rechtzeitig Maßnahmen gegen die Verbreitung der Cholera ergriffen wurden.
Hier beginnt dann die Geschichte von Ballin, der seit 1889 die Hapag führte. Natürlich ist auch ihm ein Teil der Ausstellung gewidmet, mit Informationen und Ausstellungsstücken:

 
Ausstellungsstücke zu Ballin.jpg
Er erreichte durch Verhandlungen mit dem Senat der Stadt, dass die  Emigranten wieder nach Hamburg einreisen durften – unter der Bedingung, dass sie sich vor den Toren der Stadt einer medizinischen Kontrolle unterziehen.
Das Geschäft mit den Auswandern blühte wieder auf. Die Stadt verpflichtete die Hapag auf eigene Kosten Auswandererhallen zu errichten, da nicht genug private Unterkunftsmöglichkeiten in der Stadt vorhanden waren. Diese wurden zunächst im Hafengelände am Amerika Kai errichtet. Sehr schnell waren diese überfüllt, reichten nicht aus für die vielen Menschen die von Hamburg aus in die neue Welt reisen wollten. Es wurde die Idee Ballins, eigene Auswandererhallen zu errichten, auf der Elbinsel Veddel umgesetzt. Sogar mit einem Gleisanschluss, damit die Emigranten direkt zu den Auswandererhallen gebracht werden konnten und dessen Gelände sie bis zur Abreise nicht mehr verlassen durften. Die medizinischen Kontrollen wurden dann dort durchgeführt.
Die ersten Gebäude entstanden 1901. Schon 1907 waren es 30 Gebäude - eine Stadt in der Stadt mit Schlaf- und Wohnbaracken, Speisesälen, einer Krankenstation, einer Kirche, einer Synagoge (viele der Emigranten waren  jüdische Glaubens und konnten so in separaten Häusern untergebracht werden), einem Musikpavillion und einem Geschäft.

Für die Unterbringung mussten die Auswanderer pro Person und Tag zwei Mark bezahlen. Die Verpflegung durch die Großküche war im Preis inbegriffen.

 
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Die Passagierlisten der Reedereien, mit denen die Auswanderer von Hamburg aus nach Übersee fuhren, liegen alle noch vor. Jeder kann sie einsehen für Nachforschungen. Sie enthalten neben dem  Namen des Schiffes, das Abfahrtsdatum und den Zielhafen, die Namen des Reisenden/Auswanderers, dessen Alter, den Beruf, die Konfession, den Familienstand, die Anzahl der mitreisenden Kinder und, den Herkunftsort.

Zur digitalen Suche: Hamburger Passagierlisten, 1850-1934

 
Passagierliste
 


Emigration und Migration hört ja nicht auf. Die Geschichte geht immer weiter, die Gründe dafür sind noch immer in der Welt – auch darauf wird in der Ausstellung mit großformatigen Hinweisen eingegangen…

 
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Und was erwartete die Auswanderer, wenn sie in Amerika angekommen waren?

Fragen über Fragen, hier beispielhaft schwarz auf weiß. Ich habe sie nicht gezählt, die Fragen die ausgebreitet vor mir lagen, es waren so viele.

 
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Ich fühlte mich bedrängt und hilflos, als ich hier stand und mir, wie ich aufgefordert wurde,  vorstellte, wie ich von Bord eines Schiffes ging, irgendwo zwischen tausend anderen Auswanderern die es befördert hatte, meine wenigen Gepäckstücke fest umklammert und sorgsam darauf bedacht, den Kontakt zu meiner Familie, meinen Kindern, den Personen nicht zu verlieren, die mir in dem fremden Land die einzigen Vertrauten waren...


Eigentlich hätte ich mehr Zeit in der Ausstellung verbringen sollen, mich intensiver mit dem auseinandersetzten müssen, was dort an Informationen geboten wird.
Da wir aber schon eine sehr lange Zeit hier verbracht hatten, unsere Aufnahmefähigkeit und auch die Aufmerksamkeit nachließen, verabredeten wir uns zum Essen im Restaurant. Der Gedankenaustausch beim Mittagessen war ein schöner Abschluss für ein gelungenes Beisammensein der Mitglieder des Treffs Hamburg und Umgebung.

Das nächste Treffen ist für den 28.06. vorgesehen.
Ich freue mich darauf.

Angelika
(tranquilla)



PS: Im Auswanderermuseum ist auch noch eine Sonderausstellung zu sehen: 50 Jahre Sesamstraße - darüber will ich berichten, wenn ich die weitere Ausstellung im Museum für Kunst und Gewerbe gesehen habe,
 

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Kommentare (9)

ehemaliges Mitglied

Danke für deine umfangreichen Informationen, liebe Tranquilla. Als passives Mitglied der Gruppe freue ich mich, dass du so rührig bist.
Von dem Museum habe ich schon vorher mal gehört, bin aber selbst noch nie da gewesen.
Hatte ja mal meiner Lehrzeit viel im Hafen zu tun jund da bekommt man Fernweh. Aber spezielle Auswanderschiffe gab es da nicht mehr. Eine frühere KOLLEGIN ist sehr jung mit 22 Jahren nach Amerika (NY) ausgewandert und hatte versprochen, sich mal zu melden.
Sie hat dann einmal geschrieben und sich bitter beschwert, welch schmutzige Stadt New York seinerzeit gewesen sei, Dann hörte ich leider nichts mehr von ihr.
Habe lange nachgedacht, wie es ihr wohl dort weiter ergangen ist!

