Das spanische Heilwässerchen
"Hier ist RADIO ALEMAN DE ESPANA! Ihr deutschsprachiger Radiosender für Spanien und alle Ferieninseln! Sie hören wie immer um diese Zeit Nachrichten, Bundesligaergebnisse und Ausflugstipps. Ihr Radio in allen Lebenslagen...!" Als der Moderator noch mitten in der Ansage ist, klingelt bereits das Hörertelefon. Der Moderator schaltet auf Sendung.
„Moin, moin!“ Eine polternde Männerstimme am anderen Ende der Leitung lässt die Frequenzen vibrieren. „Hören Sie mal, junger Mann vom Radio! Hier spricht Haselmann, Friedhelm Haselmann! Erster Vorsitzender vom Kegelklub ‚Alle Neune’ aus Gelsenkirchen! Wir, also ich und die Kumpels vom Klub, wir sitzen hier beim Frühstück in unserem Hotel gerade gemütlich beisammen und diskutieren über ein ernsthaftes Problem…“
„Ja…?!“
„Also“, sagt Herr Haselmann, „Das will ich Ihnen erklären!" Haselmann macht eine Atempause. "Also, das war so: Wir haben doch gestern oben in den Bergen ein Dorf entdeckt, und wissen Sie was? Nix los in dem Kaff! Echt am Arsch der Welt! Aber dort stehen die Einheimischen in langer Warteschlange geduldig an einem Brunnen und füllen sich diese Fünfliter-Plastikkanister mit Wasser ab, mit so einer andächtigen Miene stehen die da geduldig und brav wie in der Kirche, - und deshalb dachten wir, das muss sich doch bestimmt um ein besonderes Wässerchen handeln, vielleicht um eine Heilquelle, also um Wasser mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, denn warum sonst sollten die Dorfbewohner dort Schlange stehen als für ein gesundes Quellwässerchen, und wir wollten mal fragen …?!“
Der Kegelbruder macht eine erwartungsvolle Pause. Der Radiomoderator überlegt. Sollte er – seiner journalistischen Sorgfaltspflicht entsprechend – den Anrufer und alle Kegel- und sonstigen Brüder aufklären und mit der Wahrheit konfrontieren? Die Wahrheit ist, dass es auf der Insel kaum noch Trinkwasser gibt, denn das bisschen Grundwasser wird in den Badewannen der Hotels und den Pools der Bungalows vergeudet, und das Meerwasser dringt in das Grundwasser ein und lässt es salzig werden, während die Bauern in den Bergen von der Inselmafia nur limitierte Wasserkontingente für teures Geld zugeteilt bekommen und das Trinkwasser knapp ist und die Dörfler mit Kanistern und Plastikflaschen an den letzten Quellen anstehen, um wenigstens ihr Vieh, die Kinder und den Haushalt mit dem letzten bisschen trinkbarem Nass zu versorgen. Die Dörfler wissen, sie werden seit vielen Jahren verarscht und wie die Hühnchen ausgenommen, aber es ändert sich nichts, denn sie sind machtlos gegen die Wassermafia, die ihre Strohmänner in allen Verwaltungsstellen und Gemeinderäten sitzen hat.
Aber den Radiomoderator plagte weder das journalistische Gewissen, noch die Wahrheit, sondern einzig die Höhe der Einschaltquoten und die Anzahl der Werbespots bei seinem Radiosender. Auch saß ihm ein bisschen der Schalk im Nacken und er überlegte, wie weit er sich einen Scherz erlauben und seine Hörer ein bisschen auf den Arm nehmen könnte. Außerdem ist der Kunde König und der Urlauber hat immer Recht!
Also warum sollte er einen ganzen Kegelklub enttäuschen, wo der gute Mann aus Gelsenkirchen doch selbst die Möglichkeit in Betracht gezogen hat, ja sogar sicher war, es handele sich um eine Heilquelle. Wie oft hört man von Wallfahrtsorten, die erst aus dem Rinnsal eines trägen Bächleins oder ein paar Tropfen auf Felsgestein bestanden, und plötzlich durch wundersame Erkenntnis zum Heiligtum und Pilgerort geworden waren.
