Da stimmt doch was nicht!


Da stimmt doch was nicht!
Klein oder groß? Jung oder alt?

Sobald die lieben Kleinen den Windelhöschen entstiegen sind, beeilen sie sich groß zu werden. Beizeiten stecken die jungen Mütter die so geliebten Nuckelflaschen weg und drücken den Kleinen eine Tasse in die Hand. Jetzt sind sie schon ein Jahr alt, groß genug, um nicht mehr gefüttert zu werden.
Klein Hansi plappert bald: „‚leine essen, Hansi is groß!“ Jackeanziehen kann er schon selber, er geht doch nun stolz in den Kindergarten. Bald kommt er in die große Gruppe, das sind die ältesten Kinder.
Dann lehrt man ihm das Schuhe binden. Du bist schon groß, kommst nun in die Schule, du musst es können! Du bist groß, du kannst das! Und so weiter.
Das Streben nach dem größten, dem ältesten... es steigert sich bis zum 18. Lebensjahr. Nun kann man endlich ohne Bedingungen und Einschränkungen ins Kino gehen. Man ist groß, erwachsen, wahlberechtigt. Alt fühlt man sich nicht. Noch nicht.
Dann folgen Diskozeit. Abitur, Studium oder Lehre....
Und jetzt: 22 Jahre und zu alt für die Disko? Viel zu alt!

Jetzt:
Zeit zum Vernünftigwerden, zum Geld verdienen! Das geht so:
Bewerbungen schreiben, einige, doch immer optimistisch und voller Hoffnung bleiben, weil, man ist doch jung, dynamisch und flexibel. Lebenserfahrung? Sowieso! Probleme: keine!
Eh, was will die Omi mit 43 auf dieser Stelle? Traut sich ja was! Sollte doch lieber die Enkel hüten! Hat sie keinen Mann, der sie ernährt? Das ist doch ein junges Team, sehe ich das richtig?
Na also, der Start hat geklappt, Hans hat genug Arbeit für einen 24- Stunden-Tag, auch genug Geld. Ärger garantiert...

Später:
Die Familie hängt ihm wie ein Klotz am Bein beim beruflichen Aufstieg. Stress daheim! Stress im Büro! Das Geltungsbedürfnis hämmert hart: Ein großes Auto muss her, stärker, schneller soll es sein, wie sieht die Finanzierung bei Mercedes aus?
Immer noch Miete zahlen? Das kann nicht sein. Ein eigenes Haus rechnet sich, aber nicht zu klein, Platz genug muss sein für den Hobbyraum, die Sauna und die Bar für die Partys im Freundeskreis! Es gibt doch Kredite.
Die Frau plant den Urlaub. Keine Zeit! Wann denn? Wohin denn? Sie will den Urlaub, wenigstens einmal im Jahr will sie ihn, den Mann und Vater, für die Familie haben – greifbar. Also wohin?
Zur teuersten Ferienzeit in entfernteste Länder, Dominikanische Republik, Ägypten, China oder Philippinen? Aktivurlaub, man muss doch was erleben, faul rum liegen geht nicht! Aktion ist Pflicht.
Leben im Dispokredit, macht nichts, machen alle.
Olala, Fitness fast vergessen, also trimm dich! Dreimal die Woche ins Studio: Gewichte, Hanteln und was sonst noch. Ach so, Uwe nebenan joggt jetzt regelmäßig morgens vor der Arbeit. Da lauf ich doch mit, mein Kreislauf soll sich freuen. 30 Zigaretten am Tag sind sowieso zuviel, da muss man die Lungen auslüften. Puh, puhhh, ächz, ächz... nur keine Schwäche zeigen, Du wirst doch wohl nicht alt?

Alt! Das ist das Stichwort. Es traf mich hart und unmissverständlich an meinem 30. Geburtstag. Nun bin ich alt, kein Teeny, kein Twenty mehr – einfach alt! Ein bisschen müde auch, wenn ich ehrlich bin! Aber dagegen gibt’s ja was. Schlafen? Nein, das meinte ich nicht. Zeit zum Schlafen habe ich gar nicht!

Ein paar Jahre später:
Tatütata – Dringende medizinische Hilfe – Intensivstation – der erste Herzinfarkt!
Kürzer treten, sagt der Arzt, gesünder ernähren, nicht rauchen, Stress vermeiden!
Ich bin 35! Ziemlich alt, krank dazu.
Ehe inzwischen geschieden, Kinder nur am Wochenende. Ein Sonntagsvater mit schlechtem Gewissen. Sozusagen wieder Single. War’s das?

So betrachtet
ist das nur eine Variante. Die Kleinen lässt man nicht klein sein und die Jungen nicht jung. Sie sind schon alt, während sie noch jung sind. Warum kann man nicht in Ruhe groß werden, im Spiel reifen und lernen und sich jung fühlen? So jung wie man ist?