Ich wünsche dir und deiner Gruppe viele neue Erkenntnisse und Spaß!

Herzliche Grüße nach Hamburg

von rehse

tranquilla

@rehse  
Sehr herzlich danke ich dir für deinen Kommentar. Schade, dass du nichts mehr von deiner Kollegin gehört hast. Ich kannte zwei Danen, deren Verwandten such ausgewandert waren - in die USA und nach Brasilien. Leider sind die Damen verstorben. Hätte jetzt gerne mehr von ihren Verwandten erfahren, jetzt wo ich weiß, wie beschwerlich der Weg war.
Herzliche Grüße gehen zu dir
von Angelika

tranquilla

 💗lich bedanke ich mich für die positiven Reaktionen auf den Bericht über die Ausstellung des Auswanderer-Museum BallinStadt bei

@Claudine
@Manfred36
@chris33
@margit
@Maslina
@Muscari

Es freut mich, dass der Bericht euer Interesse fand und ihr in gelesen habt.

Ich wünsche Euch einen guten Tag
tranquilla

Christine62laechel


Ich bin Auswanderin selbst; und war es eigentlich noch lange, bevor ich mein ehemaliges Heimatland auch wirklich verlassen konnte (früher hieß es sogar: bevor ich es durfte). Ich habe Deinen Eintrag mit viel Interesse gelesen, und mir die Bilder angeschaut. Unterschiedliche Gründe und Folgen, der gleiche Traum aber immer im Hintergrund.

Mit Grüßen
Christine

tranquilla

@Christine62laechel  

...der gleiche Traum aber immer im Hintergrund.

 

Wir alle träumen den Traum von einem besseren Leben, irgendwann. Wenn keine Aussicht besteht, dass dieser im Land im dem man lebt erfüllt werden kann, ist das schon bitter.
Ich kann dein Schicksal nicht nachfühlen, nur versuchen mich einzufühlen. Meine Mutter hat auch ihre Heimat verlassen müssen.
Ich hoffe, du bist gut angekommen.

Danke für dein Interesse und deinen Kommentarr
Ich sende dir herzlich Grüße und wünsche alles Gute
Angelika

Karl

Liebe tranquilla

Auch ich habe diesen Bericht zu dem Museumsbesuch mit großem Interesse gelesen. Herzlichen Dank dafür.

Karl

tranquilla

@Karl  😊

es freut mich sehr, dass du den Blog gelesen hast. Ich hätte so viel mehr schreiben können, zu den Wegen und Schicksalen der Auswanderer - erschüttende Berichte fand ich im Internet. Das hätte aber den Rahmen des Blogs gesprengt, welcher ja nur ein Bericht über die Ausstellung sein sollte.

Es lohnt sich, das Auswanderer-Museum BallinStadt aufzusuchen - aber man sollte Zeit mitbringen können. Jedes Museum beansprucht Zeit, auch dieses. Weil es Gedanken anstößt, wenn man sich darauf einläßt, sich mit den Schicksalen der Menschen, die ihre Heimat verlassen, auseinander zu setzten. Meine Hochachtung vor allen, die diesen Weg gegangen sind und auch in unserer Zeit gehen. Ich hoffe, dass wir alle vor so einem Schicksal bewahrt bleiben.

Sehr herzlich grüßt
Angelika

Roxanna

Danke tranquilla für diesen Bericht, den ich mit großem Interesse gelesen habe. Würde ich nicht so weit weg wohnen, ginge ich auf jeden Fall auch mal in dieses Museum. Was Menschen für Strapazen auf sich genommen haben, um ein besseres Leben führen zu können und doch hat sich das wohl nicht immer erfüllt.

Lieben Gruß
Roxanna

tranquilla

@Roxanna  😊

es hat sich nicht immer gelohnt, das stimmt. Bei der Erstellung des Blogs habe ich auch sehr viel im Internet nachgelesen, zu Hause habe ich ja die Zeit. Manche Schicksale waren erschütternd und könnten fassungslos machen.
Was mich aber nur den Kopf schütteln läßt ist, dass damals wie heute Menschen angeworben werden, damit es der Wirtschaft und der  Bevölkerung im eigenen Land gut geht - oftmals zu sehr niedrigen Löhnen, für einfache Arbeiten - und sie dann ausgrenzt werden, weil sie ja nicht Angehörige der eigenen Volksgruppe sind.

Vielen Dank, Rexona, für dein Interesse und deinen Kommentar. Ich habe mich sehr darüber gefreut.
Liebe Grüße und ein frohes Pfingstfest.
Angelika
 


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