Bäume, an die ich besonders denken muss
Wenn Mutter alte Bilder aus Russland zeigte, die da mit den Birken bei der Datsche, da, wo sie (1915) Russland noch nicht als Austauschgefangene verlassen hatten, dann: man muss dieses Land und seine Natur wohl lieben.
Als Knirps kletterte ich auf die Birke, die da auf dem Grundstück in Eichwalde, Ecke Schiller-/Markgrafenstraße stand. Wenn ich dann hoch genug geklettert war und sorgenvoll den Abstieg nachher bedachte, dann war doch Blick zum Funkturm hinüber nach Königs Wusterhausen dazu angetan, die heimliche Angst zu überwinden, ja sogar die Kurzwellen-Antennen bei Zeesen wollten sagen: Junge, komm‘ mal rüber.
Mit Vater ging es mit den Rädern hinaus nach Wernsdorf und weiter entlang dem Ufer am Oder-Spree-Kanal. Der wareingesäumt von schlanken Birken. Da oder da auf dem Gestellweg begann eine Schonung an deren Rändern Pfifferlinge wuchsen, und auch Rotkappen, Birkenpilze, Maronen und Steinpilze durften geerntet werden. Ab und an brachten wir uns eine Zecke mit nach Hause.
Wir evakuierten uns in den Odenwald. Schutz suchte ich unter den Obstbäumen, die den Schulweg von Nieder-Kainsbach nach Ober-Kainsbach im Odenwald säumten, wenn hoch oben am Himmel die feindlichen Bomber von Westen nach Osten flogen, ihre tödliche Last über Städten wie Schweinfurt, Würzburg und Nürnberg abluden. Angst vor Tieffliegern, die auf alles, was sich bewegte, feuerten.
Förster wollte ich werden. Darin hatte mich der Großvater angesteckt, er, der anstatt Jura zu studieren, lieber in Botanik-Vorlesungen saß, bis ihm sein Vater den Scheck strich. Ich bekam zu Weihnachten Bücher vom Parey-Verlag über Wald und Flur. Da war dann der Krieg zu Ende gegangen. Ein Förster belehrte mich, dass es künftig weit weniger Wald gäbe für die vielen Förster ohne Wald. Ich nahm Abschied vom Jugendtraum.
Im zweiten Friedensherbst ging es im Weserbergland vom Dorf mit der Schmiede hinüber zum Buchenwald, als Stift hatte ich keine andere Wahl, musste für die Frau des Schmiedemeisters Buchäckern einsammeln; viel lieber hätte ich das für die nur sieben Kilometer entfernt wohnende eigene Familie, also für Mutter, getan.
Und bald darauf ging’s mit Meister und Gesellen wieder in den Wald, den geschlagenen Bäumen die Äste abzunehmen, Brennholz. Da kam dann die selbstfahrende Bandsäge und zerkleinerte die Meterstücken. So, wie zu Hause, stand ich im Hof und teilte die Scheite, baute Mieten. Denn alles musste seine Ordnung haben.
Wir waren nach Kriegsende in den „Westen“, ins Weserbergland ausgewandert, da ins Emmertal, wo das Schloss Hämelschenburg steht. Es ging bei Schnee und Kälte hinüber zum Kahlen Buckel. Da wollten wir Zweige von den Fichten holen, damit Bärbel davon Adventskränze binden konnte. Wir kletterten an den Stämmen über die Äste hinauf, achteten nicht darauf, ob Harz sich in den Mänteln aus Wolldecken verfing. Wir schnitten Zweige ab und warfen sie runter, wir sammelten sie ein und trugen sie nach Hause. In der (einzigen) Stube, die wir für uns acht bekommen hatten, saßen wir und schnitten die Zweige zurecht und fertigten kleine Sträuße an, die Bärbel dann um den Ring aus Weide binden konnte.