Man lässt auch die Alten nicht in Ruhe alt werden. Sie müssen sich jung fühlen, zeigen, dass sie jung sind. Den engen Rock hoch schürzen 10 cm übers alte Knie, die Haare färben oder super blondieren, sich mit Modeschmuck behängen und immer dran bleiben an der Mode und den neuesten Diäten.
Wer Geld hat, lässt sich liften oder in teuren Schönheitsfarmen verwöhnen....
Sport auf jeden Fall, am besten Solarium, Sauna und Fitnessstudio zugleich. Bloß keine Ruhe geben, immer aktiv sein und bleiben! Wer rastet, der rostet!
Die großen Filmstars stehen mit über 90 noch auf der Bühne. Sie sagen, sie brauchen das, um jung zu bleiben, wenigstens geistig – also im Kopf. Und ich bange immer um ihren guten Abgang, dass sie nicht stürzen. Ich verfolge mit gemischten Gefühlen, wenn man sie hereinführt und auf einem Stuhl platziert. Ich sorge mich, dass sie mit dem Text ja nicht hängen bleiben und kann mich nicht auf ihren Vortrag konzentrieren. Aber das ist nun mein Problem. Die Künstler brauchen die Bühne, ja!
Kennen sie keinen geruhsamen Lebensabend mit oder ohne Familie? Können sie sich nicht an einem herrlichen Morgen an der strahlenden, duftenden, blühenden Natur und dem Vogelgesang erfreuen, auf der Terrasse Kaffee trinken, einen Spaziergang im eigenen Garten oder im Park machen? Den Hund mitnehmen? Cafebesuche, Plauderstündchen mit wem auch immer, ein Bummel durch die Fußgängerzone, einen lieben Freund einladen, ein gutes Gläschen Wein zusammen trinken – wie schön! - und über ein erfülltes Bühnenleben sprechen, anstatt es ohne Ende zu praktizieren unter welchen Bedingungen und Vorbereitungen auch immer? Die Menschen werden immer älter.
Sie aber werden jung geblieben sehr alt sterben, vielleicht mit 100?
Man wird sie bewundern, belächeln oder bemitleiden...

Zum Beispiel ich:
Ich bin alt. Nein, so unzweideutig darf ich das nicht sagen! Ich gehöre zu den jungen Senioren. Diese Altersgruppe startet mit 55, hurra!
Ich verstehe, dass unsere Jugend denkt, wir wären nun fernab von Gut und Böse und könnten Sexualität nicht mehr buchstabieren. Die Jungen wissen das. Wir Alten lächeln darüber – und tun es!
Ich bin also eine junge glückliche Seniorin. Glücklich, weil ich nicht arbeite, niemand meinen Alltag bestimmt, obwohl ich nach dem Gesetz noch 10 Jahre arbeiten sollte – bis 65. Also sagen alle meine Freunde und Gönner: Du bist noch zu jung, um dich schon zur Ruhe zu setzen! Bin ich das?
Wie früh haben sich da manche Frauen in den alten Bundesländern zur Ruhe gesetzt. Noch ein paar Jährchen halbtags, nachdem die Kinder aus dem Gröbsten waren – und Schluss. Vater konnte alle ernähren.
Ich bin also alt und so wie ich das sage, werde ich nicht von der Jugend belächelt. Sie gibt mir Recht!
Es steht mir doch frei über mein Alter zu denken, was ich will und fühle, oder nicht?
Ich will das Altwerden in Ruhe und Gelassenheit angehen, ein bisschen nachdenken, Pläne machen, mich freuen, dass ich noch gesund bin.
Obwohl, es schmerzt schon jeden Tag etwas: Die Füße beim Gehen, die Knie beim Hocken, der Rücken beim Bücken. Aber da darf ich nicht darüber sprechen. Mein Rudolf ist 10 Jahre älter, und er sagt: „Sei still! Du bist noch nicht alt!“ Da haben wir’s: Also jung!
Es steht demnach fest: Ich kann nicht alt sein, wenn ich alt bin – nein, ich habe jung zu sein. Und weh tun darf mir auch nichts. Da erfahre ich so nebenbei, dass allen älteren Menschen jeden Tag etwas weh tut, das Bücken schwer fällt, die Bandscheiben schmerzen. Nur sprechen soll keiner drüber. Diskretion.
Warum? Ich verstehe das nicht. Und was sagt die 88-jährige Tante zu mir? Du bist doch noch jung!

Wann fängt eigentlich das Alter an?
O.k. ich kenne den Spruch: Jeder ist so alt wie er sich fühlt.
Aber das wird ja widerlegt, jedes Mal. Ich fühle mich wie 55 und finde das Leben schön, von mir aus können es noch 30 weitere Jahre werden, aber mit dem Blick auf mein Alter, mit dem ich es sehen und empfinden möchte. Das ist doch auch eine Lebenseinstellung und Erwartung, es muss doch keine negative sein! Alter kann doch Segen, muss keine Strafe sein!
Warum sich bis ins Grab immer trimmen, sich etwas vorgaukeln oder gar verleugnen?

Eines Tages möchte ich nicht bewundert, nicht belächelt und nicht bemitleidet werden. Ich will einfach so sein wie ich bin!

Copyright by karilona
Geschrieben am 18.5.2000


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Kommentare (5)

ehemaliges Mitglied
Du bist was Besonderes! GB Pics
.... und es ist sehr gut. Danke. Alles Gute. Henryk
tilli Liebe Karin ! Bin wesentlich viel älter als du,aber du hast Recht, es kommt darauf an wie man sich fühlt. Ob alt, oder jung, ob kommentiert oder nicht, ob wir verstanden werden oder nicht - alles vergeht mit der Zeit-
Jeder wird einmal so fühlen, darum immer noch den Optimismus bewahren.
Dein Blog hat mir sehr gefallen. Wunderbar.
Tilli
elise52 mit 57 bin ich da noch jung oder schon alt, das liegt immer im auge des betrachters.
hauptsache ich fühle mit gut, alles andere finde ich unwichtig.

lg. gerda
barbarakary Liebe Karin,
ich glaube, es gibt ein inneres - gefühltes - Alter und ein äußeres, das von der jeweiligen Situation abhängt, demnach kannst du alt oder jung sein - kommt immer auf den Betrachter an! Jedenfalls ist es nie richtig....
Hauptsache, du fühlst dich einfach nur als Karin - zeitlos!!! Ich mich auch!Natürlich als Roswitha...
Gruß Roswitha
KarinIlona ... gedacht und aufgeschrieben ...
Freundlicher Gruß, Karilona

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