Darum sprach der Radiomoderator folgenden schicksalsschweren Satz: „Lieber Herr Haselmann, Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen! Eigentlich ist es ja ein Geheimnis, aber wir wollen es jetzt lüften, das Geheimnis: Dieses heilige Wasser dort oben in der Dorfquelle hat tatsächlich die Kraft, Gischt und Rheuma, Arthrose und viele andere Zipperlein zu heilen. Es soll auch gegen Impotenz und Kinderlosigkeit sowie gegen Nieren- und Leberleiden helfen…!“
Am anderen Ende der Leitung herrschte aufmerksames Schweigen und der Moderator fuhr fort: „Am besten, Sie mieten sich bei der Autovermietung ‚Germancar’ ein Auto, bewaffnen sich mit möglichst vielen Plastikkanistern und begeben sich in das Bergdorf zu der Quelle mit dem wundersamen Heilwässerchen, um es abzufüllen und zu Hause zu genießen!“
Da die Autovermietung ‚Germancar’ zu den Werbekunden des Radiosenders gehörte, rief der Moderator sofort dort an und vereinbarte für ihn eine Provision für jeden Mietwagen, der in den nächsten acht Tagen von Deutschen angemietet werden würde. Auf Grund seiner Empfehlungen wurden in den folgenden Tagen tatsächlich viele, viele Autos gemietet, es kam sogar zu einem Engpass bei Mietwagen, und unzählige Touristen machten sich ins Bergdorf auf und warteten brav in der Menschenschlange an der Quelle, füllten Wasser in viele Plastikflaschen und die Dörfler wunderten sich und dachten, jetzt sind die Touristen also völlig übergeschnappt. Es kam sogar zu Rangeleien, weil sich einige Deutsche, die meinten besonders krank zu sein und ihren Behindertenausweis und die AOK-Karte vorzeigten, vordrängeln wollten.
Etliche Wochen später bekam der Radiomoderator ein Paket aus Gelsenkirchen; darin einen geräucherten westfälischen Schinken und eine Flasche Korn und in dem beiliegenden Brief schrieb Herr Haselmann, der Vorsitzende des Kegelklubs aus Gelsenkirchen:
„Lieber Freund! Wir möchten uns ganz herzlich für Ihren Tipp mit der Heilquelle bedanken. Wir haben fünf Kanister abgefüllt und mit nach Deutschland genommen, und die ganze Familie trinkt regelmäßig vor jeder Mahlzeit ein Glas dieses Wundermittels und ich und meine Frau haben kein Rheuma und keine Kopfschmerzen mehr, sexuell klappt es auch wieder bei mir, meine Frau ist sogar schwanger geworden und überhaupt geht es unserer Gesundheit jetzt glänzend und deshalb möchten wir Ihnen einen Geschäftsvorschlag unterbreiten: Wir eröffnen ein Importgeschäft und werden Ihr Heilwasser in ganz Deutschland oder sogar weltweit vermarkten, damit alle Menschen in den Genuss dieses spanischen Wunderwassers kommen. Ist das nicht eine geniale Geschäftsidee? Bitte teilen Sie uns doch Näheres über eine Zusammenarbeit und die Lizenzbedingungen mit!“
*
Michael Kuss (Berlin)
„Moin, moin!“ Eine polternde Männerstimme am anderen Ende der Leitung lässt die Frequenzen vibrieren. „Hören Sie mal, junger Mann vom Radio! Hier spricht Haselmann, Friedhelm Haselmann! Erster Vorsitzender vom Kegelklub ‚Alle Neune’ aus Gelsenkirchen! Wir, also ich und die Kumpels vom Klub, wir sitzen hier beim Frühstück in unserem Hotel gerade gemütlich beisammen und diskutieren über ein ernsthaftes Problem…“
„Ja…?!“
„Also“, sagt Herr Haselmann, „Das will ich Ihnen erklären!" Haselmann macht eine Atempause. "Also, das war so: Wir haben doch gestern oben in den Bergen ein Dorf entdeckt, und wissen Sie was? Nix los in dem Kaff! Echt am Arsch der Welt! Aber dort stehen die Einheimischen in langer Warteschlange geduldig an einem Brunnen und füllen sich diese Fünfliter-Plastikkanister mit Wasser ab, mit so einer andächtigen Miene stehen die da geduldig und brav wie in der Kirche, - und deshalb dachten wir, das muss sich doch bestimmt um ein besonderes Wässerchen handeln, vielleicht um eine Heilquelle, also um Wasser mit außergewöhnlichen Fähigkeiten, denn warum sonst sollten die Dorfbewohner dort Schlange stehen als für ein gesundes Quellwässerchen, und wir wollten mal fragen …?!“
Der Kegelbruder macht eine erwartungsvolle Pause. Der Radiomoderator überlegt. Sollte er – seiner journalistischen Sorgfaltspflicht entsprechend – den Anrufer und alle Kegel- und sonstigen Brüder aufklären und mit der Wahrheit konfrontieren? Die Wahrheit ist, dass es auf der Insel kaum noch Trinkwasser gibt, denn das bisschen Grundwasser wird in den Badewannen der Hotels und den Pools der Bungalows vergeudet, und das Meerwasser dringt in das Grundwasser ein und lässt es salzig werden, während die Bauern in den Bergen von der Inselmafia nur limitierte Wasserkontingente für teures Geld zugeteilt bekommen und das Trinkwasser knapp ist und die Dörfler mit Kanistern und Plastikflaschen an den letzten Quellen anstehen, um wenigstens ihr Vieh, die Kinder und den Haushalt mit dem letzten bisschen trinkbarem Nass zu versorgen. Die Dörfler wissen, sie werden seit vielen Jahren verarscht und wie die Hühnchen ausgenommen, aber es ändert sich nichts, denn sie sind machtlos gegen die Wassermafia, die ihre Strohmänner in allen Verwaltungsstellen und Gemeinderäten sitzen hat.
