Ich traf sie zum ersten Mal am 15.08. 1996.
Ich kam gerade aus dem Urlaub zurück und Anna(nenne sie nur hier so) war inzwischen ins Senioren gekommen.
Gleich morgens erzählten die Kollegen,wie schwierig Anna sei,sie würde niemanden an sich ran lassen und und wäre überhaupt nicht kooperativ.
Da ich ja Urlaub gehabt habe wäre ich ausgeruht und ich solle mich die nächsten Tage um sie kümmern.
Neugierig machte ich mich auf den Weg zu ihr,ich wußte das meine Kollegen es noch nie verstanden hatten,das ein Mensch, der in ein Heim kommt und das noch dazu nicht freiwillig Zeit braucht um sich einzuleben.
Ich klopfte an die Zimmer Tür und war erstaunt mit welch fester Stimme herein gerufen wurde.
Da saß sie,Anna 96 Jahre alt.Sie trug einen apfelgrünen Jogginganzug,den sie sich offensichtlich selbst angezogen hatte.--Sie sah mich an mit wunderschönen blauen Augen,wie Bergseen tiefblau und klar.
Ich war von Anna fasziniert vom ersten Moment an.
Ich merkte auch wie überrascht sie war,das von mir keine Befehle kamen. Ich lobte sie das sie schon fertig war und erzählte ihr von meinem Urlaub.Sie entspannte sich immer mehr.Ich musste natürlich weiter,andere Patienten versorgen aber ich versprach ihr in meiner Pause wieder zu kommen.Anna sah mich an und sagte mit enttäuschter Stimme hier lügen doch alle Du auch. Das saß erstmal.
Beim Frühstück saß Anna ganz alleine am Tisch.Man hatte sie alleine gesetzt es hieß sie mochte die anderen nicht überhaupt keine Menschen.--Sie war in ihrer Wohnung verwahrlost gefunden worden und da keine Angehörigen vorhanden waren wurde ein Betreuer bestellt der sie ins Heim brachte.
Ich ertappte mich dabei das ich sie beobachtete.Sie hatte schöne Hände und bewegte diese auch sehr anmutig während sie frühstückte.
Ich konnte es kaum erwarten mehr von ihr zu erfahren.Ihr Biografieblatt war weiß niemand wusste etwas über sie .Es war nur bekannt das ihr Mann vor 10 Jahren verstarb.
In meiner Pause ging ich wie versprochen zu ihr.Sie saß am Fenster und schaute hinaus,draußen blühten die Sommerblumen.Eine Weile schwiegen wir,aber es war eine angenehme Stille.Plötzlich fragte sie ,wie heißt Du? Ich hatte mich ja morgens schon vorgestellt aber ich sagte ihr diesmal meinen Vornamen.Sie schaute mich an mit diesen wunderschönen Augen wiederholte den Namen ,er paßt murmelte sie noch.
Es dauerte ungefähr 3 Monate in denen ich mehr und mehr ihr Vertrauen gewann.Ich blieb oft noch nach Feierabend bei ihr, sie erzählte mir nach und nach ihre Lebensgeschichte.Diese Lebensgeschichte ist so ungewöhnlich das ich sie hier in groben Zügen wiedergeben möchte.
Anna war 19 Jahre alt als sie Will,einen jungen Holländer kennen lernte.Anna lebte mit ihren Elten in Dresden.Die Eltern waren sehr wohlhabend.Anna war die jüngste von 4 Kindern und konnte hervorragend Klavier spielen.Die Eltern strebten eine Karriere als Pianistin für Anna an.Als sie merkten das Anna und Will sich füreinander begeisterten verwährten sie die Zustimmung zur Heirat.Will ging enttäuscht nach Indonesien, das zum damaligen Zeitpunkt eine niederländische Kolonie war.
Mit Hilfe ihres Bruders, den sie sehr liebte lernte sie an der Universität Dresden niederländisch und Englisch,für eine Frau sehr ungewöhnlich.
Mit dem Erbe das sie von ihrer Großmutter erhalten hatte kaufte sie sich eine Schiffspassage nach Indonesien.(wieder mit der Hilfe ihres Bruders)ganz alleine ohne Begleitung fuhr sie dort hin.Mittlerweile waren schon 1 1/2 Jahre vergangen aber ihr Glaube das Will sie nicht vergessen hatte war unerschütterlich.
Sie fand ihn und lebten einige Jahre glücklich verheiratet.Im zweiten Weltkrieg dann wurde die Insel auf der sie wohnten von den Japanern besetzt.Anna war mittlerweile 42 Jahre alt.Kinder hatte sie keine.Sie fühlte sich völlig sicher,denn die Japaner waren ja Verbündete Deutschlands.Die Japaner internierten aber Will als Holländer und sie musste sich entscheiden entweder Will und Lager oder Freiheit und Scheidung.
Sie ging mit ihrem Mann ins Lager und verbrachte dort über 3 Jahre unter schlimmen Bedingungen.Ihr Mann wurde sehr krank und erholte sich nie nicht mehr richtig von der Gefangenschaft.
Als der Krieg vorbei war hatten sie alles verloren und mussten Indonesien verlassen.Sie wollten nach Holland.Der Weg war weit.
Über China und die USA.Anna arbeite so oft es ging als Klavier Leherin um sich und ihren Mann durch zubringen und das Geld für Europa zu sparen.Zehn Jahre brauchten sie dazu.1955 kamen sie nach Neuhausen in BW ,ein Freund von ihnen nahm sie zunächst auf bis sie eine eigene Wohnung hatten.Sie blieben dort bis Will 1985 starb.Anna war ganz alleine und vereinsamte immer mehr und landete schließlich in dem Heim in dem ich arbeite.
Auch mit 96 Jahren konnte sie noch hervorragend Klavier spielen.
Sie starb 3 Jahre später in meinen Armen und ich finde sie hat es verdient,das man ihre Geschichte aufschreibt.
Auf ihrer Beerdigung war ich ich der einzige Trauergast. Es gab niemand der um sie trauerte und doch war sie eine ganz besondere Frau.
Es empört mich immer wieder wie in unserer Gesellschaft Umgegangen wird und welche Missachtung alten Menschen entgegen schlägt wenn sie nicht mehr so funktionieren wie man es erwartet.Jeder Mensch hat eine Geschichte die es Wert ist gehört zu werden,es braucht nur mehr Zuhörer.