Heiligabend: von Alters her reichte der Tannenbaum immer vom Boden bis zur Decke; als wir noch in Berlin wohnten, waren das mehr als 2,75 Meter, später und heute braucht man nur noch maximal 2,50 Meter an Baum-Höhe. Da stand dann so ein sorgfältig ausgewählter „Rohling“, noch nicht geschmückt. Jedes Fädchen Lametta wurde mit Bedacht über die Nadeln gelegt. Kugeln, Zapfen und Figuren aus dem Erzgebirge gaben dem Baum das Feierliche für die Festtage. Nur: wie lange durfte dieser Baum da so stehen? Wie Tränen, gleich einem Regen, fielen dann die Nadeln herab. Es gab kein Erbarmen, der Baumschmuck wurde geplündert. Der Baum wurde seiner Äste beraubt und der kahle Stamm samt den Nadeln und Zweigen aus der guten Stube getragen.
Da war ich mit den Jahren herangewachsen, hatte eine eigene Familie gegründet. Nun ging ich selbst zum Weihnachtsbaumkauf. Da stehe ich nun hoch oben im Rothaargebirge, da wo Sieg, Lahn und Eder entspringen, neben dem Förster, der mich hinaus zu der Schonung mit den tollsten Bäumen begleitete, mich dann aber alleine zurück ließ. Wie schwer, wie schwer, sich für diesen oder jenen Baum zu entscheiden. Ich möchte die Wahl an andere abgeben, aber ich bin ganz alleine – zu Hause wartet man gespannt, wie der Baum in diesem Jahr aussehen wird. Fast ängstlich rolle ich das Opfer ein, schnalle es auf dem Dachständer fest und fahre zum Forsthaus hinüber, um den Baum in seiner Länge gemessen zu bezahlen. Ich montiere den Fuß daran, richte den Baum auf, nun sehe ich, wohin ich nicht geschaut habe. Es braucht noch Zeit, bis ich eins bin mit dem Baum für die Familie. Sollen die Kinder mit beim Schmücken helfen?
Vor zwei Jahren stellte ich ein letztes Mal in meiner Wohnung einen Baum, nein, ein Bäumchen auf. Mein Spatz hatte mir Fuß und DDR-Kugeln mitgegeben. Ich durfte das Bäumchen aus Oberbayern schmücken, Spatz legte letzte Hand an. Es war nicht groß, stand auf einem Kinder-tischchen. Die Kerzen waren elektrisch. Wir waren glücklich – ich wusste bis heute nicht, dass Spatz das erste Mal seit es Witwe war, stets bei den Kindern an Heiligabend unterm Baum feierte.
Gestern habe ich die Kiste ausgepackt, die mir Spatz mitgegeben hatte. Ein zusammen steckbarer Weihnachtsbaum – im Westen = Plas-tik, im Osten = Plaste. Ich hatte keine Mühe, diese 2 Meter-Konstruktion auf die Beine zu stellen. Aber raus damit auf den Balkon – weil kein Platz im Wohnzimmer. Oder weil dieser Baum nicht leben kann, weil nachgemacht.
Eine 80-flammige Kette winkt vom Baum hinüber zu den Nachbarn, und auch ins Zimmerfenster gibt die Schaltuhr das Licht für Phasen frei.
Wir waren auf sechs Weihnachtsmärkten. Wir sahen die kunstvoll arrangierten und künstlich erzeugten Bäume mit Kerzen und Kugeln. Im Fernsehen strahlen sie besonders gekonnt. Wir schieben uns durch das Gewusele – man isst und trinkt im Stehen oder Gehen. Die Veranstalter haben lange nach einem gescheiten und hohen Weihnachtsbaum gesucht. Ein älteres Ehepaar gibt den passenden Baum her, nahm er doch schon zu vielen Platz weg. Da steht er nun in vollster Pracht. Er darf seine letzte „Vorstellung“ geben. Dann ist er nichts mehr wert, dann hat wieder ein Baum sein Dasein verloren. Er geht dahin, wie auch so mancher von uns.
ortwin
Als Knirps kletterte ich auf die Birke, die da auf dem Grundstück in Eichwalde, Ecke Schiller-/Markgrafenstraße stand. Wenn ich dann hoch genug geklettert war und sorgenvoll den Abstieg nachher bedachte, dann war doch Blick zum Funkturm hinüber nach Königs Wusterhausen dazu angetan, die heimliche Angst zu überwinden, ja sogar die Kurzwellen-Antennen bei Zeesen wollten sagen: Junge, komm‘ mal rüber.