Aber den Radiomoderator plagte weder das journalistische Gewissen, noch die Wahrheit, sondern einzig die Höhe der Einschaltquoten und die Anzahl der Werbespots bei seinem Radiosender. Auch saß ihm ein bisschen der Schalk im Nacken und er überlegte, wie weit er sich einen Scherz erlauben und seine Hörer ein bisschen auf den Arm nehmen könnte. Außerdem ist der Kunde König und der Urlauber hat immer Recht!
Also warum sollte er einen ganzen Kegelklub enttäuschen, wo der gute Mann aus Gelsenkirchen doch selbst die Möglichkeit in Betracht gezogen hat, ja sogar sicher war, es handele sich um eine Heilquelle. Wie oft hört man von Wallfahrtsorten, die erst aus dem Rinnsal eines trägen Bächleins oder ein paar Tropfen auf Felsgestein bestanden, und plötzlich durch wundersame Erkenntnis zum Heiligtum und Pilgerort geworden waren.
Darum sprach der Radiomoderator folgenden schicksalsschweren Satz: „Lieber Herr Haselmann, Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen! Eigentlich ist es ja ein Geheimnis, aber wir wollen es jetzt lüften, das Geheimnis: Dieses heilige Wasser dort oben in der Dorfquelle hat tatsächlich die Kraft, Gischt und Rheuma, Arthrose und viele andere Zipperlein zu heilen. Es soll auch gegen Impotenz und Kinderlosigkeit sowie gegen Nieren- und Leberleiden helfen…!“
Am anderen Ende der Leitung herrschte aufmerksames Schweigen und der Moderator fuhr fort: „Am besten, Sie mieten sich bei der Autovermietung ‚Germancar’ ein Auto, bewaffnen sich mit möglichst vielen Plastikkanistern und begeben sich in das Bergdorf zu der Quelle mit dem wundersamen Heilwässerchen, um es abzufüllen und zu Hause zu genießen!“
Da die Autovermietung ‚Germancar’ zu den Werbekunden des Radiosenders gehörte, rief der Moderator sofort dort an und vereinbarte für ihn eine Provision für jeden Mietwagen, der in den nächsten acht Tagen von Deutschen angemietet werden würde. Auf Grund seiner Empfehlungen wurden in den folgenden Tagen tatsächlich viele, viele Autos gemietet, es kam sogar zu einem Engpass bei Mietwagen, und unzählige Touristen machten sich ins Bergdorf auf und warteten brav in der Menschenschlange an der Quelle, füllten Wasser in viele Plastikflaschen und die Dörfler wunderten sich und dachten, jetzt sind die Touristen also völlig übergeschnappt. Es kam sogar zu Rangeleien, weil sich einige Deutsche, die meinten besonders krank zu sein und ihren Behindertenausweis und die AOK-Karte vorzeigten, vordrängeln wollten.
Etliche Wochen später bekam der Radiomoderator ein Paket aus Gelsenkirchen; darin einen geräucherten westfälischen Schinken und eine Flasche Korn und in dem beiliegenden Brief schrieb Herr Haselmann, der Vorsitzende des Kegelklubs aus Gelsenkirchen:
„Lieber Freund! Wir möchten uns ganz herzlich für Ihren Tipp mit der Heilquelle bedanken. Wir haben fünf Kanister abgefüllt und mit nach Deutschland genommen, und die ganze Familie trinkt regelmäßig vor jeder Mahlzeit ein Glas dieses Wundermittels und ich und meine Frau haben kein Rheuma und keine Kopfschmerzen mehr, sexuell klappt es auch wieder bei mir, meine Frau ist sogar schwanger geworden und überhaupt geht es unserer Gesundheit jetzt glänzend und deshalb möchten wir Ihnen einen Geschäftsvorschlag unterbreiten: Wir eröffnen ein Importgeschäft und werden Ihr Heilwasser in ganz Deutschland oder sogar weltweit vermarkten, damit alle Menschen in den Genuss dieses spanischen Wunderwassers kommen. Ist das nicht eine geniale Geschäftsidee? Bitte teilen Sie uns doch Näheres über eine Zusammenarbeit und die Lizenzbedingungen mit!“
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Michael Kuss (Berlin)
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