Einen schönen Tag noch wünscht Lessalina




Anzeige

Kommentare (8)

EHEMALIGESMITGLIED63 das Leben schreibt die besten Geschichten...
doch Du hast hier eine Lebensgeschichte wunderbar in Form gebracht.
Eine sehr erstaunliche bewundernswerte Liebesgeschichte.

Sie paßt in diese Adventszeit, ich wünsche mir sehr das viele sie lesen, danke Begine
habwei Aufmerksam habe ich die Lebensgeschichte von Anna gelesen.
Du hast eine tolle Einstellung zu deinem Beruf - dafür hast du meine volle Anerkennung.
Ich wünsche dir und mir in der entscheidenden Zeit einen ebenso verständnisvollen und lieben Menschen.
Vielleicht magst du noch weitere "Geschichten" erzählen?
Herzliche Grüße
-habwei-
ehemaliges Mitglied eine schöne geschichte,habe sie gerne gelesen,und weiter
empfohlen.
lg. basta/helmut
Traute Das hat mir gefallen und imponiert.
Es ist wirklich in unserer Gesellschaft, manches mal so, dass Alter zu einem Schimpfwort wird.
Es ist ein Lebensabschnitt eines jeden Menschen . Wenn man den Anfang des Menschen betrachtet, welch ein Empfang und jedes Jahr wird der Tag gefeiert. Nicht die Mutter, die das Kind gebar, sondern der Geborene.
Dann eines Tages ist es angebracht sich zu tarnen, zu vertuschen, dass das Leben Spuren in uns gräbt. Wie ist man glücklich ein paar Jahre jünger geschätzt zu werden. Und manche lassen sich das ordentlich was kosten.
Aber es ändert doch gar nichts. Es wäre eher angebracht seiner Gesundheit Beachtung zu schenken.
Irgendwann, wenn die Zeit da ist werden wir alle, wenn wir Glück haben, alt.
Jung sterben wäre eine Alternative, aber völlig absurd.
So sollten wenigstens wir, die nun wissen was es bedeutet, mit hoch erhobenem Haupt die Würde des Alters tragen. Das Verdecken und Vertuschen und das Verschämte, unterstützt doch eher den Jugendwahn, der das Alter als Last und hohe Kosten verursachende schämenswerte Druckphase des Menschen ansieht. Ist nicht gerade auch das Alter die Erkenntnisreichste Lebensphase und wir sehen und erkennen die Posen/Rituale, mit denen man die alten Menschen abfertigt? Du hast der Menschenwürde Rechnung getragen und die Anderen beschämt, wenn sie in der Lage sind das zu erkennen.
Hoffentlich bekommst Du, wenn Du an der Stelle der interessanten Frau bist, den Lohn und die Würde die Du weitergabst.
Der Mensch wird mit der Menschenwürde geboren und nichts kann sie ihm abnehmen, oder absprechen oder erhöhen, weder Armut noch Reichtum noch Weisheit oder Unbedarftheit.
(Hatte Immanuel Kant mit anderen Worten festgestellt und danach wurden die proklamierten Menschenrechte abgefasst)
Ich wünsche Dir für Deine Mühen, den Lohn, dann, wenn Du ihn am dringendsten brauchst.
Mit freundlichen Grüßen,
Traute
omasigi die das Leben schrieb.
Es ist wirklich so, dass Zuhörer fehlen. Hinter jedem Menschen steht eine besondere Geschichte.
Wenn wir zuhören können wir unsere Mitmenschen besser verstehen.
Ich finde es ganz toll von Dir, dass Du Deine freie Zeit dazu benutzt hast um zu zu höhren.
Danke für diese Geschichte.
omasigi
tilli Eine Geschichte die aus dem Leben kommt , die eine so große Liebe beschreibt ,dass hast du gut gemacht.Vielen Dank
mit grüßen Tilli
catrin was fuer eine wunder schoene Geschichte,das Leben schreibt oft solche Geschichten, man muss sie nur auf schreiben.das hast du ganz toll gemacht!
ladybird Deine Geschichte hat mich sehr berührt und ich möchte Dich sehr unterstützen bei Deiner Meinung in Deinen letzten Sätzen, ich denke und fühle auch so.
Anna hat die wirkliche Liebe gelebt, das gefällt mir an Anna.
Ich denke, es gibt Dir ein besonderes Gefühl, sie auf ihrem letzen Weg begleitet zu haben.
Es war eine gute Idee, Anna hier vorzustellen,
herzlichst Ladybird

Anzeige