(Eine fantastische Erzählung)



Bet Lachem


Ich ziehe über den glühend heißen Wüstensplitt der morgenländischen Straße, umgeben von blutgierigen Steinhöhlen und dem süßen Schweiß israelischer Frauen bis zum wolkenlosen Himmelsdach, unter dem Bet Lachem seinen Morgensand dünstet. Es löst sich auf in Flammen das Kristallweiß des nächtlichen Frostes kriegerischer Händel.
Aus den Grundfesten des mörderischen Sandstur-mes tritt Jochanaan hervor in ein staubiges Ziegenfell gehüllt, kraftvoll wie der junge Tag über dem Jordan. Ich erschrecke und mir wird bange vor der sich mir öffnenden Mächtigkeit, vor seiner geheimnisvollen Erscheinung.
„Jochanaan, wo finde ich die Geburtsgrotte?“
Er hört mich nicht, kehrt ohne zu antworten um und schreitet behutsam und schwer wie die Nacht unter den Sternen in den Negev. Er zieht sich in die Wüste zurück, wo er ein schwarzes und beseeltes Beduinenzelt unweit vom Straßenrand behaust - hinan zu den Sinaibergen.
Dann ein ungleiches Paar als sei es aus dem Nichts gekommen. Er: ein Hüne in schwerhängendem, verblichenem Kaftan und mit weißem Turban, behäbig, aber aufrecht gehend wie ein Minarett. Seine warmen und gütigen Augen sind unter buschigen Brauen versteckt – Sie ist jung und schön, ihr Antlitz schöner als alle Blumen und Blüten auf den Wiesen und in den Gärten des Jesreeltales, herrlicher und makelloser als die lodernde Glut der Abendsonne hinter den Ruinen Cäsareas. Ihre Zähne sind wie Perlen aufgereiht, ihr Lachen gleich dem Sternenglanz an den nächtlichen Himmel geheftet. Pechhaar schmückt ihr Haupt, das auf einer glitzernden Goldsäule mit Edelsteinen besetzt ruht; die Augen dunkelmächtige Trauben von den Hängen des Karmelgebirges, zwei schwarze große Diamanten im Rauschen des Meeres und dem Liebesgesang des Mondes in mittäglich mildem Windhauch über den verwundeten Nebeln des Jordans. Ihre Leibesfülle unter blauem, von der Sonne gebleichtem Tschador, verborgen unter dem mattleuchtenden Silbermantel des Sternenzeltes, an der Seite ihres Gatten. Sie blickt neugierig lächelnd um sich. Ihre nachtschwarzen Augen glänzen feucht - in freudiger Erregung. Beide betreten durch das niedere Portal die Basilika.
Ans Ende der Straße geschleudert höre ich die unsteten Stimmen der armenischen Bettler, die in zerschlissenen Mänteln aus Bechern Kamelmilch schlürfend an der Frontmauer der massigen Geburtsbasilika hocken und Wegezoll fordern. „One Dollar please!“ „Only one Dollar please!“
Tropfen Zeit glänzen in der sprühenden Mittags-sonne, tropfen weich auf meine Lider, ehe ich durch die Pforte ins Innere gelange. Als regnete es Sterne von den Himmeln blitzen bizarre Petroleum-Leuchten aus gedie-genem Silber durch die Betgänge der Basilika. Der Ge-ruch - wie aus Destillationsblasen chemischer Fabriken entwichen, abfackelnd den in Brand gesetzten Geist alles Irdischen.
Tausend Männer, Frauen und Kinder warten auf Einlass zur Geburtsgrotte. Sie wollen hinabsinken auf das Sternensilber zweitausend friedloser Jahre, beleuchtet von dreiundfünfzig mächtigen Silberlampen.
Ein Kind ist geboren!
Die Welt verglüht im Licht, das Steine durchdringt, begleitet von einem bis zur Unerträglichkeit anschwellenden Donner, der die Silberleuchter aus ihren Verankerungen reißt und die mächtigen Mauern des Domes kalben lässt gleich den Eisbergen des Nordmeeres. Sie bersten, eine nach der anderen und entlassen das geborene Licht flammend ins Erdenrund.
Die Lügen der Könige und Parlamentarier, der Verrat der Theologen, Philosophen, Pastoren, Priester und Bischöfe mit schmutzigen Händen; das Gold der peruanischen Höhlen, Flüsse und Meere, Stürme und Beben, das Eis des Nordens und die Glut des Südens, die Palmen sowie alle Früchte Israels: sie werden dein Antlitz nicht erkennen, das süßer ist als der kühle Regen in der Wüste Negev. Sie werden dich in Ketten legen, deine Gebeine schinden, dir die Nägel von den Fingern und Zehen und die Zunge aus der Kehle reißen, werden dein Fleisch durchbohren und deinen geschundenen Leib auf schwarzes Holz nageln und dich gegen den Himmel zu Tode schächten. Sie werden dein Blut unter Baumwurzeln verbergen, es sich von den Händen waschen und dich verleugnen.
Wenn der Regen über Bet Lachem in die Gruben fällt, die Spuren der Eidechsen die Steine härten, die Fischer ihre Krüge mit Balsam füllen und das Morgenrot über den Bergen den Jordan in Brand setzt, wird der Atem der vergessenen Seelen - verlassen wie die Fenster im Morgengrauen - Trauer tragend über das Land wandern und ihr Dunkel wird bebend in meine Hände kriechen, die Steine in den Himmel fallen, und Flüsse wie Meere in die Unendlichkeit fließen.
Ich ziehe von dannen wie ich gekommen, über glühendheißer Straße, hinan zum Morgenstern, unter dem Bet Lachem seinen Wüstensand dünstet.



Horst Ditz ®


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Kommentare (1)

marlenchen lieber Horst,mit deiner Fantasie im Gepäck,hast du eine wunderschöne Erzählung entladen,(die Augen dunkelmächtige Trauben-und,und,und!!Mit lieben Grüßen an dich deine Freundin marlenchen

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