Mit Vater ging es mit den Rädern hinaus nach Wernsdorf und weiter entlang dem Ufer am Oder-Spree-Kanal. Der wareingesäumt von schlanken Birken. Da oder da auf dem Gestellweg begann eine Schonung an deren Rändern Pfifferlinge wuchsen, und auch Rotkappen, Birkenpilze, Maronen und Steinpilze durften geerntet werden. Ab und an brachten wir uns eine Zecke mit nach Hause.
Wir evakuierten uns in den Odenwald. Schutz suchte ich unter den Obstbäumen, die den Schulweg von Nieder-Kainsbach nach Ober-Kainsbach im Odenwald säumten, wenn hoch oben am Himmel die feindlichen Bomber von Westen nach Osten flogen, ihre tödliche Last über Städten wie Schweinfurt, Würzburg und Nürnberg abluden. Angst vor Tieffliegern, die auf alles, was sich bewegte, feuerten.
Förster wollte ich werden. Darin hatte mich der Großvater angesteckt, er, der anstatt Jura zu studieren, lieber in Botanik-Vorlesungen saß, bis ihm sein Vater den Scheck strich. Ich bekam zu Weihnachten Bücher vom Parey-Verlag über Wald und Flur. Da war dann der Krieg zu Ende gegangen. Ein Förster belehrte mich, dass es künftig weit weniger Wald gäbe für die vielen Förster ohne Wald. Ich nahm Abschied vom Jugendtraum.
Im zweiten Friedensherbst ging es im Weserbergland vom Dorf mit der Schmiede hinüber zum Buchenwald, als Stift hatte ich keine andere Wahl, musste für die Frau des Schmiedemeisters Buchäckern einsammeln; viel lieber hätte ich das für die nur sieben Kilometer entfernt wohnende eigene Familie, also für Mutter, getan.
Und bald darauf ging’s mit Meister und Gesellen wieder in den Wald, den geschlagenen Bäumen die Äste abzunehmen, Brennholz. Da kam dann die selbstfahrende Bandsäge und zerkleinerte die Meterstücken. So, wie zu Hause, stand ich im Hof und teilte die Scheite, baute Mieten. Denn alles musste seine Ordnung haben.
Wir waren nach Kriegsende in den „Westen“, ins Weserbergland ausgewandert, da ins Emmertal, wo das Schloss Hämelschenburg steht. Es ging bei Schnee und Kälte hinüber zum Kahlen Buckel. Da wollten wir Zweige von den Fichten holen, damit Bärbel davon Adventskränze binden konnte. Wir kletterten an den Stämmen über die Äste hinauf, achteten nicht darauf, ob Harz sich in den Mänteln aus Wolldecken verfing. Wir schnitten Zweige ab und warfen sie runter, wir sammelten sie ein und trugen sie nach Hause. In der (einzigen) Stube, die wir für uns acht bekommen hatten, saßen wir und schnitten die Zweige zurecht und fertigten kleine Sträuße an, die Bärbel dann um den Ring aus Weide binden konnte.
Heiligabend: von Alters her reichte der Tannenbaum immer vom Boden bis zur Decke; als wir noch in Berlin wohnten, waren das mehr als 2,75 Meter, später und heute braucht man nur noch maximal 2,50 Meter an Baum-Höhe. Da stand dann so ein sorgfältig ausgewählter „Rohling“, noch nicht geschmückt. Jedes Fädchen Lametta wurde mit Bedacht über die Nadeln gelegt. Kugeln, Zapfen und Figuren aus dem Erzgebirge gaben dem Baum das Feierliche für die Festtage. Nur: wie lange durfte dieser Baum da so stehen? Wie Tränen, gleich einem Regen, fielen dann die Nadeln herab. Es gab kein Erbarmen, der Baumschmuck wurde geplündert. Der Baum wurde seiner Äste beraubt und der kahle Stamm samt den Nadeln und Zweigen aus der guten Stube getragen.
Da war ich mit den Jahren herangewachsen, hatte eine eigene Familie gegründet. Nun ging ich selbst zum Weihnachtsbaumkauf. Da stehe ich nun hoch oben im Rothaargebirge, da wo Sieg, Lahn und Eder entspringen, neben dem Förster, der mich hinaus zu der Schonung mit den tollsten Bäumen begleitete, mich dann aber alleine zurück ließ. Wie schwer, wie schwer, sich für diesen oder jenen Baum zu entscheiden. Ich möchte die Wahl an andere abgeben, aber ich bin ganz alleine – zu Hause wartet man gespannt, wie der Baum in diesem Jahr aussehen wird. Fast ängstlich rolle ich das Opfer ein, schnalle es auf dem Dachständer fest und fahre zum Forsthaus hinüber, um den Baum in seiner Länge gemessen zu bezahlen. Ich montiere den Fuß daran, richte den Baum auf, nun sehe ich, wohin ich nicht geschaut habe. Es braucht noch Zeit, bis ich eins bin mit dem Baum für die Familie. Sollen die Kinder mit beim Schmücken helfen?
Vor zwei Jahren stellte ich ein letztes Mal in meiner Wohnung einen Baum, nein, ein Bäumchen auf. Mein Spatz hatte mir Fuß und DDR-Kugeln mitgegeben. Ich durfte das Bäumchen aus Oberbayern schmücken, Spatz legte letzte Hand an. Es war nicht groß, stand auf einem Kinder-tischchen. Die Kerzen waren elektrisch. Wir waren glücklich – ich wusste bis heute nicht, dass Spatz das erste Mal seit es Witwe war, stets bei den Kindern an Heiligabend unterm Baum feierte.
Gestern habe ich die Kiste ausgepackt, die mir Spatz mitgegeben hatte. Ein zusammen steckbarer Weihnachtsbaum – im Westen = Plas-tik, im Osten = Plaste. Ich hatte keine Mühe, diese 2 Meter-Konstruktion auf die Beine zu stellen. Aber raus damit auf den Balkon – weil kein Platz im Wohnzimmer. Oder weil dieser Baum nicht leben kann, weil nachgemacht.
Eine 80-flammige Kette winkt vom Baum hinüber zu den Nachbarn, und auch ins Zimmerfenster gibt die Schaltuhr das Licht für Phasen frei.
Wir waren auf sechs Weihnachtsmärkten. Wir sahen die kunstvoll arrangierten und künstlich erzeugten Bäume mit Kerzen und Kugeln. Im Fernsehen strahlen sie besonders gekonnt. Wir schieben uns durch das Gewusele – man isst und trinkt im Stehen oder Gehen. Die Veranstalter haben lange nach einem gescheiten und hohen Weihnachtsbaum gesucht. Ein älteres Ehepaar gibt den passenden Baum her, nahm er doch schon zu vielen Platz weg. Da steht er nun in vollster Pracht. Er darf seine letzte „Vorstellung“ geben. Dann ist er nichts mehr wert, dann hat wieder ein Baum sein Dasein verloren. Er geht dahin, wie auch so mancher von uns.
ortwin
für diese festlichen Rituale die Grundlage.
Und alles messen wir daran, was später geschieht.
Ich habe mich den erzgebirgischen Bräuchen auch nur langsam angepasst.
Obwohl sie mit ihren Holzschnitzereien sehr angenehm sind, hing ich an die eher puritanische Einfachheit. Dem schlichten Adventskranz und dem volkstümlich geschmückten "Tannenbaum".
Schön Dein Gedicht und Deine Familienchronik.
Mit freundlichen Grüßen,
Traute